„Bürgerwissenschaftler werden uns noch positiv überraschen“

Peter Finke im Solarify-Selbst-Gespräch über „die famose Erfindung des kostenlosen wissenschaftlichen Mitarbeiters“

Der Wissenschaftsforscher und einschlägige Buchautor („Freie Bürger, freie Forschung: Die Wissenschaft verlässt den Elfenbeinturm“) Prof. em. Peter Finke äußert sich im Solarify-Selbst-Gespräch über wichtige Fragen der gegenwärtigen Citizen Science-Debatte. Er findet, dass die Bürgerwissenschaft vielfach auf Voreingenommenheit stößt und von der überkommenen Wissenschaft zu Unrecht in die Dilettanten-Ecke gestellt wird. Das neue BMBF-Förderprogramm nennt er einen „Etikettenschwindel“, es sei nicht viel mehr als „ein Förderprogramm für Wissenschaftsprofis, die nach neuen Geldquellen Ausschau halten, die sie erschließen können, wenn sie sich Beschäftigungsaufgaben für kenntnisreiche Laien ausdenken“.

Solarify veröffentlicht Selbst-Gespräche unabhängig davon, ob sich Meinung oder Informationen mit denen von Solarify decken.

Welche Substanz hat die derzeit in Deutschland laufendende Debatte über Citizen Science? Ist sie informativ oder stiftet sie eher Verwirrung?

Sie findet keineswegs nur in Deutschland statt, sondern auch in Österreich und in der Schweiz, aber z.B. auch in den skandinavischen Ländern oder den USA und Kanada. Sie ist – was ja normal ist – sehr durchwachsen. Es gibt gute und sehr gute Beiträge, zum Beispiel das wissenschaftsgeschichtlich hervorragende Buch von Dominik Mahr, einige gute Zeitungs-Artikel, auch gut recherchierte Rundfunk-Sendungen oder das erfreuliche Engagement von Netzwerken, wie denen zur Forschungswende oder zur Wachstumswende. Aber es gibt leider einiges, das stark unter diesem Niveau bleibt.

Gibt es dafür Beispiele?

Leider steckt ausgerechnet der deutsche Wikipedia-Beitrag über Citizen Science voller Fehler, ist voreingenommen und trägt eher zur Verdummung als zum Gegenteil bei. Er ist mit Vorurteil geschrieben, weil dort offenbar nur die beruflich betriebene institutionalisierte Wissenschaft als solche anerkannt wird, was zu der – irrigen – Konsequenz führt, dass es nur um „Partizipation“ an dieser gehen kann, oder weil ein von purer Ignoranz gekennzeichneter FAZ-Beitrag zitiert wird, der Karl Popper als Kronzeugen gegen die Demokratisierung der Wissenschaft bemüht, also ausgerechnet den Autor von „The Open Society and its Enemies“!

Aber andererseits entspricht Wikipedia doch den Ideen von Citizen Science…

 Ja, deshalb ist es so ein Jammer, wie schlecht dieser Beitrag ist. Doch wer ihn dann gemäß der dort geltenden Regeln zu verbessern sich bemüht, trifft auf eine Korrekturmafia von paradigmentreuen Verteidigern dessen, was diese im Dunkeln agierende Wissenselite für die „richtige Auffassung“ hält. Meine Einschätzung war zu positiv, so, als hätte ich gesagt: Es gibt kein Problem mit der Freiheit der Wissenschaft, denn sie steht ja in unserer Verfassung. Das Ideal ist eine Sache, die Wirklichkeit eine andere.

Warum sind das BMBF und das „Konsortium“, die seit 2013 ein Citizen Science-Förderprogramm aufgelegt haben, zu kritisieren?

 Wer nur Profiwissenschaftler und ihre Standesorganisationen als Berater in einer Sache einlädt, um die man als Behörde bislang stets einen großen Bogen gemacht hat, aber keinen einzigen wirklichen Bürgerwissenschaftler, von denen wir Hunderte sehr erfahrener Leute in unserer Gesellschaft haben, darf sich über Kritik nicht wundern. Herausgekommen ist das, was bei dieser Eingabe fast zwangsläufig war: ein großer Etikettenschwindel, nämlich ein Förderprogramm für Wissenschaftsprofis, die nach neuen Geldquellen Ausschau halten, die sie erschließen können, wenn sie sich Beschäftigungsaufgaben für kenntnisreiche Laien ausdenken. Diese bekommen nichts, weil sie ja so schön „ehrenamtlich“ arbeiten. Ich nenne das „die famose Erfindung des kostenlosen wissenschaftlichen Mitarbeiters“. Ich weiß, wovon ich rede, denn ich war auch eingeladen.

Folgt: Wie hätte man es denn besser machen sollen?