„Wie eine Kerze, die an beiden Enden brennt“

Schüth: Die Energiewende und die Hindernisse bei Ihrer praktischen Umsetzung

Um ironisch die Komplexität zu zeigen, begann Ferdi Schüth seine Problem-Darstellung der Energiewende mit einem (seinerzeit umstrittenen) Zitat des Fußballtrainers Hans Meyer (vormals Nürnberg): „Wir werden die Situation analysieren, und wenn wir jemanden herausfinden, erschießen.“ Nach dem Tsunami von Fukushima sei die Laufzeitverlängerung für Kernkraftwerke in Deutschland wieder zurückgenommen worden – jetzt seien wir wieder da, wo die rotgrüne Regierung schon 2000 angekommen sei; das letzte AKW gehe 2022 vom Netz. Das sei noch keine Energiewende – „ich nenne das die ‚kleine Energiewende‘“. Die große Energiewende sei eine Herausforderung für uns, denn, so Schüths Hypothese: „Das Energiesystem Deutschlands ist so kompliziert, dass es niemand vollständig versteht, so dass Maßnahmen mit erwünschten Zielen oft viele unerwünschte oder gar gegensätzliche Seiteneffekte haben.“

Ziele der „großen Energiewende“

  • Der CO2-Ausstoß solle bis 2050 um 80% sinken,
  • der Endenergieanteil der Erneuerbaren auf mehr als 60,
  • ihr Anteil an der Stromerzeugung auf 80 Prozent steigen.

Dazu solle der Energieverbrauch bis 2050 sinken:

  • Prozesswärme um 35 Prozent,
  • mechanische Energie in der Industrie bis zu 40 Prozent,
  • Heizung in Wohngebäuden um 50 Prozent,
  • Heizung in anderen Sektoren auf nahe Null,
  • mechanische Energie im Handel auf die Hälfte,
  • in den Bereichen Elektronik und Computertechnik ebenso und
  • im Mobilitätsbereich um mehr als 60 Prozent – nur durch E-Mobility.

Dabei helfe uns der demografische Wandel: 2050 habe Deutschland 10% weniger Bevölkerung, dieses Zehntel bekämen wir gratis. Die größte Herausforderung bedeuteten aber die Gebäude, denn die meisten Wohnhäuser seien Altbauten, die hielten etwa 100 Jahre; daher könne nur von den neuen eine wirklich drastische Verbrauchsverringerung um den Faktor 8 erwartet werden. Büros und Industriebauten hätten eine geringere Lebenserwartung, daher müsse hier der künftige Energieverbrauch auf Null gesetzt werden.

Es gebe inzwischen eine umfangreiche Gesetzgebung zum Thema, aber inzwischen würden wir der Tatsache gewahr, dass ein einzelner Eingriff oft zehn neue Probleme aufwerfe. Um dies besser verstehen zu können, habe Schlögl ESYS erdacht – die Wissenschaftsplattform „Energiesysteme der Zukunft“ – sie sei „Robert Schlögls Schöpfung“. Schüth: „Wir versuchen darin, die Interaktionen verschiedener regulativer und politischer Maßnahmen im System zu verstehen:

  • Inwieweit unterstützen oder behindern einzelne Maßnahmen das Erreichen der Energiewende-Ziele?
  • Erzeugen sie Konflikte zwischen Zielen und nicht beabsichtigten Auswirkungen?
  • Welcher darunter liegende Mechanismus erzeugt diese Auswirkungen?“

Schüth wies auf das energiepolitische Zieldreieck aus Nachhaltigkeit hin (Klimaschutz, Ressourcenerhalt) Versorgungssicherheit (Systemstabilität, Verfügbarkeit von Energiequellen) und Bezahlbarkeit (Wettbewerbsfähigkeit der Industrie, Privatverbraucher) – die Schwierigkeit, alle Ziele zufriedenstellend auszutarieren liegt auf der Hand. Umso mehr, als in das Dreieck verschiedene einander überlagernde Mechanismen einwirkten, wie etwa

  • der europäische Zertifikatehandel ETS,
  • Einspeisevergütungen,
  • Kostenverteilung im Energiesystem,
  • Definition der Grenzen des Systems,
  • Deckelung von Energiepreisen,
  • Speicherung von Energieträgern und
  • zu Reboundeffekten führende Mechanismen.

Anschaulich erklärte Schüth den Reboundeffekt als eines der Probleme, unter dem die Energiewende leide: „Wenn ich mir einen neuen 3xA-Kühlschrank kaufe, bin ich glücklich über den energieeinsparenden Fortschritt. Was mache ich? Ich stelle den alten in den Keller zum Weinkühlen. Oder ich fliege vom ersparten Geld nach Südamerika und verursache viel mehr CO2 als vorher.“

Beispiele für Zielkonflikte

Der europäische Zertifikatehandel ETS reduziere das CO2 nicht, er transportiere den CO2-Ausstoß lediglich in andere Gegenden – EEG und ETS interagierten auf problematische Weise. Wir bezahlen also Geld für etwas, das nicht so funktioniert, wie eigentlich erwartet.

Wärmepumpen seien zwar eine schöne Sache, das EEG mache sie aber ineffizient, denn es lege die Einspeisevergütung auf alle Verbraucher um, damit würden die eigentlich so segensreichen Wärmepumpen weniger effizient – eine Folge der EEG-Kostenverteilung. „Zudem werden CO2-Emissionen aus einem nicht-geregelten Bereich in einen geregelten überführt, ein Extra-Nutzen, der nicht genutzt werden kann, weil das System dagegen ist – das ist sicherlich so nicht gewollt“.

Elektro-Autos wären wunderbar, wenn sie mit erneuerbarer Energie gespeist würden. Aber wir laden unsere Autos mit Strom aus konventionellen Kraftwerken. Doch mit Brennstoffzellen angetriebene Autos sind noch schlechter dran: Der Wasserstoff braucht bei seiner Produktion so viel (fossilen) Strom, dass die Gesamtbilanz aktuell schlechter als bei jedem Verbrennungsmotor ausfällt.Zudem sei der Mobilsektor nicht durch das ETS geregelt – somit überführten E-Autos CO2 aus einem ungedeckelten Bereich in einen gedeckelten. Trotz allem habe die E-Mobilität aber das Potenzial, die Treibhausgas-Emissionen stark zu reduzieren.

Es sei allerdings an der Zeit, über einen „System-Reset“ nachzudenken – das geschehe in ESYS.

Umbach: Energiespeicherung – Die Crux der Energiewende?

Der Physiker Eberhard Umbach (Universität Würzburg – bis 2013 Präsident des KIT Karlsruhe) wies darauf hin, dass die bereits von Schüth genannten Ziele der Energiewende (davon beträfen nur 20 Prozent die Elektrizität, aber 50 Prozent Heizung und Kühlung und 30 Prozent den Transportsektor) nur erreichbar seien durch eine Optimierung des gesamten Energiesystems. Auch er diagnostizierte Konflikte zwischen Zielen und Maßnahmen. Trotz der starken Förderung der Erneuerbaren seien Kosten und CO2-Emissionen gestiegen, die Versorgungssicherheit auf Grund der volatilen Energieträger und die Preise der ETS-Zertifikate gesunken.

Die Verbraucher zahlten mehr, weil die Einspeisevergütung durch das EEG geregelt sei. Stromspeicherung sei nicht mehr kostensparend; die fehlende Ausgleichsenergie (ca. 130 TWh) produzierten Stand-By-Kohlekraftwerke – daher der steigende CO2-Ausstoß.

Den optimalen Mix zwischen Wind und PV definierte Umbach mit 75 : 25. Bei 100 Prozent Erneuerbaren bräuchten wir für 30 TWh Speicherkapazität, wenn keine fossilen Energieträger mehr benutzt werden sollten. Alle verfügbaren Pumpspeicherwerke kämen aber nur auf 50 GWh, weitere 50 GWh stellten 3 Mio. E-Autos (wenn wir sie denn schon hätten) bereit; die bestehende Gas-Infrastruktur könne 110 TWh speichern – also wären – laut Umbach – „5-10 TWh Speicher-Volumen ein guter Kompromiss“. Denn schon 5 TWh Speicherung reduzierten die fossile Energieproduktion von 130 auf 40 TWh, mit entsprechender CO2-Reduktion, doch die bereitstehende Stand-By-Energie bliebe im Wesentlichen gleich.

Umbach diagnostizierte wesentliche Herausforderungen für das Ziel, 2050 100 Prozent Erneuerbare zu erreichen und die fehlenden 130 TWh sicherzustellen:

  1. Importieren? Nur teilweise möglich.
  2. Durch mechanische Energiespeicher? Gegenwärtig zu vernachlässigen.
  3. Durch konventionelle (fossile) Kraftwerke?
    • Kohle verbrennen erzeugt zu viel CO2, geringe Kosten, aber alte Kraftwerke seien ein Problem;
    • bei Erdgas seien die CO2-Emissionen immer noch zu hoch, die Kosten höher, die Effizienz besser;
    • gespeichertes Synthetik-Gas verursachte keinen CO2-Ausstoß, wenn es aus Erneuerbaren stamme, die Gesamteffizienz sei allerdings gering. Aber -wir bräuchten dann imer noch 80 GW Stand-By-Energie.

Als Lösungsangebote nannte Umbach: Öko-Stromspeicherung in Form von Power-to Gas oder Power-to-Liquid. Noch sei allerdings die Kreislauf-Effizienz viel zu niedrig (nur etwa 30 Prozent), was bedeute, noch sei das zu teuer. Also gebe es eine größere Herausforderung für die Forschung. Neue Ideen für die Speicherung seien notwendig.

Umbach nannte als Beispiel für neue Ideen die Zementproduktion: „Sie ist weltweit für 3,5 Prozent des Energieverbrauchs und 7 Prozent der CO2-Emissionen verantwortlich. Niemand hat bis vor kurzem über eine Reduktion in diesem Bereich nachgedacht, denn das Verfahren ist so allgemein verbreitet, in so vielen Zementwerken weltweit. Doch jetzt gibt es Ansätze, den Energieverbrauch – und den CO2-Ausstoß – bei der Zementherstellung zu halbieren. Das würde bedeuten: Wir könnten doppelt so viel fliegen wie bisher, denn der Anteil des Flugverkehrs an den CO2-Emissionen liegt nur bei 2-3 Prozent weltweit.“

Beide – Schüth und Umbach – stimmten darin überein, dass jedes Mal, wenn Entscheidungen getroffen und Investitionen vorgenommen würden, möglichst viele Kriterien berücksichtigt würden – keine Option solle zu früh verworfen werden – immer müssten beide Strukturen (zentral-dezentral/lokal – das ganze System) bedacht werden.

Wenn 100% Erneuerbare erreicht werden sollen, muss etwa dreimal die aktuelle Spitzenlast an PV, Wind oder Wasser installiert sein. Back-up-Systeme können dann um 12% verringert werden. Die überschüssige Energie entspricht 26% des Bedarfs. Die Back-up-Systeme und mehr noch das Netz müssen mit großen Stromschwankungen fertig werden. Alle Komponenten des Stromversorgungssystems arbeiten mit niedrigen Kapazitätsfaktoren. Der Bau von Großspeichern wird vom Ziel der CO2-Reduktion kaum motiviert werden. Demand-Side-Management wird die aktuellen Perioden hoher wirtschaftlicher Aktivität beschleunigen. Dessen konsequente Umsetzung wird die wirtschaftlichen Aktivitäten in die Wochenenden hinein erweitern. Auf der Grundlage eines einfachen Kriteriums wird die Verstärkung der Perioden mit negativem Strompreis in Deutschland geprüft. Es wird schwierig sein, mit Hilfe Erneuerbarer Energien die niedrigen CO2-Emissionsfaktoren zu erreichen, die jene europäischen Länder aufweisen, die Strom mittels Kern-oder Wasserkraft produzieren. (Friedrich Wagner in The European Physical Journal Plus Februar 2014, 12 – Siehe auch: Wagner: The Pitfalls of Time Derivatives)