Klima-Katastrophe statt -wandel

Essay: Die Leugner sind zufrieden und kassieren

von Gerhard Hofmann

Angesichts der immer neuen Scherbenhaufen (oder kleinen Zu-wenig-Erfolgen) nach den „Conference-of-Parties“ (COP) genannten Weltklimakonferenzen haben bei Öl-, Energie- und Autokonzernen vermutlich jeweils die Champagnerkorken geknallt. Guter Laune waren und sind –  bis auf deutschen Atomausstieg samt Energiewende – sicher auch ihre willigen Helfer: bezahlbare Wissenschaftler, ethikfreie Journalisten und dienstbare Verschwörungstheoretiker.

Lange schon hatten die Klimawandel-Verharmloser mobil gemacht. Das Prognos-Institut hatte noch vor drei Jahren vor einem deutschen Alleingang in Klimafragen gewarnt: Schädlich für die deutsche Wirtschaft! Im Internet schossen die Seiten der Leugner wie Pilze aus dem Waldboden. Ein „Forum gegen die Irrlehren von Treibhauseffekt und Klimaschutz“ diente und dient sich heute noch etwa auf klimaskeptiker.info an, „über einen der am weitesten verbreiteten Irrtümer aufzuklären – nämlich über das Märchen von der Klimakatastrophe und ihre angebliche Ursache, die vom Menschen erzeugten Treibhausgase“. Verantwortet wird die aufwändige, häufig aktualisierte Seite von Herrn Kreuzmann aus Leopoldshöhe, wer bezahlt, bleibt im Dunkeln.

Henryk Broder, Dirk Maxeiner und Michael Miersch (letztere haben sich schon früh mit ihrem „Lexikon der Öko-Irrtümer“ beim Anti-Klima-Lager angebiedert) – nennen ihre Achse des Guten selbst ganz bescheiden ein „Leitmedium für politische Analyse und Kritik“. Sie bieten „Raum für unabhängiges Denken“, lieben „die Freiheit und versuchen populären Mythen auf den Grund zu gehen“. Einer dieser Mythen hat, so ein auf „Achse“ abgedruckter DLR-Essay von Cora Stephan, gar das Zeug zu einer „neuen Weltreligion“, ihre „neuen Priester, die mit ihrer Vorhersage des Weltuntergangs ein Milliardenpublikum Gläubiger versammeln, nennen sich Klimaforscher. Wie alle Propheten dulden sie keinen Zweifel an ihren Vorhersagen“. Wer sie dennoch äußere, sei ein Verharmloser, ein starrköpfiger Lügner, mindestens aber ein bezahlter Agent des Bösen. Überhaupt – das Religiöse taugt bestens zur Verächtlichmachung – in der FAZ verstieg sich der marktradikale Hans-Werner Sinn zu der Formulierung: „Der Politik geht es bei den Solardächern und Windflügeln schon lange nicht mehr um den Treibhauseffekt, sondern um die Schaffung von Sakralbauten für das neue Glaubensbekenntnis.“

Unentwegt werden die gleichen „berühmten“ und „renommierten“ Wissenschaftler, Fred Singer, Benny Peiser und J. Scott Armstrong als Gewährsleute zitiert. Ersterer ließ sich von Marlboro dafür bezahlen, dass er das Passivrauchen für harmlos erklärte und steht heute auf der Payroll von ExxonMobil (Aufgrund eines achtseitigen Memos, das Newsweek zugespielt wurde, wurde ein Treffen in der Zentrale des American Petroleum Institute im April 1998 bekannt, auf dem unter Beteiligung von Fred Singer an PR-Strategien gearbeitet worden war, in der Öffentlichkeit gezielt Unsicherheit über den Stand der Klimaforschung zu verbreiten, um so Einfluss auf politische Entscheidungsträger zu nehmen. An dem Treffen waren auch Vertreter von Exxon und konservativen Think Tanks beteiligt.); der zweite ist Kulturwissenschaftler und beschäftigt sich  mit der (natürlich übertriebenen) Angst der Menschen vor Katastrophen; der dritte spricht dem IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change) die Wissenschaftlichkeit ab – eine ziemlich zwielichtige Gesellschaft, die in der Zeitschrift „novo“ eilfertig zu einer „Phalanx der Kritiker“ hochgejuxt wird.

Drei Tage vor der Kopenhaganer Konferenz  trommelte diese Phalanx auf Einladung der FDP-nahen Naumann-Stiftung in Berlin ihre eigene „Internationale Klimakonferenz“ zusammen. Hauptredner: Fred Singer, Guru der Klimaleugner. Das mit einladende „Committee for a Constructive Tomorrow“ (CFACT) aus Washington ist von Chevron, DaimlerChrysler, Ford und Exxon einschlägig finanziert. Greenpeace USA hat im Internet 145 Institute zusammengestellt, die von Exxon-Geld leben – 22 Millionen Dollar seit 1998. CFACT will „Klima-Alarmismus“ (in den USA „Climate-McCarthyismus“) bekämpfen. „Executive Director des Netzwerkes CFACT Europe“ ist Holger Thuss, Jenaer CDU-Politik-Nachwuchs, auch „Präsident“ des Vereins EIKE (Europäisches Institut für Klima und Energie), dessen Webseite vor Hass auf die Klimaforschung trieft. „Klimalüge widerlegt“ und „Wie viele Menschenleben kostet erneuerbare Energie?“ heißt es da . „Nicht das Klima ist bedroht, sondern unsere Freiheit“. Oder: „Die dämonisierte chemische Verbindung ist ein Segen für die Pflanzen und korreliert nur wenig mit der globalen Temperatur.“ (eike-klima-energie.eu)

CFACT steht in Umweltkreisen stark in der Kritik, da es sich aus Spenden US-amerikanischer Lobbygruppen und Denkfabriken finanziert und beispielsweise von ehemaligen Mitarbeitern der Kohleindustrie in Beiräten vertreten wird. Von 1998 bis 2007 erhielt CFACT in Summe etwa 600.000 US-Dollar vom Ölkonzern ExxonMobil. Im Jahr 2010 erhielt CFACT ca. 1.280.753 US-Dollar, etwa 45 % seines Budgets, vom Donor’s Trust, einer Organisation, die Privatspenden, so zum Beispiel einer mit Koch Industries verbundenen Stiftung, anonymisiert an Organisationen und Projekte weiterreicht (Wikipedia).

Der US-Physiker und Lobbyist Kenneth Green räumt zwar die Erderwärmung ein, das sei aber kein Grund für Aktionismus. Wenn in Bangladesch der Meeresspiegel steige, sei das so schlimm auch wieder nicht. Die Menschen dort besäßen ohnehin wenig, sie könnten leicht von den Küsten ins Inland umziehen. Zynisch findet Green das nicht. Zynisch seien neue Steuern. Lobbyisten wie er fuhren allein 2008 90 Millionen Dollar ein. Laut „Center for Public Integrity“ hatten damals 770 Unternehmen 2.340 Einbläser zur Politik-Beeinflussung auf der Payroll, die vor keinem noch so abstrusen Argument zurückschrecken. Etwa: Die Ökosysteme seien „nicht zerbrechlich“, sondern „stark, widerstandsfähig, von Gott mit Weisheit erschaffen“. Inzwischen glauben denn auch mehr als 50 Prozent der Amerikaner nach einer jüngst publizierten Studie, die globale Erderwärmung aufgrund von Treibhausgasen sei schlicht erfunden.

Maxwell T. Boykoff und Jules M. Boykoff prägten das Wortspiel Balance as bias und stellten eine deutliche höhere Präsenz von Kritikern der IPCC-Berichte in der öffentlichen und politischen Diskussion als im fachwissenschaftlichen Bereich fest. In der Mehrzahl einer Auswahl untersuchter Zeitungsartikel der US-Qualitätspresse und des Fernsehens aus den Jahren bis 2003 wurde von den verantwortlichen Journalisten versucht, beide „Seiten“ der Klimaforschung darzustellen und daher den Argumenten von Klimaforschung und Klimaskepsis gleich viel Platz einzuräumen. Diese vermeintliche Ausgewogenheit führte dazu, dass in den Medien der falsche Eindruck grundlegender Dispute in der Klimaforschung erweckt werde, während in der wissenschaftlichen Gemeinschaft die Skeptiker nur eine geringe Rolle spielten. In ihrer Studie über die Berichterstattung über den Klimawandel in der US-Qualitätspresse schreiben die Autoren, dass knapp 6 % der untersuchten Zeitungsartikel von klimatologischen, wissenschaftlichen Argumenten dominiert waren. Über 35 % boten eine „überwiegende“ Darstellung dieser Argumente, während knapp 53 % eine gemischte und vermeintlich „ausgewogene“ Darstellung wählten. Weitere 6 % verwendeten ausschließlich die Argumentation der Skeptiker.

Eine Umfrage bei 1.500 US-Amerikanern ergab drastische Veränderungen in der Beurteilung der Klimakrise und ihrer Verursachung. Im Jahr 2008 waren 71 % der Befragten der Meinung, dass es gesicherte Befunde zur globalen Erwärmung gebe, im Jahr 2009 waren nur noch 57 % dieser Meinung. Von den Befürwortern glaubten 2009 nur noch 36 % an eine menschliche Verursachung (2008 noch 47 %). In Deutschland zeichnet sich eine ähnliche Entwicklung ab. Laut einer Umfrage in Hamburg vertraten 2008 63 % der Befragten die Meinung, dass der Klimawandel eine ernste oder sehr ernste Bedrohung darstellt, 2011 waren es nur noch 44 %. Entsprechend stieg der Anteil derjenigen, die in der globalen Erwärmung kein Problem sahen, von 6 % in 2006 auf 12 % in 2010.

Die CO2–Freunde behaupten allen Ernstes, die Klimaschützer hätten sich weltweit nicht nur zum Abzocken gigantischer Drittmittel verschworen, sondern in Wirklichkeit wollten sie Öko-Diktaturen errichten, mit ihren Untergangsszenarien die Demokratie aushebeln.  Thomas L. Friedman nennt in der New York Times die gesamte Kampagne „funded by big oil“ (vom großen Öl bezahlt).

Scheinbar seriösere Verharmloser bezweifeln die Computersimulationen des IPCC, verlangen gar, die Forscher sollten ihre Schlussfolgerungen beweisen. Doch Beweise zu fordern, ist unwissenschaftlich. Wissenschaftlich korrekt ist seit Carl Popper das Falsifizieren, nicht das Verifizieren. Das IPCC spricht denn auch immer nur von hoher Wahrscheinlichkeit. Der unwiderlegbare Beweis liegt erst dann vor, wenn die Katastrophe faktisch eingetreten ist. Politik muss aber vorher handeln, ohne auf Beweise zu warten. Die Bezeichnung Klima-„Skeptiker“ ist falsch – Skepsis sollte die wissenschaftliche Grundhaltung sein. Doch daran hat es die Zunft gelegentlich fehlen lassen, manche haben Gegenmeinungen allzu hochnäsig abgetan, es den Kritikern dadurch leicht gemacht. Etwas von dieser Haltung zeigt sich in den gehackten Mails der Gruppe um Phil Jones. Im Zulassen anderer Meinungen, im ernsthaften Beschäftigen damit liegt wissenschaftliche Professionalität. Das heißt nicht, dass man jeden Unsinn wie den oben Erwähnten bzw. das Folgende aus einem Web-Blog erst einmal akzeptieren muss: „Schade, das Pflanzen nicht sprechen können. Mich würde interessieren was sie dazu zu sagen hätten, dass ein Haufen Klimahysteriker ihnen ihre Lebensgrundlage, nämlich das CO2, wegnehmen wollen.“

Übrigens stammt das Zwei-Grad-Limit gar nicht von einem Klimaforscher – es ist eher zufällig entstanden. Der an Umweltfragen interessierte US-Ökonom und spätere Nobelpreisträger Nordhaus zeichnete es 1975 in die Grafik eines Diskussionspapiers. Damals schon überstieg die von ihm erwartete Erwärmung diese Grenze im Jahr 2040. Die globale Mitteltemperatur dürfe niemals den Maximalwert der vergangenen 100.000 Jahre überschreiten, warnte er. Jahre später fand das Limit in offizielle Entwürfe – 1995 zitierte es dann der Wissenschaftliche Beirat Globale Umweltveränderungen der Bundesregierung. Obwohl die willkürlich gewählte Zahl womöglich zu hoch liegt, ist im öffentlichen Bewusstsein aus der keinesfalls zu überschreitenden „Grenze“ inzwischen ein anzustrebendes „Ziel“ geworden. Ein fataler Bedeutungswandel. Fatal deshalb, weil der Mensch zum ersten Mal in seiner Geschichte unumkehrbare Veränderungen auslöst.

Wir haben bisher keinen besonderen Handlungsdruck empfunden – weil wir nicht gewohnt sind, in zeitlich oder räumlich größeren Dimensionen zu denken. Wir reagieren wie das gebrannte Kind sofort auf sofort eintretende Wirkungen – bei Wirkungsverzögerung setzt unser Reaktionsschema aus. Weil der Schlag mit dem Hammer auf den Daumen weh tut, versuchen wir ihn nach dem ersten Mal tunlichst zu vermeiden. Träte der Schmerz aber erst in drei Jahren ein, und wäre mit dem Daumenhauen ein Vergnügen oder ein Gewinn verbunden – wir täten’s dauernd. Die Älteren unter uns fanden es noch normal, dass unsere Väter die leere Zigarettenschachtel aus dem Auto warfen; heute ist das zwar schwer verpönt – es gibt also Hoffnung, dass wir bald anders mit fossiler Energie umgehen – aber der Mentalitätswandel nahm Zeit in Anspruch. Umdenken geht nicht plötzlich. Dennoch: Es eilt.

Das Thema und seine Folgen sind weder zeitlich noch räumlich so weit weg. Spanien trocknet aus. Nirgendwo in Südeuropa ist die klimabedingte Wüstenbildung so weit fortgeschritten wie auf der iberischen Halbinsel. Bei Almeria sieht es heute schon aus wie auf dem Mond. Die Sahara beginnt bald diesseits der Straße von Gibraltar. Der spanischen Wirtschaft, vor allem Fremdenverkehr und Ackerbau drohen Milliardenausfälle. In den Pyrenäen sind von (vor 100 Jahren) 27 Gletschern noch neun übrig – nicht mehr lange.

Die Sorgen der pazifischen Atollbewohner sind bekannt – weniger bekannt das Elend der Ärmsten wie Haiti. Dort haben die Tropenstürme aus Armut Elend gemacht. 243 Millionen Menschen sind jedes Jahr von Naturkatastrophen (deren Zahl sich in zehn Jahren fast verdoppelt hat) betroffen, die mit dem Klimawandel zu tun haben. 2008 verließen 20 Millionen Klimaflüchtlinge ihre Heimat, bis 2040 wird es eine Milliarde sein.

Spätestens seit Nicholas Stern wissen wir: Klimaschutz und Armutsbekämpfung gehören zusammen. Es geht jenseits des Klimas um Gerechtigkeit. Denn die Atmosphäre gehört allen gleich und alle leiden unter ihr – einige stärker. Aber wir Reiche verbrauchen mit einem einzigen Flug nach Mallorca die Hälfte der uns künftig zustehenden Jahresdosis von zwei Pro-Kopf-Tonnen CO2, wir haben seit 1850 drei Viertel der Treibhausgase in die Luft geblasen, und damit unseren heutigen Luxus und Reichtum entwickelt – zum Teil durchaus auf Kosten der heutigen Entwicklungsländer. Nicht umsonst hieß bereits die Umwelt-Konferenz 1992 in Rio de Janeiro UNCED, für Umwelt und Entwicklung. Mit jedem Prozent Anstieg des weltweiten Pro-Kopf-Vermögens aber war bisher auch ein Prozent mehr CO2–Ausstoß verbunden. Ab 2017 müssen die CO2-Emissionen sinken, sonst wird ein nicht mehr kontrollierbarer Automatismus in Gang gesetzt. Es muss sich also schnell etwas ändern. Und Änderung ist ohne Wohlstandseinbuße möglich. Dafür liegen Beweise vor.

Dieser Essay erschien  im Januar 2010 in der Neuen Gesellschaft/Frankfurter Hefte und wurde aktualisiert.