Perspektivwechsel im Elektronengebirge

Genaues Bild der elektronischen Energieverteilung

Die Physiker haben an einen Bismut-Kristall mit zwei Mal acht Millimetern Grundfläche in verschiedenen Richtungen ein Magnetfeld angelegt, das sie allmählich erhöhten. Wenn die magnetische Feldstärke steigt, ordnen sich die für den Ladungstransport verantwortlichen Elektronen um. Das hat zur Folge, dass sich das Volumen des Metalls etwas ändert und die Probe sich abwechselnd ausdehnt oder zusammenzieht.

Mit einem extrem empfindlichen Dilatometer, das die Ausdehnung einer Probe misst, bestimmten die Forscher die winzigen Änderungen der Länge bei den verschiedenen Orientierungen des Magnetfeldes. Von der Längenänderung der Probe schlossen sie dann auf Änderungen der Elektronenverteilung in der jeweiligen Richtung des Magnetfeldes und zeichneten von dieser eine Art Reliefkarte. Physiker sprechen davon, dass sie die Energieverteilung oder Energiestruktur der Elektronen als Funktion des Magnetfeldes bestimmen. „Wir haben diese Reliefkarte von Bismut, die zeigt, wie sich die Elektronenstruktur mit dem Magnetfeld ändert, genauer ausgemessen, als das mit anderen Methoden bisher möglich war“, sagt Robert Küchler.

In Bismut gibt es in der Energiestruktur drei identische Minima, sogenannte Täler, in denen sich die Elektronen ansammeln können. Ähnlich verteilen sich Elektronen auch in anderen Materialien, wie etwa dem Halbleiter Silizium, auf verschiedene Täler. Im Silizium äußert sich diese Energieverteilung der Elektronen in genau den Eigenschaften, die das Material für die Chipindustrie so interessant macht.

In einem reinen Bismutkristall würden Physiker erwarten, dass sich wie im Silizium in den energetisch gleichen Tälern gleich viele Elektronen finden. „Überraschenderweise verteilen sich die Elektronen in Bismut aber nicht komplett gleichmäßig auf die drei Täler“, erläutert Lucia Steinke. „Bei bestimmten Magnetfeldern, werden die Täler unterschiedlich gefüllt oder entleert, sodass sich in der Reliefkarte deutliche Asymmetrien ergeben.“

Bismut-Elektronen spüren sich stärker als bei Metallen üblich

Dass sich Elektronen in augenscheinlich identischen Tälern unterschiedlich verhalten, erwarten Physiker eigentlich für komplexere Materialien wie etwa Keramiken, die wie eine Schichttorte aufgebaut sind. Derzeit können die Dresdner Forscher noch nicht endgültig erklären, warum sich auch Bismut so verhält. Aber sie haben bereits einen Verdacht. Denn möglicherweise interagieren die Elektronen des Bismuts stärker miteinander als die Ladungsträger gewöhnlicher Metalle. Das würde bedeuten, dass die Vorstellung, die Physiker von der elektronischen Ordnung in Metallen haben, im Bismut nicht mehr greift.

Das gängige Modell betrachtet die Elektronen, die in Metallen für Glanz und Stromtransport sorgen, als einen See. Der See dieser Leitungselektronen umspült die Atomrümpfe. Jedes einzelne Elektron sieht in dieser Vorstellung nur ein elektrostatisches Feld, das sich aus der Mittelung über die anderen negativen Ladungsträger in dem See und die positiv geladenen Atomrümpfe ergibt. „Diese näherungsweise Beschreibung gilt für Bismut offenbar nicht, weil sich manche seiner Elektronen untereinander stärker wahrnehmen, als das Modell von Metallen vorsieht“, sagt Robert Küchler. Auch darin ähnelt das Metall also eher komplexen Materialien, wie etwa manchen Keramiken.

Folgt: Neuartige Elektronik könnte elektronische Energieverteilung nutzen