Kipp-Schalter (Tipping Points)

Das Klimasystem der Erde ist geprägt durch viele einander beeinflussende und voneinandere abhängige Prozesse und daher extrem komplex. Luft- und Wassertemperaturen steuern globale und lokale Windsysteme. Davon hängen wiederum weltweit die Niederschläge ab. Das Eis an den Polen beeinflusst auch das Wetter im Rest der Welt. Wenn Teile dieser Systeme durch menschliche Einflüsse oder Eingriffe stark verändert werden, kann es sein, dass sie nicht mehr funktionieren – sie kippen. Viele dieser Veränderungen sind möglicherweise unumkehrbar  – irreversibel. Daher nennt man sie Kipp-Elemente (vom englischen „tipping elements“, oder auch „tipping points“).

Wenn ein solcher Tipping Point umgekippt ist, ist es sehr wahrscheinlich, dass dadurch das ein anderes wichtiges Element des Klimasystems negativ beeinflusst wird. Einige Kippelemente können einen sich selbst beschleunigenden irreversiblen Klimawandel in Gang setzen. Wegen der vielschichtigen Abhängigkeiten sind Prognosen über die Auswirkungen der globalen Erwärmung auf die äußert komplexen Zusammenhänge des Klimas schwer vorauszusehen.

Wissenschaftler des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) haben neun potentielle Kipp-Elemente benannt, die aus ihrer Sicht besondere Berücksichtigung bei der internationalen Klimapolitik finden sollten. Die Phänomene sind mit unterschiedlichsten Wahrscheinlichkeiten behaftet, was deren Eintreffen und die Wirkweise betrifft:

  • Arktisches Meereis
  • Grönländischer Eisschild
  • Westantarktischer Eisschild
  • Boreale Wälder
  • Amazonas Regenwald
  • El Niño und Südliche Oszillation (ENSO)
  • Sahara/Sahel- und Westafrikanischer Monsun
  • Indischer Sommermonsun
  • Thermohaline Atlantikzirkulation

Arktisches Meereis

Durch die Klimaerwärmung schmilzt das auf dem Meer schwimmende Eis. Da die nun frei werdende Wasseroberfläche dunkel ist, erwärmt sie sich durch Sonneneinstrahlung schneller. Das fördert die globale Klimaerwärmung. Noch schnellere Eisschmelze im Sommer und keine Eisbildung im Winter wären die Folgen. Die Kipp-Grenze wird zwischen 0,5 und 2 Grad Celsius angesetzt und könnte heute bereits überschritten sein. Ergebnisse von regelmäßig stattfindenden Eisvermessungen bestätigen, dass die Eismassen jetzt schon deutlich abgeschmolzen sind siehe auch …

Grönländischer Eisschild

Erwärmung des Klimas fördert die Schmelze des Eises auf dem grönländischen Festland (–>Permafrostboden). Die frei werdende Landfläche ist dunkel und erwärmt sich daher wesentlich schneller, was wiederum Eisverlust beschleunigt. Der Meeresspiegel steigt. Als kritische Kipp-Grenze wird eine lokale Erwärmung von drei Grad Celsius vermutet. Schmilzt das gesamte Eis steigt der Meeresspiegel um sieben Meter.

Westantarktischer Eisschild

Auch hier ist der Verlust von Eismasse gemessen worden. Wesentliches Abschmelzen tritt ab einer regionalen Erwärmung von fünf bis acht Grad Celsius im Sommer ein, vermuten die Forscher. Anstieg des Meeresspiegels um fünf Meter ist zu vermuten.

Borealwälder

Diese Wälder wachsen in den nördlichen Breiten der Erde und sind an die langen und kalten Winter dieser Zonen angepasst. Erwärmt sich das Klima um drei bis fünf Grad, würden die Wälder in wenigen Jahrzehnten absterben, da längere und trockene Sommer dann Krankheiten verursachen. Wie die Wissenschaftler vermuten, bleiben die Winter jedoch sehr kalt. Die Verluste können daher vermutlich nicht durch Baumarten aus wärmeren Regionen ersetzt werden. Boreale Wälder sind wichtige Kohlenstoffspeicher und somit wichtig für das globale Klima.

Amazonas-Regenwald

Globale Erwärmung und Entwaldung durch Raubbau verringern die Niederschläge in der Region um dreißig Prozent. Experten meinen, dass bei einer Erwärmung von drei bis vier Grad Celsius die Trockenzeiten noch länger werden würden. Der Regenwald könnte sich nicht mehr erholen und binnen weniger Jahrzehnte absterben. Die Entwaldung durch den Menschen beschleunigt den Prozess deutlich.

El Niño und Südliche Oszillation (ENSO)

In mehr oder weniger regelmäßigen Abständen werden die Wasserzirkulationsprozesse im Pazifik durch ungewöhnliche (aber vermutlich natürliche) Wasser- und Luftströmungen aus dem empfindlichen Gleichgewicht gebracht – mach spricht vom El Niño-Phänomen. Die Versorgung der Fischbestände mit Plankton wird damit gestört, was insbesondere Fischer an der südamerikanischen Küste zu spüren bekommen. Bei gleichbleibender Klimaerwärmung wird erwartet, dass dieser Effekt nicht häufiger, aber deutlich stärker auftreten wird.

Sahara/Sahel- und Westafrikanischer Monsun

Globale Erwärmung würde die tropischen Regenerscheinungen zunächst verstärken. Bei fortschreitender Erwärmung von drei bis fünf Grad Celsius könnten die Luftzirkulationen jedoch vollständig zusammenbrechen, prognostizieren einige Forscher. Der Regen bliebe aus, fortschreitende Trockenheit mit ausgeprägten Dürreperioden in der Region wären die Folge. Ein anderes Szenario geht von sich verstärkenden Niederschlägen aus, was Überschwemmungen zur Folge haben könnte.

Indischer Sommermonsun

Niederschläge dieser Region könnten sich aufgrund der globalen Erwärmung deutlich erhöhen. Demgegenüber stehen Luftverschmutzung und gesteigerte Landnutzung, die diesen Effekt dämpfen. Der Indische Sommermonsum könnte dadurch chaotische unberechenbare Ausmaße annehmen.

Thermohaline Atlantikzirkulation

Der Kreislauf der atlantischen Meeresströmungen befindet sich in einem Gleichgewicht, das durch die Wassertemperatur und Salzkonzentration gesteuert wird. Beide Faktoren zusammen ergeben die Dichte des Salzwassers, auch thermohaline genannt. Durch die globale Erwärmung verändert sich die Temperatur des Wassers. Zusätzlich ändert sich die Konzentration des Meerwassers durch schmelzende Eismassen aus der Arktis und dem Grönländischen Eis. Die resultierende Dichteänderung kann zum Abreißen des Nordatlantikstroms führen. Einen Anstieg des Meeresspiegels und die Beeinflussung tropischer Niederschläge ist zu befürchten. Hierfür vermuten die Forscher eine Kipp-Temperatur von drei bis fünf Grad.

Literaturtipps:
Pressemitteilung des PIK zu Kipp-Elementen
Broschüre des Umweltbundesamtes (pdf-Download)

->Quelle