Fraunhofer ISE jetzt mit HT-NAP-XPS

„Hochtemperatur-Nah-Umgebungsdruck-Röntgenphotoelektronen-Spektroskopie“

Was für ein Wort-Ungetüm! Selbst der berühmte (sogar in Wikipedia „verewigte“) „Donaudampfschifffahrtsgesellschaftskapitän“ muss sich vor der70-Buchstaben-Schlange ducken – die am Fraunhofer ISE neu eingeführte „Hochtemperatur-Nah-Umgebungsdruck-Röntgenphotoelektronen-Spektroskopie“(HT-NAP-XPS) ermöglicht Untersuchungen des chemischen Zustands nahezu aller Oberflächen unter realitätsnahen Bedingungen.

Nachdem Methoden zur Analyse von thermo- und elektrochemischen Systemen im Kontext der Energiewende immer mehr an Bedeutung gewinnen, hat das Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme ISE im Kontext des nationalen Innovationsprogramms Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnologie seine FuE-Infrastruktur erweitert und eine der weltweit wenigen HT-NAP-XPS-Anlagen in Betrieb genommen. Damit setzte das Institut nach eigenen Angaben „einen weiteren Meilenstein für die Entwicklung von Elektrolyse- und Brennstoffzellensystemen sowie wasserstoffbasierten Power-to-X-Pfaden“.

Einer Medienmitteilung vom 12.11.2020 zufolge ist das NAP-XPS System „innerhalb der Fraunhofer-Gesellschaft einzigartig und eröffnet Partnern z. B. aus der Chemie- und Prozessindustrie ein breites Spektrum zur wissenschaftlichen Materialcharakterisierung mithilfe modernster Analysetechnik. Es ermöglicht die Untersuchung des chemischen Zustands von nahezu allen Oberflächen unter realitätsnahen Bedingungen. Im Fokus stehen dabei die Wechselwirkungen zwischen Gasen oder Flüssigkeiten mit Materialoberflächen, wie sie beispielsweise zwischen Gasmolekülen und Katalysatoren – insbesondere bei der Degradation im Rahmen von Langzeittests – bestehen.“

Neu an der Technologie sei, dass die XPS-Untersuchungen nicht nur im Hochvakuum (UHV) (~ 10-8 mbar) durchgeführt werden könnten, sondern auch unter Reaktionsbedingungen bei bis zu 25 mbar Druck und Temperaturen von 5 °C bis 1000 °C. Dies ermögliche die in-situ-Analyse von Oberflächenveränderungen mit Einfluss auf beispielsweise Zusammensetzung oder Oxidationszustand unterschiedlicher Materialklassen aus der Werkstoffforschung, Mikroelektronik, Lebensmittel- und Pharmaforschung, Archäologie und vielen weiteren Forschungsbereichen.

Die NAP-XPS-Anlage des Fraunhofer ISE bietet viele Messleistungen zur Materialcharakterisierung – Foto © Fraunhofer ISE

Komplettlösungen für Industriepartner

Die NAP-XPS Anlage wurde als Teil des Projekts ExsAKt (Ex-situ-Analyse von Katalysatoren mit XPS) im Rahmen des Nationalen Innovationsprogramms Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnologie (NIP2) des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) installiert. Ziel dieses Projekts ist es, Katalysatoren für Elektrolyse- und Brennstoffzellen unter Anwendungsbedingungen zu analysieren. „Wir freuen uns sehr, dass es uns mit NAP-XPS gelungen ist, den neuesten Stand der Technik in der XPS-Analyse am Fraunhofer ISE zu etablieren und sehen große Chancen, viele noch offene Fragen der Materialanalyse zu beantworten und neue technologische Kenntnisse zu gewinnen“, sagt Dr. Siham Ouardi, Leiterin der Gruppe „Nachhaltige Katalytische Materialien“ am Fraunhofer ISE. Das Fraunhofer ISE verfügt über langjährige Erfahrung in der Erforschung von Elektrolyse- und Brennstoffzellensystemen sowie bei der Entwicklung von Konzepten zur Herstellung „grüner“ Kraftstoffe und Chemikalien. Mit seinem neuen, eigens für die NAP-XPS-Anlage geschaffenen Labor, ist es in der Lage, Partnern aus Industrie und Wissenschaft Komplettlösungen von der Katalysatorsynthese über die State-of-the-Art-Materialcharakterisierung bis hin  zum Screening von Katalysatoren zu bieten. „Insbesondere auf dem Gebiet der Untersuchung heterogener Katalysatoren für die Industrie hat das Fraunhofer ISE jahrzehntelange Erfahrung“, betont Achim Schaadt, Abteilungsleiter „Thermochemische Prozesse“.

Messleistungen für die Materialcharakterisierung

Die Röntgenphotoelektronenspektroskopie (XPS) (oft auch Röntgenphotoelektronenspektroskopie für Chemische Analyse ESCA) ist eine zerstörungsfreie oberflächenanalytische Methode zur Bestimmung der chemischen Zusammensetzung von Oberflächen. Darüber hinaus ermöglicht die XPS Aussagen über die chemische Umgebung, die Bindung und den Oxidationszustand der untersuchten Elemente. Die neue Nah-Umgebungsdruck-Röntgenphotoelektronenspektroskopie NAP-XPS (Near- Ambient-Pressure X-ray Photoelectron Spectroscopy) am Fraunhofer ISE ist ein halbautomatisiertes System für den hohen Probendurchsatz und die Analyse von unterschiedlichen Proben wie Kristallen, anorganischen und organischen Pulvern,  ionischen Flüssigkeiten, Kunststoffen, Dünnschichten und vielen weiteren Materialien und Bauteilen  sowohl unter Vakuum als auch unter kontrollierten Gasatmosphären. Hiermit ermöglicht die NAP-XPS die in-situ-Analyse von chemischen Oberflächenänderungen unter realitätsnahen Bedingungen. Das „Sample Explorer-Setup“ ermöglicht das Vordefinieren einer unbegrenzten Anzahl von Messpositionen für bis zu neun Proben. Außerdem ist das System mit drei hochauflösenden Weitwinkelkameras ausgestattet, die das Justieren und Überwachen der Proben erleichtern. Die Anlage wird zusätzlich mit einer Tiefenprofilanalyse zur Untersuchung von Multischichten und Zwischenlagen – besonders wichtig zur Analyse von Bauteilen wie Solarzellen – sowie mit einer Vakuum-Einheit zur Untersuchung von luftempfindlichen Proben – auch kombinierbar mit einer Glovebox und anderen UHV-Anlagen – erweitert.
->Quelle und mehr:

https://www.ise.fraunhofer.de/de/presse-und-medien/presseinformationen/2020/materialcharakterisierung-fuer-die-globale-energiewende.html