Von der Corona-Krise zur nachhaltigen Wirtschaft

Evidenzbasierung und Handlungskonsequenz müssen in Zukunft auch die Nachhaltigkeitspolitik prägen

Schaut man aus einer ökologischen Perspektive auf die anhaltende Corona-Krise und ihre Bekämpfung, sticht vor allem die Schnelligkeit der Reaktionen des Politiksystems und in der Folge auch des Natursystems ins Auge. Die Erreichung des deutschen Klimaziels für 2020 (minus 40 Prozent CO2-Emissionen gegenüber 1990) schien noch im Februar völlig ausgeschlossen, nun wird das Ziel durch die Corona-Krise wahrscheinlich sogar übererfüllt. Laut Umweltbundesamt könnten es Ende des Jahres minus 45 Prozent sein. Über Wuhan, dem Epizentrum der Krise in China, sind die Stickoxidkonzentrationen in der Luft kurzfristig so drastisch gefallen, dass der Effekt in Satellitenbildern der NASA deutlich zu erkennen war. Und im tourismusfreien Venedig ist das Wasser der Kanäle so klar wie lange nicht mehr.

Sicher, all diese Effekte sind nicht das Ergebnis umweltpolitischen Handelns, sondern Nebeneffekte einer Virusbekämpfung mit hoher Eingriffstiefe. Die Maßnahmen sind im eigentlichen Wortsinn nicht nachhaltig. Es wäre auch töricht, im Prinzip „Umweltschutz durch kollektiven Shutdown“ eine echte Lösung zu sehen. Dies würde am Ende nur Wasser auf die Mühlen derer lenken, die uns weismachen wollen, man habe sich eben zwischen Ökologie und Ökonomie, Naturschutz und Wirtschaftsschutz zu entscheiden. Beides gleichzeitig sei nun einmal nicht zu haben.

Dennoch ist die Lehre aus der Begleiterscheinung dieses Shutdowns grundsätzlicher Art.  Die Natur reagiert sehr schnell und generös, wenn übermäßiger Nutzungsdruck durch die Menschen von ihr genommen wird. Auch das kann Hoffnung geben. Viele ökologisch bewegte Menschen fragen sich deshalb, warum bei der Bekämpfung der Corona-Pandemie möglich ist, was bei auf Dauer wesentlich bedrohlicheren Problemen wie der Erderwärmung oder der Zerstörung der biologischen Vielfalt bislang nicht geschieht, nämlich konsequentes Handeln. Im Gegenteil, noch die kleinsten Empfehlungen zum Wohle von Klima und Natur werden in Deutschland oft so diskutiert, als ebneten sie den direkten Weg in die Ökodiktatur, vom Tempolimit 120 auf Autobahnen über minimale Ökosteuern bis zum freiwilligen Fleischverzicht an einem Tag in der Woche. Viele dieser Kulturkämpfe wirken mittlerweile nur noch grotesk.

Politischer Mut wird im Ernstfall nicht bestraft, sondern belohnt

Und auch eine weitere Mär fällt dieser Tage, nämlich die Behauptung, Politik werde abgestraft, wenn sie den Menschen harte Fakten zumute und ihr Handeln auf eben diese stütze. Noch im September letzten Jahres fiel bei der Präsentation des bescheidenen Klimapakets der Bundesregierung von Kanzlerin Merkel der denkwürdige Satz, Politik sei nun einmal das, was möglich ist. Kein halbes Jahr später betreibt die gleiche Bundesregierung nun in der Corona-Krise eine wissenschaftsgestützte Politik der schonungslosen Wahrheiten, Einschränkungen und Zumutungen – und 95 Prozent der Bevölkerung finden diese genau richtig oder fordern noch härtere Maßnahmen (ZDF-Politbarometer vom 27. März).

Nun lassen sich sicher Gründe dafür finden, warum fundamentale Restriktionen in der Corona-Krise eher akzeptiert werden als bei der Bekämpfung der Klimakrise: Die Angst vor Viren, die schnell töten können, ist offenbar deutlich größer als die Angst vor Erderwärmung und Artenschwund, deren Folgen schleichender sind. Auch hat der Lobbyismus bei langfristigen Problemen wie dem Klimawandel leichteres Spiel, auf allen Strecken gegen entschiedenes Handeln zu arbeiten: vom Säen naturwissenschaftlicher Zweifel über das Befeuern ökonomischer Niedergangs-Szenarien bis zur Mobilisierung populistischer Gegenkräfte.

Es bleibt dennoch frappierend, dass im Corona-Fall konsequent, im Klima-Fall inkonsequent gehandelt wird, obwohl die wissenschaftliche Evidenz in beiden Fällen sehr hoch ist und sich in Umfragen auch für vorsorgenden Klimaschutz ähnliche Zustimmungswerte ergeben wie für die rigorose Bekämpfung der Pandemie. Daraus kann eigentlich nur der Schluss gezogen werden, dass die Zaghaftigkeit von klimapolitischem Regierungshandeln vor allem das Ergebnis von allzu viel Rücksichtnahme auf mächtige und nicht-nachhaltige Gegenwartsinteressen war und ist, vor allem auf Industrieinteressen.

Als Lehre aus der Corona-Krise folgt deshalb, dass auch die Klimapolitik zukünftig stärker evidenzbasiert handeln muss und gegenüber Partikularinteressen eine vermeintlich altmodische Kategorie reaktivieren sollte, nämlich politischen Mut, der Konfliktfähigkeit und Standfestigkeit in der Sache einschließt. Zumutungen, die nachvollziehbar und gut begründet sind, sind für politische Entscheidungsträger nicht risikofrei, werden aber von viel mehr Menschen akzeptiert als im Hauptstrom der Politik angenommen oder vorgegeben wird.

Folgt: Pandemiebekämpfung und Nachhaltigkeit erfordern einen neuen Generationenvertrag: Junge und Alte sind aufeinander angewiesen