„Abkehr von Wachstumsgesellschaft überfällig“

Helmut Röscheisen im Solarify-Selbst-Gespräch über zentrale Herausforderungen der Umweltverbände

Helmut Röscheisen, nach 35 Jahren ausgeschiedener DNR-Generalsekretär, fordert im Solarify-Selbst-Gespräch die „Abkehr von der Wachstumsgesellschaft“, denn wir hätten die „ökologischen Grenzen etwa bei der biologischen Vielfalt und beim Klimaschutz längst überschritten“. Anfangen müsse das mit der eingebauten Verkürzung der Lebensdauer von Produkten (Obsoleszenz). Röscheisen will eine „Kennzeichnungspflicht für die Gebrauchsdauer, die Reparierbarkeit, die Ersatzteilverfügbarkeit und des durchschnittlichen Zeitpunktes für den ersten Schadenseintritt“ einführen. Außerdem müsse die Ressourceneffizienz entscheidend gesteigert werden.

Was sind die zentralen künftigen Herausforderungen?

Nachdem wir die globalen ökologischen Grenzen etwa bei der biologischen Vielfalt und beim Klimaschutz längst überschritten haben, ist die Abkehr von unserer Wachstumsgesellschaft überfällig. Durch die Zunahme der Weltbevölkerung und die nachholende Entwicklung in den Ländern des Südens und der Schwellenländer werden die Ressourcen immer knapper. Die Umweltverbände müssen die Debatte, wie eine Gesellschaft ohne generelles Wirtschaftswachstum aussehen kann und welche Auswirkungen dies auf Einkommen und Vermögen haben wird, führen und in die Öffentlichkeit hineintragen. Gerade unter dem Gesichtspunkt von mehr Gerechtigkeit in unserer Gesellschaft.

Wo und wie soll mit dem Umbau begonnen werden?

Jahrelang blieb die Bundesregierung bei der geplanten Obsoleszenz – also der absichtlichen Verkürzung der Lebensdauer und des Gebrauchswertes von Produkten – untätig. Deutlicher kann man die Verschwendung von Ressourcen und die überflüssige Belastung der Umwelt nicht aufzeigen. Es liegt auf der Hand, diesen unakzeptablen Zustand so rasch wie möglich zu beseitigen.

Zu den in der Wirtschaft betriebenen Obsoleszenzstrategien zählt, dass vorhandene und wirtschaftlich realisierbare Technologien und Materialien, die eine längere Lebensdauer von Produkten ermöglichenen, nicht angewendet werden. Auf diese Weise soll der Absatz durch frühzeitige Ersatzkäufe gesteigert werden. Notwendig sind daher ein Produktverantwortungsgesetz mit konkreten Pflichten für Hersteller und die Verlängerung der Zeiten für die Beweislastumkehr beim Gewährleistungsrecht. Der Verbraucher ist bisher ohne erheblichen Aufwand kaum in der Lage nachzuweisen, dass von Anfang an ein Produktmangel vorlag. Konstruktive Mängel werden ohnehin nicht erfasst. Erforderlich ist zudem die Einführung einer Kennzeichnungspflicht für die Gebrauchsdauer, die Reparierbarkeit, die Ersatzteilverfügbarkeit und den durchschnittlichen Zeitpunkt für den ersten Schadenseintritt.

Und was ist mit der Ressourceneffizienz?

Das ist ein weiteres von der Politik vernachlässigtes Thema. Als geeigneter Indikator bietet hier sich der absolute Materialverbrauch an. Gebrauchtwarenbörsen, Repair-Cafés, die Stärkung regionaler Kreisläufe, der Ausbau des öffentlichen Fahrrad- und Fußgängerverkehrs und Car Sharing sind mögliche Ansätze, um den Ressourcenverbrauch einzudämmen. Der weiter wachsende Anteil von SuV-Fahrzeugen bei den Neuzulassungen von Autos von derzeit bereits 18% zeigt, welchen weiten Weg wir zurückzulegen haben.

Eine Studie des Weltzukunftsrats beziffert den jährlichen Schaden auf 2,7 Billionen Euro (etwa 2/3 des deutschen Inlandsprodukts oder 10mal der aktuelle Bundeshaushalt), wenn wertvolle fossile Rohstoffe ausschließlich energetisch genutzt werden. Diese gewaltige Summe lässt sich durch eine weltweite Hochrechnung ermitteln.  Bei uns werden nur 17% des Öls, 5% des Gases und 0,8% der Kohle für nichtenergetische Zwecke verwendet.

Und was bleibt zum Schluss?

Die Natur- und Umweltschutzverbände stützen sich bisher hauptsächlich auf die Mittelstandsbürger und vernachlässigen ärmere Schichten und Migranten. Hier müssen die Verbandsspitzen umdenken und diese Bevölkerungsgruppen zukünftig gezielt ansprechen und umwerben.

Dr. Helmut Röscheisen ist am 31.12.2014 nach fast 35 Jahren aus dem Amt des DNR-Generalsekretärs ausgeschieden. Zu den Höhepunkten seiner Aktivitäten zählen u.a. die Einführung der Umweltverträglichkeitsprüfung bei der Entwicklungszusammenarbeit, der 1. Deutsche Umwelttag 1986 in Würzburg mit Gründung des VCD als Anti-ADAC, 1988 die Vorstellung der Umweltbilanz Alpen gemeinsam mit der CIPRA als Grundlage der Alpenkonvention, 1990 der Gesamtdeutsche Grüne Runde Tisch vor der Wiedervereinigung, die erfolgreiche Kampagne zur Einführung der Öko-Steuer und der Transformationskongress mit DGB und EKD 2012 zum Thema „Nachhaltig handeln – Wirtschaft neu gestalten – Demokratie stärken“. Röcheisens Nachfolgerin wurde die Diplom-Agraringenieurin Liselotte Unseld.

->Quelle: Helmut Röscheisen; dnr.de