Das Grünbuch: Absage an Kapazitätsmärkte?

Lohnende Lektüre – und die Meinung von Greenpeace

von Jakob Schlandt, phasenpruefer.info

Das Grünbuch des Energieministeriums zum Thema Kapazitätsmärkte unter dem Titel „Ein Strommarkt für die Energiewende“ ist – als Entwurf – inzwischen ins Netz gestelltworden. Das Dokument ist allein schon deshalb eine lohnende Lektüre, weil im Grunde die gesamte Problemlage der Versorgungssicherheit im Stromnetz ausführlich skizziert wird. Es ist allerdings auch gespickt mit Aussagen und Handlungsempfehlungen, die ich hier schnell zusammenfassen möchte:

  • Die Entscheidung über Kapazitätsmärkte ist noch nicht gefallen. Das war auch nicht zu erwarten. Jedoch ist der Duktus und die Struktur des Dokuments aufschlussreich. Der Energy-Only-Markt (also der derzeitige Stromhandelsmarkt, bei dem die Bezahlung der fossilen Kraftwerke ausschließlich über den Handel von elektrischer Arbeit erfolgt – die Preise beruhen dabei auf der augenblicklichen Knappheit des Handelsguts Strom) und seine Vorzüge werden ausführlich diskutiert. Den entsprechenden Studien des Ministeriums, die im Sommer erschienen sind (und noch unter Schwarz-Gelb in Auftrag gegeben wurden), wird ausführlichst argumentativ Platz eingeräumt. Bei den verschiedenen Vorschlägen für Kapazitätsmärkte hingegen werden zahlreiche Bedenken vorgebracht. Die Skepsis gegenüber Kapazitätsmärkten überwiegt derzeit im Ministerium, das berichten auch verschiedenste Berliner Lobbyisten übereinstimmend.
  • Eine sehr weitreichende Reform des Energy-Only-Markts ist beschlossene Sache: Der EOM 2.0 kommt, egal ob mit oder ohne Kapazitätsmarkt. Die Bilanzkreis-Verantwortlichen müssen mit schärferen Sanktionen rechnen, wenn sie nicht genug Strom einkaufen, um ihre Kunden zu beliefern. Es soll eine Reform der Netzentgelte und der Strommarktrgeln geben, die der Industrie einen Anreiz gibt, ihren Maximalverbrauch zu senken und flexibler zu reagieren. Der Regelleistungsmarkt wird reformiert.
  • Die Reservekraftwerksverordnung, mittels der die Bundesnetzagentur derzeit vor jedem Winter Kraftwerke “anmietet”, die im Notfall einspringen können, wird in einen formellen Reservekraftwerksmarkt umgewandelt. Diese Entscheidung ist offenbar schon gefallen. Details gibt es aber noch nicht.
  • Eine Fülle an weiteren kleinen Reformen ist ebenfalls enthalten, zum Beispiel eine engere Abstimmung und Verzahnung mit den Strommärkten der Nachbarstaaten.

Gut an dem Papier ist, dass es die zwei heiklen grundsätzlichen Fragen, die sich beim Thema Kapazitätsmarkt stellen, explizit anspricht.

  1.  “Im Kern geht es bei der Debatte um die Frage, ob ein optimierter Strommarkt erwarten lässt, dass Investitionen in die selten genutzten, aber dennoch erforderlichen Kapazitäten getätigt werden.” Völlig richtig, es geht darum, inwieweit man an die “perfect foresight” von Märkten und deren Akteuren glaubt. Wer dem EOM 2.0 vertraut, der vertraut darauf, dass Investoren sehr wohl in Betracht ziehen, dass es beispielsweise in fünf Jahren eine Strompreisspitze mit extrem hohen Preisen geben wird und dementsprechend in ein Gaskraftwerk investieren. Das mag jeder selbst werten, aber mit Sicherheit gesagt werden kann, dass bislang Investitionen im deutschen Stromsektor nicht auf dieser Betrachtung von Extremereignissen beruhen, sondern auf langfristigen, durchschnittlichen Auslastungen der Kraftwerke. Auch das Martkmachtproblem wird in dem Papier kurz angesprochen: Solche Knappheitsphasen geben jenen, die über große Kapazitäten verfügen, theoretisch die Möglichkeit, durch weitere Verknappung extrem viel Geld zu verdienen.
  2. und das kommt in dem weitgehend technischen Papier des Ministeriums nur kurz vor, stellt sich die Frage, ob der EOM 2.0 in Deutschland dauerhaft politisch akzeptabel ist, das höchstens ordoliberal, aber keinesfalls marktradikal orientiert ist. “Wenn Gesellschaft und Politik zu einer derartigen Weiterentwicklung des Strommarktes mit Knappheitspreisen nicht bereit sind, bedarf es eines Kapazitätsmarkts”, heißt es knapp im Grünbuch.

Sind sie bereit? Man braucht nicht viel Phantasie, um sich die Bild-Schlagzeilen und die hektische politische Aktivität vorzustellen, wenn die Strompreise mal kurz auf 20.000 Euro pro Megawattstunde schnellen, einige unterdeckte Stadtwerke pleite gehen und gleichzeitig die Energieriesen, egal ob nur zufällig oder gar “zufällig”, besonders viele Kraftwerke in Revision haben. Oder wenn ganze Industriegebiete abgeschaltet werden und die Arbeiter nach Hause müssen. Der Entwurf des Grünbuchs lässt diese Fragen zwar außen vor. Dennoch ist es eine hochspannende Lektüre.

Jakob Schlandt ist Journalist. Er berichtet seit vielen Jahren über den Energiesektor. Seit Mai 2013 ist er nach sieben Jahren bei Berliner Zeitung und Frankfurter Rundschau freischaffend tätig, insbesondere als Deutschlandkorrespondent der Brüsseler Europa-Tageszeitung Europolitics. Jakob Schlandt glaubt, dass die Energiewende ein großer Erfolg werden kann – wenn man sich von einigen Mythen verabschiedet.

Noch ein Kommentar:

Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) hat ein erstes Papier zur Reform des deutschen Kraftwerkparks schreiben lassen, das Grünbuch „Ein Strommarkt für die Energiewende“. Gleichzeitig arbeitet Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD) an einem Aktionsprogramm Klimaschutz, um zu verhindern, dass Deutschland sein eigenes Klimaziel für 2020 verfehlt. Hendricks sieht dabei die größten [[CO2]]-Einsparungen im Energiesektor vor. Konkrete Klimaschutz-Vorschläge fehlen jedoch bislang völlig in Gabriels Grünbuch. Auf pv magazine kommentiert Greenpeace-Energieexperte Karsten Smid:

„Gabriels Papier betont schon auf der ersten Seite Deutschlands Klimaschutzziel bis zum Jahr 2020, schlägt aber auf den folgenden gut 70 Seiten keine einzige konkrete Maßnahme vor, dieses zu erreichen. Stattdessen räumt der Wirtschaftsminister ein, dass es heute große Überkapazitäten im Strommarkt gibt und der Handel mit Verschmutzungsrechten auf absehbare Zeit für den Klimaschutz wirkungslos bleit.

abriel fehlt der Mut, eins und eins zusammen zu zählen. Wenn zu viele Kraftwerke am Netz sind und das Klimaschutzziel nicht durch den Zertifikatehandel erreicht wird, dann müssen Kohlekraftwerke abgeschaltet werden. Alleine in Deutschland gibt es Überkapazitäten von etwa zehn Gigawatt. Ohne eine Abschaltplan für überflüssige Kohlekraftwerke demontiert Gabriels Grünbuch die Pläne seiner Parteigenossin Hendricks.“

->Quellen: