5 Jahre Fukushima – 5 Jahre Atomwende

Rosenkranz: Singularität der Risiken und der Sicherung

Gerd Rosenkranz, promovierter Werkstoffwissenschaftler, Diplom-Ingenieur und Kommunikationswissenschaftler, sprach als Autor und Experte über „Mythos Atomkraft – Eine Langfristperspektive“. Eingangs konstatierte er, vieles aus früheren Veröffentlichungen („Mythen der Atomkraft – Wie uns die Atomlobby hinters Licht führt“, oekom-Verlag) habe sich inzwischen bestätigt, z.B.:

  • die Befürchtung, dass 20 Jahre ohne Kernschmelze keine Garantie für die Zukunft seien, und
  • dass die Atomenergie auch ökonomisch nicht wettbewerbsfähig sei.

Einzigartigkeit der Risiken

Viele AKW-Unfälle seien heute vergessen, oder seien gar nicht bekannt geworden. Kennzeichen zur Unterscheidung von anderen Energieträgern seien die Einzigartigkeit der Risiken, die Unmöglichkeit der umfassenden Sicherung und die Endlagerfrage; dazu kämen große finanzielle Risiken, die stets staatliche Hilfen erforderlich gemacht hätten.

  1. Urgrund des Fundamentalkonflikts um die Atomenergie sei die Singularität der mit ihr verbundenen Risiken und damit die Singularität der Sicherung, dabei dürfe die Endlagerfrage nicht vergessen werden; Rosenkranz hob die Unbeherrschbarkeit der Risiken hervor, der sogenannte katastrophenfeste Reaktor sei ein ungedeckter Wechsel auf die Zukunft, bis heute. Es habe ja, auch in Europa, nach Tschernobyl weitere Beinahe-Katastrophen gegeben – z.B.  in Paks, Ungarn (1999) oder Forsmark, Schweden (2006). Dazu komme „die schlichte Unmöglichkeit, eine sichere Endlagerung zu gewährleisten über Zeiträume, die jede menschliche Vorstellungskraft überfordern. Trotzdem ist es den Schweiß der Edlen wert, über – aus heutiger Sicht – bestmögliche Lösungen nachzudenken“.
  2. Atomkraft sei nicht nur „sicherheitstechnisch hochriskant, sondern auch finanztechnisch. Das haben mittlerweile alle potenziellen Investoren verstanden; die Reaktorhersteller und AKW-Betreiber hätten es von Anfang an erlebt“. Deshalb wurden die ersten AKW staatliche Veranstaltungen, natürlich auch wegen der technologischen Nähe zur Atombombe, aber auch wegen der damit verbundenen Kosten. Es sei allerdings nicht ungewöhnlich, dass der Staat die Anschubfinanzierung leiste, wenn es um die Etablierung von Großtechnologien zur Daseinsfürsorge gehe – ganz besonders auch im Bereich der Stromerzeugung.
    Beispiel Deutschland: Daher seien in Deutschland die ersten drei AKW zu 95 Prozent vom Staat finanziert worden; nun gebe es seit 60 Jahren Kernkraftwerke, aber heute noch „Markteinführungshilfen“. Hier habe ich das „bei“ gestrichen J
    Beispiel USA: Weil in den USA seit 1973 kein Reaktor mehr beauftragt und zu Ende gebaut worden war, wollte George W. Bush bis 2050 rund 300 neue Atomkraftwerke errichten lassen. Doch die Stromunternehmen und Investoren sperrten sich: Sie forderten Staatsbürgschaften, Staatshaftung bei schweren Unfällen, garantierte Abnahmepreise für den in AKW erzeugten Strom, Besteuerung der fossilen Konkurrenz und die staatliche Kostenübernahme für die aufwändigen Genehmigungsverfahren. Doch nach acht Jahren Bush gab es noch immer keine Reaktorbaustelle. Um die Blockade der Republikaner gegen jegliche Klimapolitik zu durchbrechen gewährte schließlich sein Nachfolger Barack Obama 54 Mrd. Dollar an Staatshaftungszusagen, 80 Prozent der Investitionssumme der geplanten Meiler. Fast 16 Jahre nach dem Amtsantritt von George Bush seien jetzt fünf Reaktoren im Bau, wobei der Reaktor Watts Bar 2, mit Unterbrechungen bereits seit 1973(!) in Bau sei, auch wegen der in dieser Reaktoranlage vorgesehenen Tritiumsproduktion für das US-Atomwaffenarsenal. Im „ehemaligen Westeuropa“ sind heute ganze zwei Atomkraftwerke im Bau: in Frankreich und Finnland. Sie sollten längst Stromproduzieren, die ursprünglich versprochenen Kosten haben sich mindestens verdreifacht.
  3. Rosenkranz: „Nie in der Geschichte der Kernenergie hat sich in einem funktionierenden Strommarkt ein Atomkraftwerk ohne staatliche Unterstützung behaupten können oder müssen – das klingt ungewöhnlich, ist aber wahr.“ Laut IAEA gebe es aktuell auf der Welt 442 kommerzielle Reaktoren zur Stromproduktion – aber keiner sei ohne staatliche Hilfen in Betrieb gegangen. Das gelte auch für die inzwischen abgeschalteten. Nachdem in Deutschland (genauer: der alten Bundesrepublik) die ersten drei kommerziellen Meiler fast völlig staatlich finanziert worden waren, beantragten die damaligen Monopolisten auf Basis ihrer Baukosten „auskömmliche Strompreise“ bei den zuständigen Stellen – meist den Wirtschaftsministerien – der zuständigen Bundesländer. Eine Handvoll Ministerialbeamte entschieden mehr oder weniger freihändig darüber, die Konzerne verdienten opulent in diesem System.

Warum viele Länder weitermachen

Aktuell sei die naheliegende Frage, ob die Atomkraft eine Zukunft habe: „War es das dann mit Fukushima?“ Die Frage stelle sich umso mehr, als alle Erkenntnisse über die mangelnde Konkurrenzfähigkeit der Nukleartechnik aus einer Zeit stammten, als PV 40 Ct/kWh oder mehr kostete, heute sind es bei PV-Großkraftwerken in Deutschland 8 und in sonnenreicheren Ländern gar nur noch 5 Ct/kWh. Rosenkranz: „Dennoch wird der globale Abschied von der Atomkraft wird länger dauern, als viele glauben und wünschen.“ Dafür gebe es – „gegen alle ökonomische Vernunft und im Wissen um die Risiken“ – vielfältige und je nach Land unterschiedliche Gründe:

  • Die nuklear-industriellen Komplexe in den Atomkraftländern hätten „großes Eigengewicht, das gefüttert werden will“ – insbesondere in Ländern mit eigener Reaktorindustrie mit leeren Auftragsbücher würden selbst Spitzenpolitiker zu Handlungsreisenden in Sachen Atomkraftexport (aktuell Putin, zu seiner Amtszeit auch Sarcozy vor allem in den Krisenherden Nordafrikas und des Nahen Ostens).
  • Die wichtigsten Staaten wollten noch nicht glauben, dass es ohne fossile und ohne AKW geht;
    – aktuelles Beispiel: Hinkley Point C, die neuesten Volten: Überlegung, auf Hinkley Point zu verzichten und stattdessen französischen Atomstrom über eine zu errichtende HGÜ-Trasse durch den Kanal nach Großbritannien zu exportieren), auch vor dem Hintergrund der Klimadiskussion;
    – Japan sei ein besonderer Fall. 2014 sei es unfreiwillig „atomkraftfreie Zone“ geworden, nachdem nach der dreifachen Kernschmelze von Fukushima alle 54 Meiler keinen Strom produzierten; jetzt gingen die ersten wieder ans Netz;
    – in China gebe es eine wilde Entschlossenheit, alle Technologien zur Stromerzeugung schnellstmöglich auszubauen. 8 von 10 neuen Reaktoren (von weltweit 62 im Bau befindlichen) seien 2015 in China ans Netz gegangen. Dennoch eine „nicht ganz pessimistische Prognose: Sie werden irgendwann aufhören, denn der Ausbau der Erneuerbaren geht voran – in China haben schon 2013 die Windräder mehr Strom erzeugt als AKW, obwohl mit deren Ausbau etwa zehn Jahre früher begonnen worden sei; auch die dortige Staatswirtschaft mache die Erfahrung, dass Erneuerbare Energien schneller und zunehmend günstiger entwickelt werden können als Atomenergie“.
  • Ein wichtiger Grund für das Festhalten an der Atomkraft habe von Anfang an in der Option auf die Bombe bestanden, denn die Grenze zwischen ziviler und militärischer Nutzung der Atomkraft sei schon immer fließend gewesen. Viele Länder verfolgten eine Doppelstrategie; gerade in Krisenregionen sähen die Machthaber die zivile Atomkraft auch als Option, die sie der Atombombe näher bringt. Schon unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg hätten immer mehr Länder mit der Entwicklung der Atombombe begonnen – das sei ein Motiv für den Atomwaffensperrvertrag gewesen, der schließlich 1968 in Kraft trat: Nur wer unterschrieb, Atomkraft nicht militärisch zu nutzen, sollte in den Genuss der zivilen Technologie kommen. Eisenhower habe 1953 einen ersten Versuch unternommen, die Ausbreitung der Bombe zu bremsen. Aus nuklear angetriebenen Atom-U-Booten der Amerikaner seien dann in direkter Linie die Druckwasserreaktoren zur Stromerzeugung an Land hervorgegangen. Bis heute sind die fünf ständigen Mitglieder des Weltsicherheitsrates die Atommächte aus der Gründungszeit. Eine entscheidende Rolle, ob ein Land angegriffen werde, spiele der Besitz der Bombe: z.B. Nordkorea und Irak – der Unterschied: Die einen hatten die Bombe – angeblich – die anderen noch nicht. Rosenkranz nannte in diesem Zusammenhang die angekündigten oder laufenden Atomprogramme der Türkei, von Ägypten, Saudi-Arabien, Jordanien, Algerien und Tunesien. Das alles sei ein nicht zu unterschätzender Treiber – auch für bestehende Atommächte, siehe Watts Bar. „Insgesamt spielt Geld in solchen Fällen nicht die entscheidende Rolle“ (Rosenkranz).

„In Deutschland war’s das – mit kleinem Fragezeichen „

Rosenkranz glaubt, dass „es das in Deutschland mit Fukushima wirklich war“ – Merkels Satz am 09.06.2011 im Bundestag „Fukushima hat meine Haltung zur Kernenergie verändert“ sei entscheidend gewesen. Was könnten wir nun „tun, damit es bei uns dabei bleibt und andere folgen?“ Die Energiewende müsse „zu einem ökologischen und gleichrangig auch zu einem ökonomischen Erfolg“ gemacht werden. Und wir müssten die aktuell konkret werden Abwicklungskosten (1 Mrd. Rückbaukosten pro Reaktor ohne Endlagerkosten) offensiv auch ins Ausland kommunizieren – dabei dürfe es nicht heißen „‚Kosten des Atomausstiegs‘ – es sind ‚Kosten des Atomeinstiegs‘, die wir heute präsentiert bekommen“.

„Perspektiven der Atomkraft und der Endlagerung in Deutschland“

Jochen Alswede vom Bundesamt für Strahlenschutz sprach über „Perspektiven der Atomkraft und der Endlagerung in Deutschland“ – seine (einleuchtende) These: „Mit dem Abschalten 2022 ist der Automausstieg nicht zu Ende“. 28.000 cbm der wärmeentwickelnden Abfälle machen 99,9 Prozent derAktivität aus – für sie muss ein Endlager bis 2031 festgelegt werden. Der Rest sind 600.000 cbm schwach radioaktive Abfälle, die zsuammen 0,1Prozent der Gesamtaktivität ausmachen – davon sollen 305.000 im Schacht Konrad landen. Dabei dürften Finanzierungsfragen keinen Einfluss auf Sicherheitsstandards haben.

->Quellen:

  • Eigene Aufzeichnungen Gerhard Hofmann
  • Fotos – © Gerhard Hofmann