Blick in die Zukunft – „Strommarkt 2.0 – flexibel, sicher, effizient“

Level Playing Field allein reicht nicht aus

Kathrin Tomaschki, BMWi vor Trialog Energiewende 2.0 – Foto © Gerhard Hofmann, Agentur Zukunft für Solarify 20181023

Kathrin Thomaschki, BMWi, machte in ihrem Statement daran anknüpfend deutlich, dass gleiche Bedingungen für alle Energieträger (Level Playing Field) allein nicht ausreichen. Zusätzlich müssten etwa die Strom-, Wärme- und Oberleitungsnetze ausgebaut werden. Vorerst bleibe die große Frage der Netzflexibilität; die sei wichtig, selbst wenn der Bedarf an Flexibilität aus dem Netz gegenwärtig nur in Ausnahmefällen bestehe. (2015: 2%, 2025 voraussichtlich 3%). Redispatchmärkte verursachten gravierende Probleme: sie rufen starke zonale Preissignale hervor, der Standort wird dadurch wichtiger: Nur wenn eine Anlage sehr nah am Engpass stehe, sei der Effekt groß, sonst nicht. Standortabhängige Bepreisung  stimme nicht mit Marktpreis überein. In Deutschland hätten wir sehr kalkulierbare Engpässe, es sei gut absehbar, ob Redispatchmaßnahmen notwendig würden oder nicht.

Tim Meyer (Naturstrom AG) legte in seinem Impuls einen Schwerpunkt auf die Finanzierung der Energiewende: Wir sollten das Tempo der Energiewende deutlich erhöhen. Langfristige Folgekosten sind wichtig (dazu muss man Zieldreieck der Energiewende neu justieren). Klimaschutz darf nicht weiter „Hygienefaktor“ sein: Wir brauchen einen „Generationenvertrag Energie“. Genehmigungen würden immer schwerer, die Akzeptanz sei zwar bisher noch hoch, sie schwinde aber; wir müssen die Leute mehr mitnehmen, auch finanziell. Der Strompreis müsse entlastet und die Kosten für den Ausbau der Erneuerbaren neu verteilt werden. Denkbar wäre beispielsweise ein Fonds zur Finanzierung der noch bestehenden EEG-Kosten, wie ihn der ehemalige Bundesumweltminister Klaus Töpfer vorgeschlagen hatte.  Wir bräuchten Dezentralisierung als Prinzip auf dem Markt. Aber Dezentralität sei per se nicht skalierungsfähig. Meyer nannte Widersprüche: das Netzentgeltsystem sei inkohärent, die Energiewende werde mit 880 Stromnetzbetreibern nicht gelingen. Dort sei eine große Reform nötig – und eine große Energierechtsreform für die Unternehmen, viele unterschiedliche Begriffe und Anreize seien unterschiedlich definiert, so daß diese nicht mehr durchs Dickicht durchsteigen. Eine CO2-Abgabe als wichtigste Steuerungsgröße will Meyer lieber jetzt als morgen, ein Auslaufdatum für Ölheizungen müsse definiert werden. Flexibilität für Netzstabilität müsse zentral organisiert werden. Eine Zentralisierungswelle in der Regulierung verändere die Machtverteilung zwischen den Akteuren.
Stichwort ‚Digitalisierung‘: Sie sei kein Allheilmittel, kein Selbstzweck, dürfe nicht als marktrettendes System und eigenständiges Geschäftsmodell missbraucht werden. Der Zweck von Datennutzung muss geklärt werden. Datenhunger der ÜNB problematisch. Smart Meter Rollout stoppen und neu aufsetzen!

Linus Herzig von Germanwatch kam zu einem ähnlichen Schluss: Nur eine sektorenübergreifende CO2-Bepreisung könne helfen, fossile Energieträger aus dem Markt zu drängen. Besonders vielversprechend sei die Einführung eines Mindestpreises, der den bestehenden Emissionshandel ergänzt. Die Sektorenkopplung müsse ökologisch sinnvoll werden; bisher sei CO2 zu unterschiedlich bepreist. Daher müsse eine CO2-orientierte Neuausrichtung der Steuern und Ausgabensystematik mit ökologischer Lenkungswirkung gefordert werden – das müsse innerhalb und außerhalb des ETS wirken. Germanwatch will einen Mindestpreis (wie ihn Großbritannien schon hat und die Niederlande erwägen). Dieser würde den bestehenden ETS absichern und wäre mit ihm kompatibel. Germanwatch favorisiert einen Ansatz namens „Vorreiterallianz“: Deutschland soll vorangehen, andere folgen, es gebe eine starke Bereitschaft anderer Länder (F, NL, Dk, Lux). Wenn es international nicht funktioniere, müsse national nachreguliert werden. Herzigs Fazit: Die CO2-Bepreisung kann  eine wichtige Rolle bei der Dekarbonisierung spielen – die Blockadehaltung in Politik und Teilen der Wirtschaft muss aufgegeben werden. Da es für ein einheitliches internationales Vorgehen derzeit keine Mehrheiten gebe, könnte Deutschland die CO2-Bepreisung in Vorreiterallianzen mit Staaten wie Frankreich und den Niederlanden vorantreiben.

In Workshops diskutierten die Trialog-Teilnehmer einerseits über notwendige Rahmenbedingungen für die Sektorenkopplung,andererseits mit der Frage, welche Anreize dabei helfen könnten, kurzfristige Flexibilität auf Erzeuger- und Verbraucherseite zu schaffen. Die Fachleute betonten, dass ein sektorübergreifender CO2-Preis im deutschen Energiesystem von weiteren Instrumenten flankiert werden müsse. Denkbar seien etwa eine Reform der Stromsteuer, Umschichtungen der gegenwärtigen EEG-Kosten und sozialpolitische Maßnahmen. Wichtige Diskussionspunkte waren weiter die Umgestaltung der Netzentgelte, die Dynamisierung der Strompreise sowie regionale Anreize für den Ausbau der Erneuerbaren, um Netzengpässe strukturell zu vermeiden.

[note Hintergrund – Die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderte Kooperation zwischen der HUMBOLDT-VIADRINA Governance Platform und dem Akademienprojekt „Energiesysteme der Zukunft“ stärkt die Vernetzung zwischen Wissenschaft und Gesellschaft. In den Trialogen tauschen sich ESYS-Fachleute mit Vertreterinnen und Vertretern der Politik, Wirtschaft und organisierten Zivilgesellschaft aus. Die Veranstaltungen werden dazu genutzt, neue Themen aus verschiedenen Perspektiven zu beleuchten und Fragestellungen im Hinblick auf ihre gesellschaftliche Anschlussfähigkeit zu schärfen.

Die HUMBOLDT-VIADRINA Governance Platform unterstützt durch ihre Trialoge den kommunikativen Austausch und die Verständigung zwischen den verschiedenen Stakeholdergruppen Politik, Wirtschaft und organisierte Zivilgesellschaft mit Medien und Wissenschaft zu aktuellen politischen und gesellschaftlichen Fragen. Durch die Auswertung dieser Multi-Stakeholder-Treffen werden Grundkonsense deutlich, die die Formulierung gemeinwohlorientierter Politik vorbereiten. Eine Trialog- Veranstaltung dauert einen gesamten Arbeitstag, um neben den Impulsvorträgen ausreichend Zeit für die Diskussion zwischen den Vertreterinnen und Vertretern der verschiedenen Stakeholdergruppen zu gewährleisten.

Mit der Initiative „Energiesysteme der Zukunft“ (ESYS) geben acatech – Deutsche Akademie der Technikwissenschaften, die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina und die Union der deutschen Akademien der Wissenschaften Impulse für die Debatte über Herausforderungen und Chancen der Energiewende in Deutschland. Im Akademienprojekt erarbeiten über 100 Fachleute aus Wissenschaft und Forschung Handlungsoptionen zur Umsetzung einer sicheren, bezahlbaren und nachhaltigen Energieversorgung. Die Federführung des Projekts liegt bei acatech.]

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