Polen: Der Mythos der übermächtigen Kohlelobby

IPG: Warum Polen energiepolitisch anders ist und wie Deutschland damit umgehen sollte

Noch nie waren die polnisch-deutschen Beziehungen so gut wie heute. Seit der Wahlniederlage der Kaczynski-Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) 2007 regiert in Polen die Bürgerplattform (PO) mit Donald Tusk an der Spitze. Anders als sein Vorgänger versteht Tusk, wie wichtig die Mitgliedschaft in der Europäischen Union für Polens wirtschaftliche Entwicklung ist. Aber im Bereich Energie- und Klimapolitik stößt Tusks Rationalität an ihre Grenzen.

Schon dreimal in den letzten Jahren hat Polen im Alleingang die Anhebung der europäischen Klima- und Energieziele bis 2020 blockiert. Auch in den laufenden Verhandlungen ist es vor allem der Widerstand aus Warschau, der die Ambition der EU für ihr Zielpaket bis 2030 nach unten drückt.

Die Autoren: Andrzej Ancygier (li.) ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Hertie School of Governance in Berlin. Dort beschäftigt er sich mit der deutsch-polnischen Zusammenarbeit im Bereich Energie- und Klimapolitik.
Oldag Caspar ist Teamleiter Deutsche- und EU-Klimapolitik bei der Umwelt- und Entwicklungsorganisation Germanwatch. Er beschäftigt sich unter anderem mit der klimapolitischen Annäherung von Polen und Deutschland.

Um die polnische Ablehnung der europäischen Energie- und Klimapolitik zu verstehen, wird in Deutschland immer wieder auf den fast 90-prozentigen Kohleanteil bei der polnischen Stromerzeugung verwiesen. Doch dieser Erklärungsansatz greift zu kurz. Wäre der Einfluss der Kohlelobby das Hauptproblem, hätte die Regierung wohl nie begonnen, zwei Atomkraftwerke zu planen. Auch um das größte Kohlebergwerksunternehmen in Mittelosteuropa, die Kompania Weglowa vor der drohenden Pleite zu retten, hat die Regierung bisher praktisch nichts unternommen. Stattdessen importiert Polen immer mehr billige Kohle – und das ausgerechnet aus Russland. Im Jahr 2013 kamen bereits über 8 Prozent der in Polen verbrauchten Kohle von dort.

Doch weshalb ist Warschau dann so verhalten, wenn es um die Entwicklung erneuerbarer Energien geht? Dafür gibt es zwei Gründe: die enge Verflechtung von staatlichen Energieunternehmen mit der Regierung und Tusks ideologische Ablehnung erneuerbarer Energien.

Polens Energiefilz

Mit der Konsolidierung des polnischen Stromsektors 2006 bis 2008 entstanden vier große Energieunternehmen mit regionalen Netzmonopolen und hohem Staatsanteil. Im größten, der Polnischen Energiegruppe (Polska Grupa Energetyczna S.A. – PGE), hält der Staat 62 Prozent der Anteile und kann damit die Besetzung der wichtigsten Posten maßgeblich beeinflussen. So war es nicht überraschend, als Anfang 2012 ein guter Freund von Ministerpräsident Tusk, Krzysztof Kilian, Vorsitzender des Unternehmens wurde. Wegen Meinungsverschiedenheiten mit Tusk musste er Ende 2013 seinen Posten wieder räumen. Typisch auch die Personalie Aleksander Grad, der seit Anfang 2014 leitender Manager beim zweitgrößten Energieunternehmen Tauron ist. Zuvor war Grad einer der wichtigsten Minister in Tusks Regierung und später als Chef eines PGE-Tochterunternehmens mit dem Bau des ersten polnischen Atomkraftwerks beauftragt.

Der für Demokratie und Volkswirtschaft fragwürdige Filz bremst auch den Aufbruch der polnischen Energiewirtschaft ins postfossile 21. Jahrhundert aus.

Die personelle Nähe zwischen der polnischen Politik und den halbstaatlichen Stromkonzernen ist frappierend. Karrierewege hochrangiger Energiefachleute verlaufen oft zwischen den Großen Vier der Stromwirtschaft und der Regierung im Zickzack hin und her. Sehr wenige dieser Energietechnokraten dürften ein Interesse an einer ambitionierteren Entwicklung der erneuerbaren Energien – und damit an der Gefährdung des Geschäftsmodells der Stromkolosse haben. Der für Demokratie und Volkswirtschaft fragwürdige Filz bremst auch den Aufbruch der polnischen Energiewirtschaft ins postfossile 21. Jahrhundert aus.

Verstärkt werden die engen persönlichen Verbindungen zwischen Staat und Energiesektor durch finanzielle Verflechtungen. Jedes Jahr zahlen die staatlichen Energieunternehmen hunderte Millionen Zloty an Dividende in den polnischen Haushalt. Wer wollte da erwarten, dass die Regierung die Entwicklung von Energiequellen unterstützt, die die Profitabilität ihrer eigenen Unternehmen schmälern könnten. Als deutliche Warnung versteht die Regierung in Warschau dabei die riesigen Wertverluste der großen Stromversorger in Deutschland, die erhebliche Marktanteile an die erneuerbaren Energien abgeben mussten.