Klimaschutz planlos – „Horrorkatalog für die Industrie“ oder viel zu lasch?

Klimaschutzplan 2050 hoch umstritten – Umweltverbände kritisieren ihn als zu lax – Union hält ihn für zu scharf – Agrar- und Verkehrsministerium korrigieren derweil fleißig weiter

Das Bundesumweltministerium (BMUB) hat den Entwurf des Klimaschutzplans 2050 vorgestellt. Der CDU- Wirtschaftsrat hat den Plan auf der Titelseite seines Verbandsblattes als „Horrorkatalog für die Industrie“ bezeichnet. Industrieverbände wie der Verband der Chemischen Industrie (VCI) beklagten, sie seien bei der Anhörung zum Klimaschutzplan nicht angemessen berücksichtigt worden. Aus dem BMUB verlautete dagegen, dass sich 136 Teilener aus Verbänden, Ressorts, aus dem Bundestag und der Wissenschaft an der Debatte beteiligt hätten.

Die vier größten Umweltverbände Greenpeace, WWF, BUND und Nabu hatten die Teilnahme verweigert, weil gar nichts mehr drinstehe. Der vorliegende Entwurf sei für sie weder zustimmungsfähig noch glaubwürdig, erklärten sie gemeinsam in einem offenen Brief an die Bundeskanzlerin und den Vizekanzler. Der Entwurf stehe nicht in Einklang mit den Zielen des Pariser Klimaschutzabkommens. Nach einem breiten Beteiligungsprozess mit hunderten eingebrachten Vorschlägen liege ein Text vor, der weder ehrgeizige Ziele setze noch starke Maßnahmen vorsehe. Es brauche politische Entscheidungen, die Deutschland auf einen tragfähigen Pfad hin zu einer klimaneutralen Wirtschaft und Gesellschaft bringen, heißt es in dem Brief. Die vier NGOs fordern, den Entwurf grundsätzlich zu überarbeiten. Ein zustimmungsfähiger Klimaschutzplan müsse wichtige Eckpunkte aus dem Beteiligungs­prozess beinhalten, darunter die klare Festlegung des Treibhausgas-Minderungsziels für 2050 auf mindestens 95 Prozent gegenüber 1990. Außerdem brauche es sektorenspezifische Treibhausgas-Minderungsziele. Im Stromsektor sei dafür die schnelle und sozialverträglich gestaltete Reduktion der Kohleverstromung unumgänglich: Bis spätestens 2035 müsse die Kohleverstromung in Deutschland beendet sein. Notwendig sei zudem ein Klimaschutzgesetz, um die Transformation zu einer klimaneutralen Wirtschaft und Gesellschaft über Jahrzehnte zielgerichtet zu verfolgen und die notwendige Planungs- und Investitionssicherheit zu schaffen.

Anhörung im BMUB

Die weiteren Stellungnahmen sind auf der Webseite des BMUB zu lesen. Aus der DGB-Stellungnahme: „Der Prozess seiner Entstehung war umstritten. Ebenso ist es der jetzt vorgelegte Entwurf. ‚Zu wenig Zeit für den Prozess‘, ‚In sich widersprüchlich‘ oder ‚zu wenig ambitioniert‘, mit diesen Vorwürfen hatte das BMUB bereits mit Beginn des Beteiligungsprozesses zu kämpfen. Doch auch wenn einige Kritik durchaus berechtigt ist, so geht der Grundgedanke des Plans doch in die richtige Richtung, wie ein Blick auf den Gesamtkontext seiner Entstehung zeigt.“

In den bekannt gewordenen Entwürfen zum Klimaschutzplan 2050 wird der Abbau umweltschädlicher Subventionen als ein Ziel genannt. Ob in der endgültigen Fassung, die das Bundeskabinett Anfang November verabschieden will, über unverbindliche Formulierungen hinaus stehen wird, ist unwahrscheinlich – UBA-Chefin Krautzberger erwartet, „dass wir enttäuscht sein werden“.

Offener Diskussionsprozess

Umweltministerin Hendricks hatte ein Jahr lang über mögliche Inhalte des Plans diskutieren lassen. In einem offenen Diskussionsprozess, in den sich Bürger wie Wirtschafts- oder Umweltverbände einbringen konnten, entstand ein Bürgergutachten mit ehrgeizigen Klimavorgaben. Auf der Basis dieser Vorschläge legte Hendricks vor der Sommerpause einen Plan vor, der zunächst ins BMWi ging. Dort entschärfte Vizekanzler Gabriel zunächst einmal die Aussagen zum Kohleausstieg. Und: Sämtliche Zeitvorgaben verschwanden aus dem Papier. Im zweiten Schritt beugten sich die Fachleute im Kanzleramt darüber: Kanzleramtsminister Altmeier ließ für die Sektoren Verkehr und Landwirtschaft ebenfalls Zeitpläne oder Minderungsvorgaben für den Treibhausgasausstoß streichen.

Das Landwirtschaftsministerium beharrt darauf, einen eigenen Entwurf für das entsprechende Kapitel zu schreiben. Die Chancen der Bioökonomie einschließlich Biogas und Biosprit sollen stärker betont und die Risiken als weniger dramatisch dargestellt werden. Der Stickstoffüberschuss auf deutschen Äckern soll nicht bis 2025 von 84 Kilogramm pro Hektar auf 60 Kilo sinken –  Minister Schmidt will sich nur auf 80 kg einlassen, mehr als es die umstrittene Düngerverordnung aus seinem eigenen Haus vorsieht. Das Thema ist relevant, weil aus nicht verbrauchtem Stickstoff auf dem Acker das starke Klimagas Lachgas (N2O) entstehen kann.

Während im Verkehrsministerium die Debatten ähnlich laufen, lobte einzig der BDI den Klimaschutzplan: Holger Lösch, Mitglied der Hauptgeschäftsführung, fand es gut, dass auf „pauschale Verbote“ verzichtet werde, und nannte das Papier eine „bessere Diskussionsgrundlage“ als „die „Vorgängerversionen“.

Vier Unions-Vize wollen zurück

Nach der Ratifizierung von COP21 verlangt nun auch SRU-Chefin Claudia Hornberg, „ambitioniertere klimapolitische Taten der Bundesregierung“. Das wollen die vier Unions-Politiker Gitta Connemann, Michael Fuchs, Arnold Vaatz (alle CDU) und Georg Nüßlein (CSU) verhindern: In der FAZ  monierten sie, dass der Klimaschutzplan „einseitig auf staatliche Vorgaben statt auf Markt“ setze. Andreas Jung, in der Unionsfraktion für Nachhaltigkeitspolitik zuständig, ist deshalb froh, dass die Fraktion in einer Arbeitsgruppe über das weitere Vorgehen zu diskutieren wird. Es gehe „nicht mehr um das Ob, sondern um das Wie“, sagte er Dagmar Dehmer vom Berliner Tagesspiegel.

In einer vom Deutschen Biomasseforschungszentrum (DBFZ) vorgelegten Stellungnahme haben Wissenschaftler des DBFZ den vorliegenden Entwurf des nationalen Energie- und Klimaschutzplans um wesentliche Aspekte im Bereich der energetischen Biomassenutzung ergänzt und eine bessere Integration von Biomasse gefordert. Biomasse sparte durch die Substitution fossiler Energieträger im Jahr 2015 ca. 60 Mio. Tonnen CO2-Äquivalente ein. Die Chancen einer umfassenden Klimagasreduktion werden im Klimaschutzaktionsprogramm der Bundesregierung im aktuellen Entwurf jedoch nur unzureichend dargestellt. Vor allem im Bereich der Einsparung von Treibhausgasen habe Biomasse große Potenziale, welche bei gezielter Optimierung noch höher ausfallen können, so das DBFZ im nun vorgelegten Papier.

Unter dem Titel „Umwelt Klima ohne Plan“ befürchtete Michael Bauchmüller in der Süddeutschen Zeitung, „die Verabschiedung des Langfrist-Projekts droht zum Debakel zu werden“. Was als „Gesellenstück öffentlicher Beteiligung“ begonnen habe, falle „zunehmend den politischen Interessen einzelner zum Opfer“. Schon jetzt seien viele einst konkrete Pläne getilgt – Bauchmüller nennt Beispiele: Aus der „konsequenten“ Abkehr von fossiler Energie sei eine „schrittweise“ Abkehrgeworden, aus „erheblichen“ Beiträgen einzelner Sektoren „angemessene“ Beiträge. Ganze Passagen seien „auf wundersame Weise“ gelöscht worden. Nach der Intervention der vier Vize-Fraktionschefs werde die Sache für Bundeskanzlerin Angela Merkel zunehmend unangenehm. Habe sie im Juni 2015, beim G-7-Gipfel in Elmau, höchstselbst die Weltgemeinschaft auf die „Dekarbonisierung“ eingeschworen, habe sie Anfang Juli „noch einmal eine Lanze für den Klimaschutz gebrochen“, heiße es jetzt: „Da wir uns gerade innerhalb der Bundesregierung in der Abstimmung über unseren Klimaschutzplan befinden, erahne ich, dass das auch vielen anderen noch eine ganze Menge abverlangen wird.“  Sollte „das Säbelrasseln ernst gemeint“ sein, so heiße es in Regierungskreisen, „dann haben wir ein Problem.“ Fazit: „Ein Problem hätte die Kanzlerin selbst“

->Quellen: