Alles Bio – Schöne neue Welt?

Neues Buch über Risiken und Chancen der Bioökonomie

Christiane Grefe und Harald Schumann - Foto © Gerhard Hofmann, Agentur Zukunft 20160218 Die „Quadratur des Kreises“ nannte Christiane Grefe die Notwendigkeit, unsere Gegenwartsprobleme gleichzeitig zu lösen: Zum einen dürften wir aus Klimaschutzgründen so bald wie möglich keine fossilen Energieträger mehr nutzen, zum anderen, wenn wir gesund leben wollten, immer weniger Kunstdünger, Pesti- und Herbizide aufbringen – und schließlich müssten wir auch noch die umstrittene Gentechnik eindämmen. Die ZEIT-Autorin („Der globale Countdown“, „Ende der Spielzeit“, „Klimawechsel“, „attac“) stellte am 18.02.2016 in Berlin (Foto: Im Interview mit Harald Schumann) ihr neues Buch „Global Gardening – Risiken und Chancen der Bioökonomie“ vor:  In der folgenden Präsentation wird besonderer Wert auf den Energiebereich gelegt – der, wohlverstanden, nur einen Teil des Gesamtspektrums der Bioökonomie darstellt.

Die bereits hoch entwickelte, aber öffentlich weitgehend noch kaum bekannte Bioökonomie könne eine Lösung für den „Kreis“ darstellen, wenn sie den Konflikt zwischen Tank und Teller vermeiden helfe, wenn sie die Übernutzung bzw. Degradation von Böden beenden und nicht nur zur Schaffung von Monokulturen für Groß-Agrarkonzerne beitrage. Ob die Bioökonomie aber „die Wirtschaftsform des 21. Jahrhunderts“ sei, oder sich eher als problematisch, als „Neuauflage der Gentechnik durch die Hintertür“ herausstelle, diese Frage sei offen. Jedenfalls sei die Bioökonomie ein „starker Eingriff in unsere Form des Wirtschaftens“.

Christiane Grefe Global Gardening - TitelAus dem Klappentext: „Autoreifen aus Löwenzahn, Plastik aus Kartoffeln, Sprit aus Zucker oder Flugkerosin aus Algen: von einer ‚wissensbasierten Bioökonomie‘ erhoffen sich ihre Förderer Lösungen für die zentrale Frage des 21. Jahrhunderts: Wie können in Zeiten des Klimawandels immer mehr Menschen von immer weniger Ressourcen mit Nahrung, Energie und Materialien zugleich versorgt werden?
Dabei konkurrieren Getreide und Futtermittel, Energiepflanzen, Fasern und Naturlandschaften für den Erhalt der Biodiversität schon jetzt um Flächen, Wasser und Boden. Wer in Ministerien, Konzernlaboren und Biotechnologie-Startups nachfragt, stößt auch auf andere Interessen: An neuen Forschungsgeldern, Produktideen, Märkten und der Sicherung der Ressourcen in Entwicklungsländern.
In Zukunft soll die synthetische Biologie Lebensformen neu konstruieren. Ist Bioökonomie also ein „totalitärer Ansatz“, wie Kritiker warnen oder sind neue Technologien sinnvoll? Wie müssen sich Handelsregeln, Forschungspolitik und Agrarsubventionen ändern, damit globale Vielfalt erhalten bleibt? Und wer entscheidet darüber? Die Journalistin Christiane Grefe ist diesen Fragen nachgegangen, hat mit Politikern gesprochen, mit Ökologen, Naturschützern und Bauern. In spannenden Reportagen, Streitgesprächen und Analysen zeigt sie Risiken wie Chancen der Bioökonomie – und wie nötig eine Debatte darüber ist, welche Natur wir in Zukunft wollen.“

Vor sechs Jahren ist die Autorin auf das Thema gestoßen, als die damalige Landwirtschaftsministerin Ilse Aigner zusammen mit sechs weiteren Ministern und dem Kanzleramt die neue Bioökonomie propagiert habe. „Die Kanzlerin ließ es sich im Oktober 2012 nicht nehmen, das neue Fraunhofer-Zentrum für Chemisch-Biotechnologische Prozesse (CBP) in Leuna mit einer Rede zur hohen Bedeutung der Bioökonomie selbst zu eröffnen“ (siehe solarify.eu/kanzlerinnen-besuch-bei-fraunhofer), schreibt sie im Buch. Möglicherweise , so Christiane Grefe, bedeute die neue Wirtschaftsform für das aufkommende Anthropozän, wo der Mensch allem seinen Stempel aufdrücke, einen ähnlichen Einschnitt wie das Neolithikum in der frühen Menschheitsgeschichte. Der Begriff stamme aus den 80er Jahren, aus der Wachstumskritik, aus der Kritik an der Übernutzung unserer Böden und deren Verseuchung durch chemische Substanzen, der Rückbesinnung auf eine neue Bescheidenheit der Lebensführung.

Neu sei auf jeden Fall die Geschwindigkeit, mit der dank Big Data alles ablaufe mit radikalen Auswirkungen auf die Biotechnologie, die Landwirtschaft, die Veränderungen von Genomen, die synthetische Biologie – Stichwort „Fortschreibung der Gentechnologie mit anderen MIttel bis hin zu künstlichem Leben – aber alles noch im Frühstadium“. Ein Beispiel: Glyphosphat habe inzwischen 60 Prozent Resistenzen ausgelöst. Nun müsse Produktivitätssteigerung bei Pflanzen neu entwickelt werden, mit neuen Strategien, weniger Pestiziden, mehr wissens- und datengestützter Landwirtschaft. Es müsse beispielsweise betrachtet werden, wie Pflanzen aufeinander reagierten, einander vor Schädlingen schützten, wachstumsfördernd aufeinader reagierten.

Biosprit – Leuna

„Keineswegs aufgegeben“ sieht Grefe in Europa die Hoffnung „auf den Biosprit der Zukunft“. Dazu zitiert sie das Karlsruher KIT-Projekt „BioSnycrude“ (Sprit aus Stroh), die niederbayerische Clariant im „BioCampus Straubing“ mit ihrem „Sunliquid“- Verfahren (Ethanol aus Stroh). Insgesamt würden 20 Typen von Bioraffinerien in Deutschland getestet, mit verschiedensten Grundstoffen: Gras, Grassilage, Pflanzenöle oder Zuckerrüben, nicht nur für die Treibstoffproduktion. „Bislang zielte die Förderung nachwachsender Rohstoffe in erster Linie auf Verbrennung als Biogas, Holzpellets oder Biodiesel. Doch das soll sich ändern, die energetische Nutzung soll möglichst nur noch der letzte Schritt sein.“

Natürlich kommt Grefe auf Leuna zu sprechen – immerhin arbeiten dort rund 90 Chemiefirmen – im Mittelpunkt das neue Fraunhofer-Zentrum für Chemisch-Biotechnologische Prozesse (CBP). Hier soll Holz komplett in neue Produkte übergeführt werden – als Rohstoff dienen Buchen-Hackschnitzel aus dem Harz. Verbrennung sei Verschwendung heißt es in Leuna, Mehrwert könne geschaffen werden, wenn auf unterschiedlichen Pfaden Ausgangsprodukte für die energetische und vor allem chemische Nutzung hergestellt würden. Aber der Energieverbrauch bei der Verarbeitung müsse gesenkt werden. Denn der sei noch zu hoch, „weshalb einige Experten den Versuch eher kritisch sehen, Biorohstoffe in ähnlicher Weise wie Öl erst in niedermolekulare Kohlenwasserstoffe zu zerlegen – und sie dann zu hochmolekularen Chemikalien wieder aufzubauen. Interessanter sei, die Stoffe direkt so zu nutzen, wie sie vielfältige Holz- und Pflanzenarten bereitstellen.“

Ein erweiteres Projekt ist die Energieumwandlung mittels Algen. Die bioökonomischen Alleskönner könnten Biosprit, Öle, Chemikalien, Nahrung und vieles mehr produzieren, und zwar deutlich effizienter als andere erneuerbare Quellen. Denn Algen wachsen zwölfmal schneller als Pflanzen und enthalten deutlich mehr Öl. Aber: Sie brauchen Licht, und deshalb viel Platz. Zwei weitere Großprojekte in Leuna zielen auf die biotechnologische Herstellung von Isobuten und Bernsteinsäure aus nachwachsenden Rohstoffen zur Produktion von Kunst- und Treibstoffen, chemischen Grundstoffen, Arzneimitteln, Lebensmittelzusätzen und Polymeren.

Ausgehend vom einst in Leuna vorangebrachten Haber-Bosch-Verfahren, mittels dessen „die technikgetriebene Landwirtschaft das Wachstum der Pflanzen jahrzehntelang mit Hilfe von Energie und Chemie auf Erdölbasis gesteigert“ habe, erläutert Grefe, wie die „neue grüne Revolution“ nun versuche, den Prozess „gewissermaßen umzudrehen: Statt Pflanzen aus Energie und Chemie soll es mit Hilfe der bioökonomischen Forschungsansätze Energie und Chemie aus Pflanzen geben. Und auch jenseits dieser Umdrehung sind der Phantasie keine Grenze gesetzt.“

Biosprit – Afrika

Jatropha, Purgiernuss – Foto © Henning, CC BY-SA 2.5 commons.wikimedia.org

Jatropha, Purgiernuss – Foto © R. K. Henning, CC BY-SA 2.5 commons.wikimedia.org – www.Jatropha.org

Die „Wunderpflanze“ Jatropha, auf deutsch Purgiernuss, erzeugte in Tansania eine Scheinblüte der angeblichen Biospritherstellung. Ihre Samen enthalten ein diesel-ähnliches Öl, sie wächst auch auf schlechten Böden, schützt vor Erosion und liefert Tierfutter. Sofort erwarben mehr als 40 ausländische Unternehmen große Ländereien und investierten binnen kurzem in die Biosprit-Produktion. Aber: Jatropha wuchs zwar auch auf kargem Land, doch die Erträge waren zu niedrig. Finanzkrise und sinkende Ölpreise besorgten den Rest – der damalige tansanische Landwirtschaftsminister lakonisch: „Unser erstes Bioenergie-Wunder starb ganz langsam einen natürlichen Tod.“ Die einheimischen Bauern hatten ihr Ackerland abgegeben, oft viel zu billig – und alles verloren. Eine schwedische Firma (Bagamoyo EcoEnergy, eine Tochter der schwedischen EcoEnergy Africa) will auf einer aufgelassenen Rinderzucht-Ranch Zucker und Ethanol teils für den Export herstellen und außerdem Strom ins Netz einspeisen. Doch ihr Beteiligungsmodell, ein 500-Millionen-Dollar-Projekt stagniert, wichtige Geldgeber zogen sich zurück – Überkapazitäten erschweren den Absatz.

Zudem fragten Kritiker bald, warum der wertvolle Zucker, das Palm- und das Jatropha-Öl, wenn sie schon energetisch genutzt würden, nicht den Einheimischen zugute kämen: „Wir produzieren Ethanol und Biodiesel“, zitiert Grefe einen NGO-Direktor, „beladen damit Schiffe in Daressalam und überqueren den Ozean, um Europa zu erreichen. Auf halber Strecke treffen sie dann auf arabische Schiffe, die schwer beladen mit Erdöl auf dem Weg nach Tansania sind … “ Trotz allem lohne es sich aber, so Grefe, das lokale Biomasse-Potenzial Afrikas „für Biogas und Kraftstoffe sensibel zu erschließen“. Bioenergie könne einen Energiemix ergänzen, „der für eine nachhaltige Entwicklung erforderlich ist und dazu beiträgt, in ländlichen Regionen die Armut zu überwinden“, urteilten internationale Experten, bei einer Tagung des Potsdamer lASS. Intensive Forschung müsse die Risiken klären – aber auch die Chancen. Bei Jatropha-Öl zum Beispiel ließe sich ja vielleicht doch noch mehr herausholen, wäre die Pflanze Teil eines ertragssteigernden Züchtungsprogramms. In Kenia und auch in Tansania experimentieren jedenfalls kleine Firmen mit Jatropha als Quelle für Dieselsprit.

Künstliche Photosynthese

Ein hochinteressantes Buchkapitel ist der künstlichen Photosysnthese gewidmet – hat die eine realistische Chance? „Schon seit den 20er Jahren des vergangenen Jahrhunderts ist an diesem Traum gearbeitet worden – und es ist wahrscheinlich ein Traum, vielleicht wie das Perpetuum Mobile. Wenn überhaupt handelt es sich um eine Frage von Jahrzehnten – die künstliche Photosynthese wird auf keinen Fall sofort realisierbar sein.“

„Doch weltweit geht die Suche weiter nach dem Perpetuum mobile, das menschliches Leben noch enger mit dem großen, strahlenden Fixstern verknüpfen, alle Energieknappheiten beenden … würde. Die künstliche Photosynthese könnte, so die große Hoffnung, eines fernen Tages sowohl Energie als auch chemische Produkte ohne Emissionen erzeugen und damit die wichtigsten Weltprobleme lösen.“

Grefe berichtet von Teilerfolgen, beispielsweise über den einer „Forschergruppe am MIT: Mit Hilfe von Katalysatoren erzeugte sie aus Wasser und Sonnenlicht Wasserstoff und Sauerstoff, die in einer sogenannten Brennstoffzelle miteinander reagieren und Strom erzeugen, …eine kostengünstige Energiequelle für arme Haushalte in Entwicklungsländern… Mit wenigen Litern Wasser und Sonne lasse sich genügend Wasserstoff herstellen, um eine Familie einen ganzen Tag mit Energie zu versorgen.“

Abb. 5: Komplettes Modell des OEC im S2-Zustand des Kok-Zyklus, aufgebaut durch Kombination der Röntgen-Kristallstruktur von Guskov et al. [2] mit dem zweiten OEC-Kern in Abbildung 4. Die Geometrie des konstruierten Modells wurde mit DFT-Techniken optimiert. Die violetten, roten, blauen, grauweißen und grünen Farben zeigen die Position von jeweils Mn, O, N, C, H, und Ca-Atomen. Der Übersichtlichkeit halber wurde die Mehrheit der Wasserstoffatome entfernt. © Max-Planck-Institut für bioanorganische Chemie

Forscherteams der Synthetischen Biologie seien dabei, „jeden einzelnen der bekannten biologischen Schritte des raffinierten Photosynthese- Prozesses“ zu untersuchen. „Zentrale Agenten dabei sind die Chloroplasten, jene Zellbestandteile, die Algen, Getreiden, Blumen, Sträuchern und Bäumen die grüne Farbe verleihen“ (Siehe auch: solarify.eu/neues-aus-der-photosynthese). So versuche im Projekt „Sun2Chem“ ein europäisch vernetztes Forscherteam die Chloroplasten so zu verändern, dass sie am Ende Ausgangsstoffe für Chemikalien, Bioplastik oder Biosprit liefern können. (siehe solarify.eu/photosynthese-domestizieren)

Das kalifornische Joint Center for Artificial Photosynthesis JCAP firmiert im Internet bezeichnenderweise unter solarfuelshub.org: „Mehr als 140 Experten unterschiedlichster Disziplinen arbeiten dort. In der JCAP- Werbung herrscht Euphorie: ‚Wissenschaftler träumen nicht davon, sie bauen schon dran‘. Doch das dürfte dem typisch amerikanischen Optimismus entspringen und auch der Notwendigkeit, mit frohen Botschaften Forschungsgelder zu akquirieren. Denn auch viele Fans der Bioökonomie halten die künstliche Photosynthese angesichts der Komplexität dieser gewaltigen Leistung der Evolution schlicht für einen weißen Elefanten.“

Dennoch haben Motive wie Energieversorgungssicherheit oder der drohende Peak Oil (vor allem in militärischer Hinsicht) die Suche nach Bio-Ersatzstoffen für Benzin und Diesel mehr befördert als aktuell der Klimawandel mit dem Bemühen um Emissionsminderungen. Und Grefe nennt ein „angesichts der drohenden globalen Knappheiten heute kaum mehr vorstellbares“ Motiv: „Überfluss“ – die (subventionierte) Überproduktion von Mais: Ethanol (wieder subventioniert) als Ausweg. Aber auch die EU wollte unabhängig von den meist aus unsicheren Gegenden kommenden fossilen Energieträgern werden. Vorreiter allerdings war Brasilien mit seiner Zuckerrohr-zu-Treibstoff-Initiative: Von 1976 bis 2004 mussten fast 55 Miliarden Euro weniger für Ölimporte ausgegeben werden.

Dekarbonisierung – Divestment

Obwohl die G7-Staaten in Sachen Klimaschutz wenig Tempo vorgelegt hatten, fiel beim Elmauer Gipfel das symbolische Wort „Dekarbonisierung“, der Verzicht auf vier Fünftel der fossilen Energieträger. Zunächst sind nun Sonne, Wind und Geothermie gefragt – aber die Erzeuger von Biogas, -sprit, -plastik oder -baumaterialien werden einen weiteren Teil der Fossilen ersetzen. „Und selbst jene Unternehmen, die heute noch zu den stursten Verursachern des Klimawandels gehören, werden langfristig daran verdienen wollen, ihn abzumildern.“ Die Folge: Investitionen in Kohle, Öl und Gas geraten in schlechtes Licht.

Und siehe da: Die Groß-Investoren „demonstrieren Liebesentzug – aus Sorge um Höhe und Sicherheit ihres Kapitals“. Denn der Wert der fossilen Konzerne hängt davon ab, wieviel noch Förderbares im Boden steckt oder glaubhaft vermutet wird – aber die globale Klimapolitik zielt im Gegenteil darauf ab, weniger davon zu verbrennen. Grefe zitiert als Beleg für ein politisches Signal, dass Großbritannien erklärt habe, aus der Kohle auszusteigen. Beim Erdöl sei es noch anders: „Darauf setzen Anleger weiter, schon weil es für den Verkehr zu wichtig ist“. Doch nach COP21 ändere sich die Sicht: Kronzeugen dafür sind der britische Ökonom Nicholas Stern, der renommierte Finanzexperte Sony Kapoor (solarify.eu/divestment-warnung-vor-fossilen-investments) und schließlich habe sich auch der „mächtige Chef der Bank of England, Mark Carney“ den Warnern angeschlossen (solarify.eu/klimawandel-und-finanzmaerkte).

In der Folge sei die „Divestment“-Bewegung dabei, „den ärgsten Emittenten das Geld zu entziehen“ (solarify.eu/keine-kohle-mehr-fuer-kohle-oel-und-gas), darunter inzwischen auch einflussreiche Anleger wie die Weltbank, die Allianz-Versicherung, die KfW-Entwicklungsbank oder die Rockefeller-Stiftung.

„Der norwegische Pensionsfonds: Wenn ein so mächtiger Investor den Kohlesauriern Vertrauen und Kapital entzieht, dann hat das Folgen. Seine Anlagepolitik betrifft auch Deutschlands größte Energieversorger E.ON und RWE. Laut der amerikanischen Beratungsfirma Arabella Advisors haben sich bis Oktober 2015 436 Institutionen und 2040 Einzelpersonen darauf verpflichtet, ihre Anlagen aus Firmen abzuziehen, die fossile Brennstoffe fördern oder vertreiben. Diese Investoren sollen insgesamt 2,6 Billionen Dollar verwalten. Seit Paris beraten Finanzexperten unter Hochspannung, wie sie den Transformationsprozess steuern und einen Finanzcrash verhindern können.“

Für Christiane Grefe ist all das ein Grund zum Optimismus: „Wenn die frei werdenden Summen in grüne Innovationen umgelenkt würden – dem Werbeslogan der HypoVereinsbank folgend: ‚Bei uns darf Ihr Geld auch mal was Gutes tun‘ -, dann dürfte auch die Bioökonomie profitieren“.

Christiane Grefe und Harald Schumann bei Buchvorstellung - Foto © Gerhard Hofmann, Agentur Zukunft 20160218„Nachdem die großen Anleger den Klimawandel mit verursacht haben, wollen sie nun eben am Kampf gegen ihn verdienen. ‚Raus aus der Kohle, um Kohle zu machen‘, so formuliert es Harald Schumann (Foto: bei der Buchvorstellung), ‚der Anfang vom Ende des fossilen Zeitalters ist nah. Da ist es besser, man steht mit seinem Geld auf der richtigen Seite.‘ Die Farbe Grün hat sich vom Signal für Weltrettung in ein Signal für Innovation und Wirtschaftsentwicklung verwandelt – für neue Wachstumschancen. Bei Kongressen von Washington über Berlin bis nach Kuala Lumpur steht auf den Podiumsbannern: ‚Sustainability ist der Business Driver'“.

Was ist eigentlich Bioökonomie?

Laut Christiane Grefe gilt die Bioökonomie heute „als jener Teil der ‚GreenEconomy‘, der biogene Ressourcen nutzt“. Der Begriff schließe die gesamte Ernährungspolitik und -wirtschaft ein und entscheide „über nicht weniger als den Umgang mit unseren natürlichen Lebensgrundlagen“. So werde „Bioökonomie als Dach über sämtlichen Wirtschaftsbranchen und -sektoren beschrieben, die aus Tieren, Wald- und Ackerfrüchten, Fischen, Mikroorganismen und Algen Produkte herstellen“.

„Eine große Effizienzrevolution soll sie in Gang setzen, und das zugleich bei allen ‚Sechs F‘: Food, Feed, Fuel, Fiber, Flowers & Fun – so schön knapp wie im Englischen kriegt man es auf Deutsch kaum hin. Alle Dinge, die uns ernähren, kleiden, fortbewegen und pflegen, aus denen wir Häuser bauen und Alltagsgegenstände herstellen, sollen zunehmend aus biologischen Quellen hergestellt und mit biologischem Wissen optimiert werden.“

Noch fehlen laut Grefe Antworten auf komplexe Fragen, z.B. wie sich Pflanzen und Flächen für Lebensmittel, Futtermittel, Treibstoffe, Papier und Fasern, Blumen und Erholungsgebiete am besten nutzen lassen – oder könne „Biomasse“ überhaupt „wundersam vermehrt werden“, indem alles ergiebiger gemacht und vielfältiger verwendet werde – das aber, so die jüngste Ausweitung der Definition, in „möglichst geschlossenen Kreisläufen“? Die Überschrift für all dies laute, „wie könnte es anders sein: Nachhaltigkeit“.

„Immerhin planen die Regierungen mit einiger Kühnheit etwas Richtiges: Sie wollten, so begründen sie ihre Vorstöße, die Forschungs-, Agrar-, Wirtschafts-, Verbraucher- und Entwicklungspolitik beim Thema (Bio-)Ressourcen nicht mehr neben- oder gegeneinander agieren lassen, sondern miteinander im Einklang auf Nachhaltigkeit trimmen. Das ist umso wichtiger nach dem politisch bedeutsamen Jahr 2015, indem sich die Weltgesellschaft auf Klimaschutz-Verpflichtungen und universelle nachhaltige Entwicklungsziele (Sustainable Development Goals) geeinigt hat. Denn nun gewinnt die Diskussion an Fahrt: Und wie, bitte, machen wir das? Wie setzen wir diese Ziele um?“

Christiane Grefe - Foto © privat

Christiane Grefe – Foto © privat

Christiane Grefe, geboren 1957 in Lüdenscheid, besuchte die Deutsche Journalistenschule und studierte Politikwissenschaft in München. Sie war freie Journalistin bei Natur, Geo Wissen und beim Magazin der Süddeutschen Zeitung und arbeitet seit 1999 als Reporterin für die ZEIT. Zuletzt erschien gemeinsam mit Harald Schumann Der globale Countdown.

Christiane Grefe: Global Gardening – Bioökonomie – Neuer Raubbau oder Wirtschaftsform der Zukunft? Verlag Antje Kunstmann, 320 Seiten, ISBN 978-3-95614-060-0, lieferbar ab 24.02.2016

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