Ist die Energiewende noch zu schaffen?

Was ist zu tun?

Die vier wichtigsten Aufgaben der nächsten Jahre lauten: Effizienzziele noch konsequenter umsetzen, erneuerbare Energien verstärkt ausbauen, Netzstabilität und Versorgungssicherheit neu strukturieren, tragfähige Marktmodelle entwickeln.

Effizienzziele umsetzen: Die Bundesregierung hat das Ziel, bis 2020 den Strombedarf um 10 Prozent (im Vergleich zu 2008) zu senken. Bis 2050 sollen es 40 Prozent Einsparung sein. Durch eine Elektrifizierung der Heizung und des Autos werden diese Ziele vor neue Herausforderungen gestellt.

Ausbau erneuerbarer Energien: Der Anteil erneuerbarer Energien (EE) an Primärenergie liegt heute bei mickrigen 13 Prozent Hier muss nachgesteuert werden. Der Ausbaukorridor für EE wurde mit der Zielsetzung definiert, bis 2050 rund 85 Prozent EE im Strommix zu haben. Schon der heutige Zubau reicht nicht aus, um diese Ziele zu erreichen.

Versorgungssicherheit: Die Bundesnetzagentur hat die Aufgabe, zusammen mit den Akteuren im Energiesektor den Verantwortungsbereich für die Netzstabilisierung an die neuen Gegebenheiten anzupassen. Hier ist 2016 ein erbitterter Machtkampf zwischen den Übertragungsnetzbetreibern und den Verteilnetzbetreibern entbrannt, den es dringend zu moderieren und zu lösen gilt.

Marktdesign: Viele der Probleme in der heutigen Energiewirtschaft kommen aus der Parallelstruktur von verschiedenen Akteurs- und Marktebenen. Wir haben die Erneuerbaren nicht in „den“ Markt integriert, sondern zusätzliche Marktsegmente geschaffen, die neben dem etablierten Marktsystem der Konventionellen laufen. Hier eine tragfähige Lösung zu erarbeiten, wird die wichtigste Aufgabe der kommenden Bundesregierung werden. Die Kernkomponenten einer ­neuen Marktstruktur sind:

  • Schrittweises Zurückfahren der Terminmärkte für Strom. Kraftwerke, die über fünf Jahre im Voraus und noch längere Termine Stromkontrakte verkauft haben, können aufgrund ihrer Lieferverpflichtung nicht so flexibel auf die aktuelle Erzeugung reagieren oder ihre Angebote zurückziehen. In der Folge ist kein Platz in den Stromnetzen und die Erneuerbaren werden ab geregelt. Das muss geändert werden.
  • Konzentration auf einen liquiden Day-Ahead-Markt für alle Energieträger. Heute werden immer noch die fossilen Kraftwerksleistungen wie vor 40 Jahren an den Terminmärkten gehandelt, während Ausgleichsenergie und die Erneuer­baren auf separaten kurzfristigen Märkten angeboten werden. Um künftig flexibler auf Erzeugung und Verbrauch regieren zu können, müssen alle Strommengen auf einem gemeinsamen Markt jeweils für den kommenden Tag gehandelt werden. Dann kann der Einfluss von Wind und Sonne berücksichtigt werden.
  • Einbinden lokaler Preissignale, um Netzengpässe und erforderliche Systemdienstleistungen einzupreisen. Unser jetziges Marktmodell nimmt an, das die Stromleitungen beliebig groß sind, wie auf einer Kupferplatte. Diese Annahme entspricht nicht der Realität. Ein Preis für Engpässe bringt den Strommarkt näher an die Wirklichkeit und sorgt für regionale Flexibilität.
  • Umstellung auf einen Vollkostenmarkt durch Schaffung einer marktwirksamen CO2-Komponente zur Internalisierung der externen Kosten. Erst wenn zusätzlich zu den kurzfristigen betriebswirtschaftlichen Kosten der Stromerzeugung (z.B. Treibstoff) auch die volkswirtschaftlichen langfristigen Kosten (z.B. Endlager oder Klimafolgen) in den Marktpreis eingerechnet werden, können die unterschiedlichen Energie­träger wirklich miteinander konkurrieren.

Die Umsetzung der Energiewende ist jetzt in der dritten Phase angelangt, der Etablierungsphase. In der Experimentierphase haben wir alle Technologien entwickelt und auf ihre Skalierbarkeit geprüft. Durch eine kostendeckende Vergütung von Strom aus Wind, Sonne und Biomasse haben die wichtigsten Energieträger in der Expansionsphase nennenswerte Zuwächse verzeichnet und in Deutschland die Preiserfahrungskurve durchlaufen. In der dritten Phase geht es nun darum, die rechtlichen und organisatorischen Rahmenbedingungen so anzupassen, dass sich Angebot und Nachfrage für CO2-freie Energie effizient treffen können.

->Quellen: Dieser Text ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 03/2017 – Tierische Geschäfte erschienen (weitere Info).

Lars Waldmann ist Techniksoziologe und Wirtschaftswissenschaftler, seit 30 Jahren in der Energiewirtschaft tätig. Heute ist er Geschäftsführer von Energiewende Consult, einem international tätigen Beratungsunternehmen und setzt sich für eine enkeltaugliche Zukunft ein. (Foto: Lars Waldmann – © Gerhard Hofmann, Agentur Zukunft für Solarify)