WBGU: Unsere gemeinsame digitale Zukunft

Zukunftsentwürfe und Visionen zu Digitalisierung und Nachhaltigkeit

Aus diesen thematischen „Tiefbohrungen“ resultiert nicht nur konkretes Material für Handlungs- und Forschungsempfehlungen, sondern sie sind auch eine der wesentlichen Quellen, aus denen sich die Perspektive auf das Themenfeld insgesamt und die Botschaften des WBGU speisen.

Zukunftsentwürfe und Visionen zu Digitalisierung und Nachhaltigkeit

Das Kapitel 6 „Zukunftsentwürfe und Visionen zu Digitalisierung und Nachhaltigkeit“ veranschaulicht in knapper, narrativer Form verschiedene Diskurs- und Möglichkeitsräume. Das Kapitel fügt ausgewählte Elemente aus wissenschaftlichen und populärwissenschaftlichen Quellen zu utopischen bzw. dystopischen Erzählungen zusammen, die bereits heute angelegte Veränderungstrends in die Zukunft fortschreiben und illustrativ greifbar machen. Utopische und dystopische Aspekte sind jedoch nicht immer trennscharf, und die Einordnung unterliegt subjektiver Einschätzung und kulturellen Präferenzen. Die dystopischen Visionen verdeutlichen aber mögliche Grenzüberschreitungen, etwa die autoritäre Totalüberwachung der Menschen durch digital aufgerüstete staatliche Institutionen. Diese müssen heute schon antizipiert werden, um die Gefährdung von Nachhaltigkeitszielen frühzeitig im Ansatz erkennen sowie einhegen zu können.

Synthese

In Kapitel 7 „Synthese“ wird der Zusammenhang zwischen digitalem Wandel und der Transformation zur Nachhaltigkeit mit seinen fundamentalen Fragen in die Zukunft entwickelt. Es werden folgende drei „Dynamiken des Digitalen Zeitalters“ vorgestellt, die unterschiedliche, aber akute Handlungsbedarfe anschaulich machen (Abb. 2):

  1. Erste Dynamik: „Digitalisierung für Nachhaltigkeit“ – Digitalisierung nutzen, um das Erdsystem zu schützen und soziale Kohäsion zu sichern: Hier steht die Agenda 2030 mit den SDGs im Zentrum. Dabei geht es darum, dass die Digitalisierung einerseits wertvolle Beiträge leistet, um globale Umwelt- und Entwicklungsprobleme besser und schneller zu lösen. Andererseits kann Digitalisierung aber auch bestehende Nachhaltigkeitsprobleme massiv verstärken und ohne Gegensteuerung zu schweren gesellschaftlichen Verwerfungen führen.
  2. Zweite Dynamik: „Nachhaltige digitalisierte Gesellschaften“ – einen neuen Humanismus verwirklichen und digitalen Totalitarismus verhindern: Hier geht es um den Umgang mit den fundamentalen gesellschaftlichen Umbrüchen, die durch den digitalen Wandel ausgelöst werden. Auch hier zeigen sich positive und negative Entwicklungsmöglichkeiten mit entsprechenden Gestaltungsherausforderungen. Im positiven Fall gibt dies Hoffnung, dass die Digitalisierung uns einer humanistischen Vision für eine nachhaltige Weltgesellschaft des Digitalen Zeitalters näher bringt. Sie birgt aber im negativen Fall das Risiko, dass ausgehöhlte Demokratien und digital ermächtigte Autokratien die vorherigen Nachhaltigkeitserrungenschaften wieder zunichte machen.
  3. Dritte Dynamik: „Die Zukunft des Homo sapiens – Diskurse zu Grenzziehungen“: In dieser Dynamik geht es um die fundamentalste aller Nachhaltigkeitsfragen: die Zukunftsfähigkeit und Identität des Menschen selbst, eingebettet in die Gesellschaft sowie in die durch ihn umgestaltete Umwelt. Hier stellt der WBGU futuristisch anmutende, aber bereits heute sehr aktuelle Fragen.

Die zentrale Herausforderung für die Weltgemeinschaft besteht darin, eine gemeinsame Vorstellung für eine nachhaltige digital unterstützte Zukunft zu entwickeln.

Global Governance

In Kapitel 8 „Global Governance für die globale Transformation zur Nachhaltigkeit im Digitalen Zeitalter“ werden erste Vorschläge unterbreitet, wie sich die Weltgemeinschaft auf gemeinsame Leitkonzepte, Prinzipien, regulatorische und institutionelle Rahmenbedingungen sowie ethisch begründete Grenzen verständigen kann. Der EU kommt dabei eine besondere Rolle zu: zum einen bei der Entwicklung eines eigenen nachhaltigen digital unterstützten Zukunftsmodells, das sich von den existierenden Modellen in China und den USA unterscheidet, und zum anderen als Akteur auf der internationalen Ebene, der auf ein geteiltes Verständnis im multilateralen Verbund hinarbeitet. Der WBGU nimmt eine erste tentative Einschätzung von Nachhaltigkeitswirkungen und -potenzialen digitaler Technologien entlang der SDGs vor, regt eine Weiterentwicklung des bestehenden Nachhaltigkeitsverständnisses an und legt als Anstoß für globale Prozesse eine Charta für „Unsere gemeinsame digitale Zukunft“ vor.

Das Gutachten schließt mit Kapitel 9 „Handlungsempfehlungen“ und Kapitel 10 „Forschungsempfehlungen“ ab, die im Folgenden zusammengefasst werden.

Handlungsempfehlungen

Das Digitale Zeitalter bringt neue Herausforderungen für den Schutz der Grund- und Menschenrechte mit sich. Im Digitalen verändern sich die Schutzräume und Ausübungsmöglichkeiten dieser Rechte, so dass hier neue Vergewisserungen erforderlich sind. Die Menschenwürde ist dabei der zentrale unveränderliche Referenzpunkt. Die Unantastbarkeit der Menschenwürde dient in diesem Gutachten explizit als Orientie Zusammenfassung 19 rungshilfe für die nachhaltige Gestaltung der Digitalisierung. Eng damit verknüpft ist die Sicherstellung der Gemeinwohlorientierung und die Einbettung der digitalen Revolution in eine Strategie nachhaltiger Entwicklung. Dafür sind geeignete Rahmensetzungen und Grenzziehungen notwendig. Ohne aktive Gestaltung birgt der globale digitale Wandel zudem das Risiko, die Gefährdung der natürlichen Lebensgrundlagen der Menschheit weiter zu verstärken. In seinem Impulspapier „Digitalisierung: Worüber wir jetzt reden müssen“ hat der WBGU (2018) Fragenkomplexe formuliert, die in den folgenden Handlungsempfehlungen wieder aufgegriffen werden.

Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen

Derzeit verstetigt die Digitalisierung bestehende Trends zu steigenden Emissionen, steigenden Ressourcenverbräuchen, Übernutzung von Böden und Zerstörung von Ökosystemen und führt zur Produktion von immer mehr Elektroschrott. Die notwendige Trendwende in Richtung einer vollständigen Entkopplung der Digitalisierung von Emissionen und Belastung von Ökosystemen zeichnet sich nicht ab, obwohl zahlreiche internationale Abkommen bereits Ziele zur Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen formulieren. Diese müssen konsequent mit konkreten Politiken und Instrumenten auf nationaler Ebene und darüber hinaus unterlegt werden.

Der WBGU empfiehlt:

  • Digitalisierung zur umfassenden Bepreisung von Umweltgütern nutzen: Die vielfältigen Potenziale der Digitalisierung zum Monitoring sollten genutzt werden, um Ressourcenverbrauch und Schädigungen natürlicher Lebensgrundlagen umfassend durch Steuern und Abgaben zu erfassen, eine Entkopplung wirtschaftlicher Entwicklung von Umweltschäden zu erreichen sowie zugleich unerwünschte Rebound-Effekte von Umweltpolitiken zu vermeiden.
  • Digitalisierung für Dekarbonisierung und Klimaschutz im Energiesektor einsetzen: Potenziale digitaler Technologien sollten für den Umstieg auf erneuerbare Energiesysteme genutzt werden. Energie- und Ressourceneffizienz sollten als explizite Innovationsziele für digitale Technologien und Anwendungen etabliert werden.
  • Kreislaufwirtschaft, Ressourcennutzung und toxische Stoffe: Im Sinn der Kreislaufwirtschaft sollte vorausschauendes Produktdesign von Elektrogeräten Langlebigkeit und Reparaturfreundlichkeit einbeziehen sowie umwelt- und gesundheitsschädigende Ressourcennutzung vermeiden. Elektroschrott sollte effektiv recycelt und der illegale Export unterbunden werden.
  • Nachhaltige Landnutzung und Schutz von Ökosystemen sicherstellen: In der Landwirtschaft sollte Digitalisierung eingesetzt werden, um u. a. den Einsatz von Düngemitteln und Pestiziden zu verringern sowie um Anbauformen und Landschaftsgestaltung zu diversifizieren. Digital unterstütztes Monitoring hilft beim Schutz von Ökosystemen.
  • Welt(umwelt)bewusstsein und nachhaltigen Konsum durch Digitalisierung unterstützen: Digitale Informationspflichten zu externen Effekten von Produkten und Dienstleistungen sollten eingeführt und leicht zugänglich gemacht werden (z. B. über Footprints).
  • Gemeinwohlorientierte Plattformen mit Nachhaltigkeitsfokus sollten gefördert und die mit virtuellen Räumen und weltweiten Kommunikationsnetzwerken verbundenen Chancen genutzt werden, um transnationale Vernetzungen voranzubringen. Universitäten und Kommunen könnten Experimentierräume schaffen, um in virtuellen Räumen Weltumweltbewusstsein erfahrbar zu machen.
  • Unternehmen aktiv in die Gestaltung einer digitalisierten nachhaltigen Zukunftswirtschaft einbinden: Es sollten Anreize zur Transparenz der Wertschöpfungsketten geschaffen werden (wie z. B. Zertifikate und Produktlabels). Die öffentliche Beschaffung sollte entsprechend an Nachhaltigkeitszielen ausgerichtet werden.

Armutsbekämpfung und inklusive Entwicklung

Die Nutzung digitaler Technologien für Armutsbekämpfung und inklusive Entwicklung kann nur gelingen, wenn die dafür notwendige analoge Grundlage vorhanden ist und der Technologieeinsatz in eine Strategie für eine digitalisierte Nachhaltigkeitsgesellschaft integriert wird. Digitalisierung beeinflusst die Umsetzung aller 17 SDGs. Sie sollte daher zu einer Querschnittsaufgabe der Entwicklungspolitik werden, was voraussetzt, dass entsprechende Kompetenzen aufgebaut werden. Insbesondere sollten die digitalen Möglichkeiten für Ressourcen- und Klimaschutz umfassend genutzt werden. In der Zusammenarbeit mit Schwellenländern sollte es stärker um Dialog, Wissenschaftskooperation und Global Governance gehen. Vor diesem Hintergrund setzt der WBGU beispielhaft Schwerpunkte bei den Themen Infrastrukturen und Bildung, Stadtentwicklung und Mobilität sowie bei verbesserten Datenanwendungen Zusammenfassung 20 in der Entwicklungszusammenarbeit.

Der WBGU empfiehlt:

  • Analoge Basis wie Infrastrukturen und Bildung stärken: Die Nutzung digitaler Technologien zur Armutsbekämpfung bedarf zunächst der Überwindung der digitalen Kluft durch den Ausbau von Infrastrukturen, der Schaffung bezahlbarer Zugänge sowie der Förderung digitaler Kompetenzen.
  • Entwicklungszusammenarbeit durch Digitalisierung verbessern: Potenziell können mit der Integration datenbasierter Anwendungen in die Entwicklungszusammenarbeit neue Lösungsansätze entwickelt werden. Beispiele sind die Koordination humanitärer Hilfe nach einem Seuchenausbruch, die Kontrolle von Fangquoten in der Fischereiwirtschaft oder Monitoring- Systeme zur Messung von Entwicklungsfortschritten.
  • Digitalisierung der Städte an Nachhaltigkeitskriterien ausrichten und inklusiv gestalten: Damit die Nutzung digitaler Technologien in der Stadtentwicklung im Interesse des Gemeinwohls gelingt, müssen Kommunen und Stadtgesellschaften Gestaltungshoheit bewahren, Technologiesouveränität entwickeln und sich zu Plattformanbietern entwickeln.
  • Nutzung digitaler Technologien in Strategien nachhaltiger und inklusiver Mobilität einbetten: Städte sollten Leitbilder einer digital unterstützen, nachhaltigen urbanen Mobilität entwickeln, die Gesundheit und Lebensqualität ins Zentrum stellen. Digitale Lösungen sollten genutzt werden um individuellen motorisierten Verkehr zu vermeiden, den Zugang zu perspektivisch emissionsfreier öffentlicher Mobilität zu verbessern und den Rad- und Fußverkehr sicherer zu machen.

Folgt: Arbeit der Zukunft und Abbau von Ungleichheit