Was bleibt von Tschernobyl und Fukushima

„Ich muss mich schämen“

Kan habe immer gedacht, „wir seien ein hoch technisches Industrieland, so etwas wie in Tschernobyl könnte uns niemals passieren, Unser Unfall war aber dann noch größer als Tschernobyl. Bis 2011 dachte ich, wir könnten die Kerntechnik nutzen und in die Türkei oder nach Vietnam exportieren.“ 2011 erkannte er schlagartig, dass das falsch war – und heute sagt er schlicht: „Ich muss mich schämen – wir müssen den Atomausstieg weltweit durchziehen.“

Am 11.03. um 14:46 passierte das Erdbeben und der Tsunami – drei Stunden später kam es zur Kernschmelze, Tags darauf die erste Wasserstoffexplosion – dann in vier Tagen Kernschmelzen und Wasserstoff-Explosionen in vier Blöcken. Lange hielt sich die beklemmende Befürchtung, dass auch im Abklingbecken von Fukushima eine Kernschmelze passieren könnte – die Betreiberfirma TEPCO, Soldaten, Polizei und Feuerwehrleute hätten ihr Leben aufs Spiel gesetzt, um das zu verhindern.

Kan hat in einem Buch „etwas geschrieben, was ein Politiker eher nicht sagen sollte, nämlich: ‚Dass wir das Unglück in den Griff bekamen, haben wir der Unterstützung der Götter zu verdanken‘ Ob das ein zweites Mal geschehen würde? Da bin ich nicht sicher…“

Neben Erdbeben und Tsunami gab es nämlich weitere Ursachen, das bedeutet laut Kan, dass das Unglück menschengemacht war: „Der Mensch hat falsche Entscheidungen getroffen – wäre das AKW auf der normalen Anhöhe in 35 Metern Höhe gebaut worden, wäre es verschont geblieben – aber TEPCO beschloss, 25 m abzutragen, um das Meerwasser zur Kühlung nicht hochpumpen zu müssen – man wollte Geld und Strom sparen – die Entscheidung wurde damals als weitblickend gerühmt. Eine der großen Ursachen war diese Fehlentscheidung.

Japan kann ohne Kernkraft auskommen

Japan sei 2014 und 15 ohne Kernkraft ausgekommen, und es ei kein Strommangel eingetreten, Alle hätten sich angestrengt, um gemeinsam 10 Prozent Energie einzusparen – man habe Erdgas und Öl zugekauft, um konventionelle Kraftwerk zu nutzen. Japan habe inzwischen nach deutschem Beispiel eine Einspeisevergütung beschlossen; das dadurch erfolgte Aufwachsen der Erneuerbaren Energien könne bereits fünf AKW ersetzen – in den nächsten Jahren würden das fünfzehn – bald könnten so 30% der Primärenergie mit Erneuerbaren abgedeckt werden.

Akute Folgen des GAU – „dauert länger – wird teurer“

Kan: „Etwa 100.000 Menschen können nach wie vor nicht in ihre Heimat zurückkehren, und niemand weiß, wann das sein wird. In den Blöcken 1, 2 und 3 sind infolge der Kernschmelze die Brennelemente in den Boden der Sicherheitsbehälter hinein geschmolzen. Täglich braucht es Tausende Tonnen Wasser zur Kühlung – daher ist der Unfall noch nicht im Griff – dieses Wasser geht ins Grundwasser, wir versuchen zwar, einen Kreislauf hinzubekommen, aber längst nicht alles Wasser geht in den Kreislauf. TEPCO sagt uns zwar, das Wasser gehe in Extra-Behälter, das timmt aber nicht – ein großer Teil des Wassers geht einfach ins Meer.“

Laut TEPCO arbeiten täglich 7.000 Menschen daran, die Dekontaminierung vorzubereiten. Laut der Betreiberfirma könne man in 40 Jahren mit der Dekontaminierung beginnen und auch die geschmolzenen Elemente herausholen. Allerdings räumt Kan ein, dass niemand wisse, wie die lägen und wie groß die Reste seien. Innerhalb der Schutzbehälter könne man nur fünf Minuten überleben, dort herrsche eine Strahlung von 70 Sv. Kan: „Ich persönlich glaube, dass es viel länger dauert, dass es viel mehr Geld kosten wird.“

Er werde oft gefragt, warum die japanische Regierung gegen den Atomausstieg sei: „Mir tut das sehr leid. Damals haben wir bis 2030 den Ausstieg beschlossen – ich habe das noch früher gewollt.“ Gegenwärtig liefen wieder vier AKW – aber das oberste Gericht habe zwei davon schon wieder vom Netz genommen – jetzt seien es nur noch zwei.  Bei der Wahl 2012 sei die LDP wieder an die Macht gekommen, und die sage, man brauche die Kernkraft, ihr Anteil soll sogar erhöht werden. „Dabei sind doch 60 Prozent der Bevölkerung für den Ausstieg, aber die Meinungsumfragen kommen bei der Wahl nicht zum Tragen, da geht es um Wirtschaftspolitik. Erst wenn Stimmung der Bevölkerung bei Wahlen wirklich zur Geltung kommt, werden wir es in Japan schaffen.“

Kans Vater habe ihm immer vom griechischen Mythos des Prometheus erzählt. Schon gleich nach seinem Technik-Studium habe er daher bereits ein Fragezeichen gespürt, ob die technologische Entwicklung wirklich gut für die Menschheit sei – „oder führt sie letzten Endes nicht in den Untergang? Japan hatte doch Hiroshima und Nagasaki, und jetzt Fukushima, man kann also nicht sagen, dass Technologie unhinterfragt etwas Gutes sei – das zu klären ist die Aufgabe der Menschheit.“

Kan schloss positiv – mit der Feststellung, dass die Menschheit nur ein Zehntausendstel der auf die Erde eingestrahlten Sonnenenergie bräuchte, um den gesamten Energiebedarf zu decken. „Da ist Deutschland Pionier – man kann Solarenergie aber überall auf der Erde nutzen, jedes Land auf der Erde ist in der Lage, durch Nutzung von Solarenergie autark zu werden, und könne so Konflikte vermeiden. Erneuerbare Energie vermeiden Konflikte und wirken friedensstiftend. Daher ist der Ausstieg auch aus den fossilen Energien mein Wunsch.“

Folgt: Tschernobyl: die Katastrophe breitet sich immer noch aus