DIW: Kosten für Atom unter-, für EE überschätzt

Umstieg auf erneuerbare Energien schneller möglich – DIW-Forscher fordern anspruchsvollere EU-Ziele für 2030

Die Europäische Kommission „unterschätzt“ bei der Planungen ihrer Energiepolitik „systematisch die Kosten der Atomkraft und Kohlenstoffdioxid-Abscheidung, während sie die Kosten erneuerbarer Energien überschätzt“. Das geht aus dem aktuellen Wochenbericht des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) hervor. Laut der Studie stützen sich die Planungen einerseits auf noch nicht ausgereifte Technologien und andererseits auf in wesentlichen Teilen nicht mehr aktuelle Kostenschätzungen.

„Atomstrom kann aufgrund der hohen Sicherheitsrisiken nicht wirtschaftlich angeboten werden, und die Hoffnungen auf eine ökonomisch und technisch realisierbare CO2-Abscheidung wurden zuletzt nicht nur in Deutschland, sondern weltweit gedämpft“, erklärt Claudia Kemfert, Leiterin der DIW-Abteilung Energie, Verkehr, Umwelt. Die Produktivitäts-Fortschritte bei erneuerbaren Energien hingegen seien in den vergangenen Jahren bahnbrechend gewesen, so Kemfert – insbesondere in der Solar- und Windenergie. „Erneuerbare Energien sind somit die einzige Option für eine nachhaltige und CO2-arme europäische Stromwirtschaft.“

Kosten der Photovoltaik schon heute teilweise niedriger als für 2050 erwartet

Die Europäische Kommission hat in ihrem Grünbuch „Ein Rahmen für die Klima- und Energiepolitik bis 2030“ dazu aufgefordert, Einschätzungen für umwelt- und energiepolitische Entwicklungen jenseits des Jahres 2020 zu entwickeln. Die vom DIW Berlin festgestellte Kostenüberschätzung bei erneuerbaren Energien gilt insbesondere für die Photovoltaik, deren Kapitalkosten bereits heute zum Teil unterhalb der Werte liegen, die die Kommission für das Jahr 2050 erwartet.

„Europa braucht anspruchsvolle Ziele für erneuerbare Energien, damit diese die historisch entstandene und politisch geförderte Vormachtstellung von Atomkraft und fossiler Energieerzeugung mittelfristig ablösen können“, sagt Kemfert. Die Analysen des DIW Berlin belegen die starke Benachteiligung der erneuerbaren Energien im Referenzszenario der EU von 2011. „Eine aktualisierte Berechnung für das Grünbuch 2030 wurde – entgegen der Ankündigungen – bisher nicht vorgelegt“, so Kemfert.

Atomkraft und CO2-Abscheidung als Pfeiler künftiger Stromversorgung nicht geeignet

Besonders eklatant ist die „Kleinrechnung“ der Kosten von Atomstrom in den 2011 erstellten Szenarien, welche einen weiteren Anstieg der Kernkraftwerks-Leistungen von derzeit 120 auf über 140 GW voraussagen. „Weder in Europa, noch an einem anderen Ort dieser Welt ist jemals ein Atomkraftwerk unter marktwirtschaftlichen Bedingungen gebaut worden. Lediglich die Formen der staatlichen Subventionierung unterscheiden sich“, sagt Christian von Hirschhausen, Forschungsdirektor am DIW Berlin in einem Interview. „Übliche Kostenschätzungen für Atomkraft beinhalten oft nicht den Rückbau der Anlagen sowie die Endlagerung des Atommülls, ganz zu schweigen von den enormen Kosten möglicher Großunfälle wie in Fukushima oder Tschernobyl.“ Gegen solche Schäden würden sich die Unternehmen nicht ausreichend versichern. „Das finanzielle Risiko wird vom Staat, also uns allen getragen“, so von Hirschhausen. Hinsichtlich der CO2-Abscheidung ermittelte die Europäische Kommission im Rahmen der europäischen Szenarien für das Jahr 2020 eine Kapazität von über fünf Gigawatt, was etwa zehn mittelgroßen Anlagen entspricht. Tatsächlich wurde die Technologie bisher aber noch an keinem einzigen Standort innerhalb der EU eingesetzt.

„Die Europäische Kommission sollte umgehend aktualisierte Modellrechnungen bereitstellen, um der Energiepolitik transparente und nachvollziehbare Szenarien als Entscheidungshilfe an die Hand zu geben“, fordert Kemfert. „Es ist unerlässlich, dass Europa künftig weiterhin konsequent auf den Ausbau erneuerbarer Energien setzt.“ Dazu müssten anspruchsvolle Ziele für das Jahr 2030 definiert werden, kombiniert mit klaren Emissionsreduktions- und Effizienzzielen.
->Quelle(n): diw.de; DIW Wochenbericht 29/2013; Interview Christian von Hirschhausen