Verbraucherinteressen und nachhaltiger Konsum

Billen: Begriff Verbraucherschutz weiterentwickeln

Gerd Billen, Staatssekretär im BMJV, nannte als wichtigen Teilbereich für die Nachhaltigkeit den Finanzmarkt. Er zählte Parameter auf, die gegenwärtig bedacht werden müssten:

  1. Aus Verbrauchersicht sei wichtig: Ressourcen- und Bodenverbrauch sollten stärker auf Handlungsmöglichkeiten der privaten Haushalte bezogen werden – aber: „Das Stichwort nachhaltiger Konsum reduziert uns lediglich auf einen Teil unserer Rolle – wir sind aber auch Produzenten; wir kochen, ziehen Kinder groß, nehmen teil und mischen uns ein“. Der Begriff Verbraucherschutz sei weiter zu entwickeln zu „Weiter-Nutzen, -Produzieren, -Mitmachen“. Im Internet werde deutlich, dass das Digitale Veränderungen zeitige – der Onlinehandel werde stark von den Nutzern betrieben: Auf ökonomischen Plattformen wie ebay habe der Tausch gebrauchter Gegenstände stark zugenommen, ebenso die Angebote, unsere Wohnungen an Dritte zu vermieten. Es biete sich inzwischen ein viel breiteres Bild als nur „Klopapier aus Altpapier“.
  2. „Nachhaltigkeit ist eine Einstellung, ein Verhalten, Ausdruck von Verantwortung gegenüber der Mitwelt“, so Billen wörtlich – „wie können wir da Empowerment leisten, wie Menschen fördern? Wie ticken Verbraucher? Wie treffen wir unsere Entscheidungen? Was hält uns von der Konsumentscheidung ab?“ Billen diagnostizierte kognitive Dissonanzen. Das BMJV habe einen Sachverständigenrat für Verbraucherfragen eingerichtet. Es gehe darum, wie wir Kampagnen entwickeln könnten, um Nachhaltigkeit und Verantwortung zu fördern.
  3. Dabei sei der Vorbildcharakter der Ressorts ganz wichtig – er hoffe, dass in einigen Jahren an jeder Bundeswehr-Uniform der grüne Knopf sei, der Nachhaltigkeit in der Textilproduktion und -verarbeitung garantiere.
  4. Kritisch ging Billen mit dem Begriff „Information“ in Gericht: „Die wird maßlos überschätzt: denn die Vorstellung, dass wir mit noch mehr Broschüren Entscheidendes erreichen würden, sollten wir gemeinsam kritisch reflektieren.“ Wohl sollten wir uns über soziale Kosten informieren, bevor wir die Kaufentscheidung träfen; in diese Kosten müssten Kriterien wie Menschlichkeit, Menschenrechte, Gesundheit, Biodiversität einfließen. Ein Tool dafür sei der mit dem Bundesverband Verbraucherzentrale entwickelte Qualitäts-Check Nachhaltigkeit. Wir bräuchten „Siegel-Klarheit“: „Siegel aus dem Textilbereich zu bewerten, bedeutet eine neue Rolle des Staates. Aber auch Lebensmittel, Holz, Finanzprodukte sollten bewertet werden – bis hin zu CSR-Berichten von Unternehmen. Manche sind toll, sagen die Wahrheit; manche haben nur schöne Bilder – der letzte von VW war vor dem aktuellen Hintergrund ‚unvollständig'“. In der Umsetzung der CSR-Richtlinie sollen große Kapitalgesellschaften gezwungen werden, soziale und ökologische Risiken offenzulegen und wie sie ihnen begegnen. Diese verpflichtende Reflektion sollten sie öffentlich darstellen – man befinde sich in der Diskusison darüber, wie genau das gemacht werden solle. Auf jeden Fall: „Nicht in Beliebigkeit gestellt, sondern verbindlich.“

Unter dem Rubrum „Instrumentenkasten“ wies Billen darauf hin, dass kein Schalter zum Umlegen existiere, dann sei das Gewünschte erreicht. Als Beispiel nannte er eines der größten Probleme bei Gebäudesanierung: dort sei es nicht erreicht worden, steuerliche Anreize einzuführen. Billen: „Eine der größten Leidenschaften der Deutschen neben dem Fußball ist aber Steuer-Sparen, das löst einen kräftigen Reiz in den Gehirnen aus, treibt die Leute an. Wir sollten versuchen, zu überlegen, wo ein solcher Anreiz Verhaltensänderungen anstoßen kann.“ Warum es bis heute nicht gelungen sei, diese steuerliche Anreize für die Gebäudesanierung zu schaffen, auch darüber müsse die interministerielle Arbeitsgruppe nachdenken.

Weizsäcker: „Endlich Vielfalt in der Wirtschaftswissenschaft!“

Der Biologe und Ko-Präsident des Club of Rome, Ernst-Ulrich von Weizsäcker, nach der Entwicklung seit den „Grenzen des Wachstums“ gefragt, reagierte zunächst pessimistisch: Es sei seitdem sehr viel schlimmer geworden – die hochgelobten SDGs seien im Grunde reine Wachstumsprogramme. Der Club of Rome arbeite derzeit an der Fragestellung: Was genau ist alles schlimmer geworden? Was ist am Denken falsch? Eines stehe fest: „Ökonomen zitieren ihre Epigonen systematisch falsch!“ Dann aber wurde er optimistisch: Es gebe so  unglaublich viele hoffnungsvolle Initiativen, die müssten sich mehr und mehr „ausbreiten in alle Länder der Welt“.

Weizsäcker forderte „endlich Vielfalt in der ökonomischen Wissenschaft und Lehre – jeseits des radikalen, beschränkten und monolithischen Wachstumsglaubens; sogar in den USA wird das gefordert“. Wir müssten dafür sorgen, dass endlich (Natur-)Zerstörung bestraft – und nicht belohnt werde: „Was wir brauchen, ist nicht ein zweites Preisschild, sondern ein zweiter Preis muss her!“ Jedes Jahr solle sich Energie um die exakte Zunahme der Produktivität verteuern. Damit würden die Schnellen belohnt und die Langsamen bestraft. Das altbekannte und lange funktionsfähige Pingpong aus Löhnen und Preisen soll auf den Naturverbrauch angewendet werden. Weizsäcker. „Sie werden sehen: „Nach zehn Jahren kauft keiner mehr ein SUV!“ Wichtiger Bestandteil dabei sei aber eine Art Sozialrabatt zum Ausgleich, „denn der Fortschritt kommt eher bei Reichen an als bei den Armen“.

Folgt: Forderungen und Vorschläge aus den sechs Foren