Schucht (50 Hertz): Mythen der Energiewirtschaft

Mythen der Energiewirtschaft

Vor Kurzem haben Sie vor internationalen Gästen gesagt, dass Sie bis zu 70 Prozent erneuerbare Energien ziemlich problemlos integrieren können. Wirklich?

Es gibt einige Mythen in der Energiewirtschaft. Einer davon ist die Vorstellung, man brauche bei der Integration erneuerbarer Energien sofort mehr Flexibilität im System. Also Speicher oder abschaltbare Lasten oder Backup-Kraftwerke. Das ist ein Mythos. Wir haben viel mehr Flexibilität im System, als wir benötigen. Wir haben auch noch riesige weitere Potenziale.

Was meinen Sie mit Flexibilität?

In der Vergangenheit hatten wir Großkraftwerke, die meistens auch noch Regelenergie angeboten haben. Das heißt: Sie haben beispielsweise zehn Prozent ihrer Leistung vorgehalten, damit wir als Netzbetreiber mit diesen zehn Prozent die Kraftwerke sehr schnell nach oben oder unten regeln können. Wenn ein Großkraftwerk nur noch die Hälfte der Zeit läuft, nimmt damit seine Flexibilität nicht ab. Solange es das Kraftwerk noch gibt, bleibt auch diese Flexibilitätsleistung bestehen. Und zwar in gleichem Umfang. Da wir aber auch in den vergangenen 20 Jahren schon viele dezentrale Kraft-Wärme- Kopplungsanlagen auf den Niederspannungsebenen angeschlossen haben, haben wir uns daran gemacht, genau diese Anlagen in die Regelenergiemärkte einzubinden. Das kann auch eine sehr kleine Anlage im Keller eines Mehrfamilienhauses sein, die gleichzeitig Strom und Wärme erzeugt. Solche Konzepte haben wir für die Regelleistung bereits präqualifiziert.

Innovationen tun sich schwer

Und was ist mit der Nachfragesteuerung?

Im Fall einer plötzlichen hohen Stromnachfrage ist es auch eine Alternative, dass ein Großverbraucher sich entscheidet, einen seiner Industrieprozesse mal eine halbe Stunde zu verlangsamen. Das würde ihm vergütet. Technisch und marktwirtschaftlich gab es diese Möglichkeit vor ein paar Jahren noch nicht. Da kommen wir jetzt aber langsam hin. Wir haben derzeit also ein höheres Flexibilitätsangebot, als wir Nachfrage danach haben. Das führt dazu, dass Innovationen wie Batteriespeicher im Wettbewerb mit viel günstigeren Optionen stehen und sich noch etwas schwer tun. Ein weiterer Aspekt, der nicht sehr bekannt ist: Bis zu einem Anteil von etwa 40 Prozent erneuerbaren Energien im System waren die höchsten Ausschläge in der Lastkurve, also die höchste Flexibilität, die in wenigen Stunden im Jahr gebraucht wurde, noch völlig von der Nachfrage dominiert, und nicht durch das Angebot erneuerbarer Energien.

Was passiert jenseits der 40 Prozent?

Das kippt oberhalb von 40 bis 50 Prozent langsam. Das lernen wir seit etwa zwei Jahren. Und wir konnten das im vergangenen Jahr in der Praxis testen. Wir hatten eine Sonnenfinsternis, ein für uns sehr interessantes Experiment. Die Sonnenfinsternis hat uns einen Solarstrom-Tag beschert, wie wir ihn in 20 Jahren häufig sehen werden. Am späten Vormittag, nachdem die Sonnenfinsternis durch war, gab es einen relativ starken Anstieg der Solarleistung in sehr kurzer Zeit. Es waren rund 14 000 Megawatt in etwa 45 Minuten. Wir hatten uns lange damit beschäftigt, ob wir das können. Wir haben dabei festgestellt, dass wir viel mehr Flexibilitätsleistung hatten, als wir vermuteten, um das abzufangen – und zwar über den Markt, der das sehr gut abgebildet hat. Die Sonnenfinsternis hat gezeigt, wir sind schon heute recht gut darauf vorbereitet, die Fotovoltaik ins System zu integrieren. Wir sind auf dem richtigen Weg, um in der Lage sein zu können, in Zukunft 70 bis 80 Prozent erneuerbare Energien ohne zusätzliche Flexibilitätsoptionen integrieren zu können. Was wir an Flexibilitätsangeboten haben, wird uns bis 2030 oder sogar 2040 ausreichen.

Folgt: Speicher vor 2030 nicht nötig