Atom-Richterspruch aus Karlsruhe

Kirche im Dorf lassen

Unter Kindern gilt der schlichte Satz: „Geschenkt ist geschenkt!“ Geschenke zurückfordern geht nicht. Nicht nur deshalb ist das Urteil der Roten Richter ausgewogen: Der unvorhersehbare Eingriff der Politik in den mit der Laufzeitverlängerung als sicher gewähnten Besitzstand von E.on RWE und Vattenfall (das Geschenk der schwarz-gelben Regierung) verstieß gegen das Grundgesetz, das  „berechtigtes Vertrauen in den Bestand der Rechtslage“schützt. Denn „die Eigentumsbeeinträchtigung ist quantitativ erheblich und wiegt vor allem wegen des rechtlichen Hintergrundes der 2002 zugesprochenen Reststrommengen schwer.“ Andererseits, so die Richter, sei der Schutz von Leben und Gesundheit der Bevölkerung sowie der natürlichen Lebensgrundlagen „ein legitimes Regelungsziel“ – verstärkt durch den furchtbaren Fukushima-GAU. Feste Abschalttermine und die Streichung der 2010 zugewiesenen Zusatzstrommengen seien „geeignet, die endgültige Beendigung der Kernenergienutzung schneller als nach der bisherigen Rechtslage gesichert herbeizuführen.“ Insofern erweise sich die Streichung der Zusatzstrommengen von 2010 durch die Regierung als verhältnismäßig.
Andererseits waren die Atomstromer gezwungen, vor Gericht zu gehen – nicht weil nach Tschernobyl und Fukushima irgendein Restzweifel an der Unbeherrschbarkeit und Gefährlichkeit der Atomkraft verbliebe, sondern weil sie das sowohl ihren Arbeitnehmern als auch ihren Aktionären schuldig waren. RWE und Co. hätten sich sonst unrechtmäßige Risiken für den Besitzstand der Beschäftigten (Arbeitsplätze) wie auch der Aktionäre vorwerfen lassen müssen. Ob das Karlsruher Urteil Jobs sichert oder die Aktien nachhaltig befeuert, bleibt dahingestellt. Ebenso verharmlost das eben Gesagte keinen einzigen der horrenden Management-Fehler, allen voran nicht den Kardinal-Irrtum, jahrelang arrogant die Zeichen der Zeit verschlafen und die Erneuerbaren Energien belächelt zu haben.
Glasklar bleibt: Die Atomenergie ist nicht beherrschbar, am allerwenigsten die – nach wie vor ungelöste – Entsorgung des gefährlich strahlenden Mülls: In Japan stehen immer noch Tausende strahlender Plastiksäcke mit kontaminierter Erde am Strand. Keiner weiß, wohin damit. Wir überblicken historisch gesehen nicht einmal einen Bruchteil des Zeitraums, den die Uranisotope sicher gelagert werden müssen – reden aber von „Endlagerung“.
Karlsruhe hat Recht mit dem Satz: „Bei der Beurteilung einer Hochrisikotechnologie, deren Schadensrisiken in besonderem Maße von einer politischen Bewertung und einer öffentlichen Akzeptanz abhängig sind, kann auch Ereignissen ein eigenes Gewicht beigelegt werden, die allein das Bewusstsein der Öffentlichkeit für diese Risiken ändern, obwohl neue Gefährdungen nicht erkennbar sind.“ -Gerhard Hofmann-