Lähmende Informations-Überflutung

Rätsel: Warum Menschen nicht auf Räumungsanordnungen hören

Forscher versuchen zu ergründen, warum die Hälfte der Bewohner, die im Supersturm Sandy in ihren Häusern ertranken, obwohl Evakuierungen zwingend vorgeschrieben waren, so beschreibt Thomas Frank, E&E News am 27.09.2019 das Rätsel, warum Menschen Räumungsbefehlen nicht Folge leisten. Beispiel: der Hurrikan Sandy, der 2012 an der US-Ostküste 117 Menschen tötete. Damals machten die Centers for Disease Control and Prevention eine überraschende Entdeckung: Die Haupttodesursache war Ertrinken, und fast die Hälfte der Ertrinkungstode ereignete sich in überfluteten Häusern, für die es amtliche Räumungsanordnungen gab.

Das Ergebnis half dem Kongress 2017, NOAA-Forscher anzuweisen, sie sollten untersuchen, wie die Öffentlichkeit Wetteralarme empfange, interpretiere und darauf reagiere, und wie bessere Warnungen zu formulieren seien. Aber zweieinhalb Jahre später – der Klimawandel verschärfte inzwischen Hurrikane und Gewitter – bleibt das Warnsystem fehlerhaft und die Öffentlichkeit missachtet weiterhin Räumungsanordnungen, sagten Experten am 26.09.2019 bei einer Anhörung im Kongress.

„Es bleibt noch viel zu lernen, wie man Prognosen am besten vermittelt“, sagte Ann Bostrom, Professorin für Umweltpolitik an der University of Washington, dem Parlamentsausschuss für Wissenschaft, Weltraum und Technik. Bostrom führte eine große Studie der National Academies of Sciences, Engineering and Medicine durch, die im vergangenen Jahr weitere Forschung zur Verbesserung der Wetterwarnungen empfahl. Aber angesichts der „sehr schwankenden“ Bundesfinanzierung in den vergangenen Jahren „besteht ein sehr großer Bedarf an zusätzlicher empirischer Forschung“, sagte Bostrom. „Die Fortschritte waren langsam.“

Social Media verstärkt schlechte Informationen und falsche Meinungen

Obwohl die Hurrikanprognosen in den letzten Jahrzehnten viel genauer geworden sind, werden viele Menschen, die einer Unwettergefahr ausgesetzt sind, durch die Flut von Informationen und Unsicherheiten verwirrt und überwältigt. Social Media hat der Öffentlichkeit einen besseren Zugang zu Warnungen und Prognosen ermöglicht, aber es verstärkt auch schlechte Informationen und falsche Meinungen, sagten Diskussionsteilnehmer dem Ausschuss.

„Wir stehen vor einer extremen Herausforderung, weil es alle Arten von Wettermeinungen und -prognosen in sozialen Medien gibt“, sagte J. Marshall Shepherd, Direktor des Programms für Atmosphärenwissenschaften an der University of Georgia und ehemaliger Präsident der American Meteorological Society. Shepherd kritisierte unverblümt Präsident Trump für seine jüngste unzutreffende Behauptung, dass Hurrikan Dorian Alabama treffen würde, als Prognosen zeigten, dass er weit östlich davon unterwegs war. „Wenn wir anfangen, die Expertenprognosen des National Weather Center und des National Hurricane Center in Frage zu stellen, untergräbt und gefährdet das meiner Meinung nach die Sicherheit unserer Bürger, denn wenn jetzt jemand  sagt: ‚Ich glaube nicht an die Prognose des National Hurricane Center‘, und dieser Hurrikan kommt in seine Richtung, kann er eine schlechte Entscheidung treffen“, sagte Shepherd.

Der demokratische Abgeordnete Sean Casten aus Illinois kritisierte Trump direkt und sagte, dass die hochentwickelten Sturmmodelle der Bundesregierung „mit einem Präsidenten mit einem Sharpie [Permanentmerker] konkurrieren müssen“. Hurrikanwarnungen konkurrieren auch mit der Wahrnehmung von Gefahren und der Fähigkei der Bewohner, das Haus zu verlassen, sagte Bostrom. „Die Menschen achten sehr auf Warnungen, insbesondere auf offizielle Warnungen. Sie sind sehr wichtig, um das Handeln der Menschen zu beeinflussen“, sagte Bostrom. Aber ob die Menschen die Räumungsbefehle befolgen, hängt davon ab, „was sie sich leisten können, von ihren eigenen Erfahrungen und dem, was ihre Nachbarn tun“.

Ende 2018, als der massive Waldbrand einen Großteil Nordkaliforniens verschlang, erhielten viele gefährdete Bewohner „nie einen offiziellen Räumungsbefehl“, sagte Bostrom und stellte fest, dass 84 Menschen starben. Während desHurrikans Sandy haben sich viele Küstenbewohner nicht auf die große Sturmflut vorbereitet, welche die Gemeinden verwüstete und Menschen tötete. „Die Menschen erwarten nicht, dass die Gefahren einer Sturmflut noch immer bestehen“, sagte Bostrom. „Wir müssen besser verstehen, wie wir die Gefahren der Sturmflut verbreiten können.“

Der republikanische Abgeordnete Brian Babin aus Texas sagte, dass viele Bewohner in seinem Bezirk außerhalb Houstons überrascht wurden, als der tropische Sturm Imelda mehr als einen Meter Regen abgelassen hat. Der Sturm hatte sich schnell verschärft, als er an Land ging. „Die Tatsache, dass wir diese Intensivierung nicht erfasst haben, hatte einen kontraproduktiven Effekt“,sagte Berrien Moore, Direktor des National Weather Center der University of Oklahoma. „Die Leute neigen dazu zu sagen, dass es unsicher ist, oder dass es nicht vorhergesagt wurde. Und das führt zu Untätigkeit. Unsere Modelle haben uns im Stich gelassen.“

->Quellen:  scientificamerican.com/conundrum-why-people-do-not-listen-to-evacuation-orders