Gespräch mit Dr. Anna Kerps (UMSICHT): „Wir schaffen eine Grundlage, die auch auf andere Länder zu übertragen ist“
Im Projekt Syschemiq arbeiten seit rund eineinhalb Jahren 21 Organisationen aus ganz Europa daran, Plastikrecycling in der trilateralen Region von Belgien, den Niederlanden und NRW zu verbessern. Dr. Anna Kerps, Abteilung Nachhaltigkeit und Partizipation bei Fraunhofer UMSICHT, erklärt im Interview, wie sich Systeme für das Sammeln, Sortieren und die Vorbehandlung von Plastik optimieren lassen, wie das Bewusstsein in der Gesellschaft für das Thema erhöht werden soll und warum Ökobilanzierungen so wichtig für das Design for Recycling sind.
Gibt es erste Ergebnisse?
Kerps: Wir Mitarbeitende von Fraunhofer UMSICHT haben eine umfangreiche Recherche zur aktuellen Sortiertechnik in Deutschland durchgeführt. Dabei ist uns aufgefallen, dass die Anlagenkapazitäten und die Technik teilweise große Unterschiede aufweisen. So weisen Untersuchungen darauf hin, dass derzeit beispielsweise nur ca. 19 % aller Anlagen schwarze Kunststoffe sortieren können. Auch Polystyrol als Monofraktion wird nicht in allen Anlagen als separate Fraktion abgetrennt. Gründe dafür sind, dass die Anlagen natürlich über viele Jahre betrieben werden und nicht alle dem gleichen Stand der Technik entsprechen. Das ist für eine einheitliche Untersuchung von Verbesserungsmöglichkeiten der Sammlung und Sortierung natürlich eine große Herausforderung.
Wie geht Fraunhofer UMSICHT mit dieser Herausforderung im Projekt um?
Kerps: Wir haben diese Herausforderungen systematisch erfasst und anschließend mit den Projektpartnern bewertet. In unserem Syschemiq-Expertenteam haben wir daraus eine Top 10-Liste mit Ideen entwickelt, wie die Sammlung, Sortierung und Vorbehandlung von Kunststoffen verbessert werden können. Beispiele sind eine Verbesserung der Trennung und Identifikation von schwarzen Kunststoffen, verbesserte Abfallsammelsysteme in der trilateralen Region, neue Analysetechniken an den Abfallsammelstellen vor Ort oder die Integration von KI-Technologien in der Sortierung, um die Qualität des Recycling-Inputs zu verbessern. Diese Ideen werden in weitere Arbeitspakete gespeist, die sich z.B. mit dem Design und der Entwicklung einer neuen Sortieranlage beschäftigen.
Wie sehen die Sammel- und Sortiersysteme von Verpackungen in den drei Ländern denn überhaupt aus?
Kerps: Wenn wir über die Landesgrenzen der trilateralen Region schauen, sind die Sammel- und Sortierpraktiken teilweise noch unterschiedlicher als innerhalb Deutschlands. In allen drei genannten Ländern – Deutschland, Niederlande und Belgien – gibt es ein System zur erweiterten Herstellerverantwortung (Extended Producer Responsibility, EPR) für Haushaltsabfälle. Diese Systeme verpflichten die Hersteller und Importeure von Verpackungen dazu, die Kosten für die Sammlung, Sortierung und das Recycling der Verpackungen zu tragen. Während es in Deutschland verschiedene produktverantwortliche Organisationen (die Dualen Systeme) gibt, die um Marktanteile konkurrieren, gibt es in den Niederlanden und Belgien jeweils nur eine verantwortliche Organisation für Haushaltsabfälle.
Die Hausmüllsammelsysteme in Belgien und Deutschland sind sehr einheitlich, während sie in den Niederlanden stark fragmentiert und lokal unterschiedlich sind. Das bedeutet, dass in den Niederlanden die Sammlung an der Quelle und/oder nach der Trennung in den einzelnen Gemeinden unterschiedlich sind. Sowohl Deutschland als auch die Niederlande wenden Pfandsysteme für PET-Flaschen und Metalldosen an. Das System in Deutschland ist das fortschrittlichste und umfasst auch Einweg-Plastikverpackungen für Getränke. In Belgien gibt es kein solches System, aber es wird über die Einführung eines PET-Pfandsystems diskutiert, das möglicherweise im Jahr 2025 eingeführt werden soll. In Bezug auf gewerbliche und industrielle Abfälle ist Belgien das einzige Land in der trilateralen Region, das ein EPR-System eingeführt hat.
Die kontinuierliche Entwicklung innerhalb der Sortierung von Verpackungsabfällen hat zu immer fortschrittlicheren Technologien in allen drei Ländern geführt, die immer stärker automatisiert sind und immer schneller und genauer arbeiten. Dies führt zu höheren Mengen und Ausbeuten sortierter Verpackungsabfälle, die mit höherer Effizienz zu hochwertigeren Strömen verarbeitet werden können. Betrachtet man die drei Regionen, so hinkt Belgien bei der Sortierkapazität noch ein wenig hinterher. Allerdings wird die Kapazität in den letzten Jahren durch den Bau von fünf neuen Anlagen mit modernster Ausrüstung zeitnah gesteigert.
Wie geht UMSICHT vor, um das Bewusstsein der Bürger für Recyclingkonzepte zu erhöhen?
Kerps: Die richtige Sammlung und Sortierung von Verpackungsabfällen begInnen schon bei den VerbraucherInnen. Nur wenn diese die Abfälle teilweise richtig vorsortieren, d.h. in recyclingfähige Bestandteile zerlegen, zum Beispiel den Aluminiumdeckel vom Joghurtbecher komplett vom Kunststoffbecher abziehen, können diese mit einer hohen Wahrscheinlichkeit in den Sortieranlagen getrennt erfasst und den richtigen Fraktionen zugeordnet werden. Im Arbeitspaket „City and Learning Labs“ (gemeinschaftsbasierte Engagement-Programme) wird unter anderem eine Wissensbasis geschaffen, um die Mobilisierung der BürgerInnen zu erleichtern. Durch Sensibilisierungsprogramme für umweltbewusste Verbraucher soll das Bewusstsein rund um die richtige Trennung und Erfassung von Kunststoffen gesteigert werden.
Auf der anderen Seite arbeiten wir in einem weiteren Arbeitspaket an neuen Design-for-Recycling-Konzepten. Der Schwerpunkt liegt auf der Entwicklung von Verpackungslösungen, die nicht nur innovativ, sondern auch nachhaltig sind, und bereits durch das richtige Design ein späteres Recycling erleichtern. Bleiben wir beim Joghurtbecher aus Kunststoff mit einem Aluminiumdeckel: Wir entwickeln und untersuchen Möglichkeiten, diese Aluminiumdeckel durch einen Kunststoffdeckel aus dem gleichen Material wie den Becher zu ersetzen. So können Becher und Deckel gemeinsam entsorgt, sortiert und recycelt werden.
Welche Herausforderungen ergeben sich für das Design for Recycling und für die entsprechenden Ökobilanzierungen?
Kerps: Die grundlegende Vergleichsgröße in jeder Ökobilanz ist die funktionelle Einheit. Alle Umweltwirkungen werden auf diese Größe bezogen. Damit wir nicht Äpfel mit Birnen vergleichen, müssen wir stets prüfen, ob Designänderungen auch zu Änderungen der funktionalen Eigenschaften einer Verpackung führen. Verschlechtert sich beispielsweise durch ein recyclinggerechtes Design die Haltbarkeit des Produkts, kann dies zu Lebensmittelverlusten führen. Auch wenn unser Fokus auf der Verpackung liegt, sollten wir Lebensmittelverluste stets vermeiden, da damit in der Regel deutlich höhere Umweltwirkungen einhergehen. Die Verpackung muss in erster Linie ihre Schutzfunktion, z.B. vor Verderb, erfüllen. Wir müssen also immer das Gesamtsystem im Blick haben und mögliche negative Wechselwirkungen bedenken.
Welche nächsten Schritte sind geplant?
Kerps: Am Ende des Projekts soll eine vollständige systemische Demonstration eines ganzheitlichen verbesserten Kunststoffrecyclings in der trilateralen Region aufgezeigt werden. Durch den Multi-Stakeholder Ansatz decken wir die gesamte Wertschöpfungskette ab und schaffen so eine Grundlage, die auch in andere Regionen in Europa übertragbar sein kann. Schon heute zeigt das Projekt, dass die Vernetzung der Partner im Projekt ihre ersten Früchte zeigt. Die jährlichen Treffen des Gesamtkonsortiums sind immer mein Highlight im Projekt. Die Atmosphäre dort ist einfach großartig, weil alle ein gemeinsames Ziel haben und Ländergrenzen dabei keine Rolle spielen.
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