In fünf Jahren sollen alle Audi-Standorte klimafreundlich produzieren – Elektromobilität als Herausforderung
Die Ingolstädter Abgassünder üben tätige Reue und reden darüber: Bis 2025 sollen einer Medienmitteilung folgend die fahrzeug-spezifischen CO2-Emissionen sukzessive um 30 Prozent verringert werden – im Vergleich zum Referenzjahr 2015 und entlang des gesamten Produktlebenszyklus. „Im Lebenszyklus eines Autos fällt ein Großteil der Emissionen in der Nutzungsphase an. Doch mit dem steigenden Anteil an elektrifizierten Autos verschiebt sich das zunehmend in die Herstellungsphase“, sagt Peter Kössler, Vorstand für Produktion und Logistik beim Ingolstädter Autokonzern.
Als „Blaupausen“ für das ehrgeizige Ziel dienen konzernweit drei Ansätze: Grüner Strom – etwa durch hauseigene Photovoltaik-Anlagen – , Wärmeversorgung der Standorte mit erneuerbaren Energien mittels Abdeckung durch Zertifikate für Biogas sowie Ausgleich der derzeit technisch nicht vermeidbaren Emissionen durch zertifizierte Carbon-Credit-Projekte.
Alle Maßnahmen zur Reduzierung des ökologischen Fußabdrucks in Produktion und Logistik werden im Umweltprogramm Mission: Zero gebündelt. Neben ersten Erfolgsmeldungen gibt es für eine der wesentlichen Herausforderungen – die bilanziell CO2-neutrale Automobilproduktion – einen strategischen Plan, wie das Ziel bis 2025 an den Audi-Standorten erreicht werden soll. Das Engagement für eine nachhaltige Produktion beschränkt sich jedoch nicht auf die eigenen Standorte: Im Rahmen des CO2-Programms haben Audi und seine Zulieferer CO2-Reduktionspotenzial in der Lieferkette identifiziert und Maßnahmen zur Umsetzung beschlossen. Im Fokus sind die in der Herstellung besonders energieintensiven Werkstoffe Aluminium, Stahl sowie Bestandteile von Batterien.
Rund 1,8 Millionen Fahrzeuge produzierte Audi im vergangenen Jahr an seinen Standorten rund um den Globus. Der Anspruch, die Produktherstellung möglichst nachhaltig zu gestalten, ist entsprechend groß. Kössler: „Hier haben wir als Hersteller einen entscheidenden Hebel. Indem wir unsere Produktionsstandorte CO2-neutral stellen und diesen Anspruch konsequent in die Lieferkette tragen, sorgen wir dafür, dass unsere Autos mit einem geringeren CO2-Rucksack beim Kunden ankommen.“
Im Vergleich zur Herstellung von weniger komplexen Gütern sei die technologisch anspruchsvolle und energieintensive Produktion von Fahrzeugen im Hinblick auf die Dekarbonisierung eine enorme Herausforderung, teilt der Hersteller mit. Audi habe bei der „sauberen“ Produktion schon zwei Etappenziele erreicht: Bereits 2018 hat der Standort in Brüssel, wo die Audi e-tron-Baureihe produziert wird, das Zertifikat für eine CO2-neutrale Produktion erhalten.
Größtes Solardach Europas in Gy?r produziert jährlich 9,5 Gigawattstunden Energie
Der Standort in Gy?r, seit Kurzem als zweiter Audi-Standort CO2-neutral, nutzt seit 2012 die geografischen Gegebenheiten und deckt rund 70 Prozent seines Wärmebedarfs durch Erdwärme ab – Audi Hungaria ist so der größte Nutzer industrieller Geothermie in Ungarn. Die restlichen 30 Prozent Wärmebedarf werden durch Erdgas erzeugt, dessen CO2-Neutralität durch Biogaszertifikate gesichert sei. Mit der Inbetriebnahme der mit 160.000 Quadratmeter größten Photovoltaik-Dachanlage Europas hat auch der Audi-Standort Gy?r bilanzielle CO2-Neutralität erreicht. Die 36.400 Solarzellen auf einer Fläche von etwa 22 Fußballfeldern produzieren jährlich 9,5 GWh Energie und sparen so allein 4.900 Tonnen CO2.
„Wir arbeiten kontinuierlich daran, den ökologischen Fußabdruck unserer Standorte zu verbessern und die bilanzielle CO2-Neutralität an allen Audi-Standorten bis 2025 zu erreichen“, erklärt Rüdiger Recknagel, Umweltschutz-Beauftragter im Audi-Konzern. „Aktuell sind an den verbleibenden Standorten Ingolstadt, Neckarsulm und im mexikanischen San José Chiapa bereits Maßnahmen umgesetzt, die zwischen 70 und 75 Prozent der ansonsten anfallenden CO2-Emissionen vermeiden.“
Umweltfreundliche Logistik mit klimaneutralem Zugverkehr und LNG-Lkw
Außerhalb der Werktore sei Audi schon seit Langem umweltverträglich aufgestellt, so der Hersteller in der Mitteilung. So setze der Premiumhersteller seit 2010 auf einen umweltfreundlichen Schienentransport seiner Automobile. Seither fährt der sogenannte „Grüne Zug” von Ingolstadt an den Nordsee-Verladehafen Emden. Im Jahr 2012 wurde auch die Verbindung vom Audi-Standort Neckarsulm nach Emden auf „Grüne Züge“ umgestellt. Seit 2017 wird der Logistikverkehr auf der Schiene mit der Deutschen Bahn größtenteils klimaneutral abgewickelt. Durch das Umstellen auf das Produkt „DBeco plus“ von DB Cargo spare das Unternehmen jährlich mehr als 13.000 Tonnen CO2 ein.
Inzwischen wickelt auch Audi Hungaria den Schienenverkehr von Bauteilen, Motoren und Autos mit DB Cargo CO2-neutral ab. Seit 2019 kompensiert Audi auch die ausländischen Teilstrecken in Ungarn und Belgien. Am Standort Ingolstadt sind zwei Hybrid-Loks, am Standort Neckarsulm eine Zugmaschine mit Elektroantrieb und eine CNG (Compressed Natural Gas)-Volumensattelzugmaschine für den Rangierbetrieb im Einsatz.
Bei Transporten, die nicht per Schienenverkehr möglich sind, werden ebenfalls klimafreundliche Alternativen eingesetzt. So werden Teile der Audi-Logistik am Standort Neckarsulm seit Kurzem durch zwei Lkw mit umweltschonendem LNG-Gasantrieb (Liquefied Natural Gas) abgewickelt – eine Ersparnis von bis zu 20 Prozent CO2 sowie 85 Prozent Stickoxid gegenüber Diesel-Lkw. Ein dritter LNG-Lkw kommt Ende des Jahres hinzu. Auch am Standort Brüssel sind seit 2018 LNG-Lkw im Einsatz. Bei dem Kraftstoff LNG handelt es sich um eine Alternative mit Zukunftscharakter: In den kommenden Jahren soll dieser rein auf Biobasis zur Verfügung stehen, womit eine Einsparung von 90 Prozent CO2 je Transport gegenüber Dieselmotoren möglich ist.
Zulieferer und Audi identifizieren gemeinsam deutliches CO2-Reduktionspotenzial
Ein sorgfältiger und kluger Umgang mit Ressourcen spart Material und verringert den Energieverbrauch, der ansonsten für die Herstellung von neuen Materialien benötigt würde. CO2-Einsparungen sind deshalb auch eine Folge von Ressourceneffizienz. „Der effiziente Umgang mit Ressourcen ist ein wesentlicher Schlüssel zur Verringerung unserer CO2-Emissionen in der Herstellungsphase“, erklärt Marco Philippi, Leiter Strategie Beschaffung. „Wir verfolgen deshalb einen Hotspot-basierten Ansatz und setzen vor allem da an, wo die Herstellung besonders energieintensiv ist oder viel Material benötigt wird.“
Durch den Wandel hin zur Elektromobilität vergrößert sich der Anteil an CO2-Emissionen, die auf die Lieferkette entfallen, denn speziell die Herstellung der Batterien ist ein CO2-intensiver Produktionsprozess. Hier entstehen bei Audi perspektivisch bis zum Jahr 2025 fast ein Viertel aller CO2-Emissionen, basierend auf dem prognostizierten Flottendurchschnitt. Audi adressiert deshalb gemeinsam mit seinen Zulieferern vor allem Maßnahmen, die in dieser frühen Phase der Herstellung greifen. Bereits 2018 hat das Unternehmen ein CO2-Programm in der Lieferkette initiiert, um gemeinsam mit Zulieferern Maßnahmen für weitere CO2-Reduzierungen zu identifizieren.
Chancen liegen vor allem in geschlossenen Materialkreisläufen, der sukzessiven Erhöhung des Einsatzes von Sekundärmaterial, der Verwendung von Materialien aus Recyclingprozessen, sogenannten Rezyklaten, in Kunststoffbauteilen sowie der Nutzung von Grünstrom. Die Umsetzung dieser Maßnahmen soll ebenfalls bis 2025 vollständig wirksam sein und birgt pro Auto ein Reduktionspotenzial von durchschnittlich 1,2 Tonnen CO2.
Audi vermeidet CO2-Ausstoß durch Recycling-Kreislauf
1. Drei Beispiele verdeutlichen diese Reduktionspotenziale: Mit der Einführung des „Aluminium Closed Loop“ in den Presswerken bei Audi wurden allein 2019 gut 150.000 Tonnen CO2 bilanziell eingespart. Audi ist Leichtbaupionier und nutzt Aluminium seit den 90er-Jahren. Bei der Nutzung von sekundärem Aluminium werden bis zu 95 Prozent Energie im Vergleich zur Verwendung von Primär-Aluminium eingespart. Der Aluminium Closed Loop ist derzeit in Ingolstadt und Neckarsulm umgesetzt, ab 2021 folgt das Werk in Györ.
Derzeit sind Umfänge aus Sekundär-Aluminium in Teilen der Karosserien von Audi A3, A4, A5, A6, A7 und A8 sowie in Teilen des Audi e-tron und e-tron Sportback integriert. Ab Ende 2020 wird auch im Audi e-tron GT, der am Standort Neckarsulm entsteht, sekundäres Aluminium eingesetzt. Weitere Baureihen und Standorte sollen folgen.
Audi startet Pilotprojekt für chemisches Recycling von Kunststoffen
2. Das zweite Beispiel ist ein Pilotprojekt, das von Audi initiiert wurde. In Zusammenarbeit mit dem Karlsruher Institut für Technologie (KIT) arbeiten die beiden Partner an einer Methode für chemisches Recycling von automobilen Kunststoffen. Damit können gemischte Kunststoffe, wie sie im Automobilbau wegen der hohen Anforderungen an Sicherheit, Hitzebeständigkeit und Qualität verwendet werden, wieder zu sogenanntem Pyrolyseöl recycelt werden. Das wiederum soll erneut für die Produktion von Automobil-Kunststoffbauteilen verwendet werden. Perspektivisch kann das Verfahren eine umweltgerechte Alternative zu mechanischem Recycling werden.
IN-Campus als Musterbeispiel für Ressourceneffizienz
3. Als ein weiteres Beispiel für vorbildliche Ressourceneffizienz führt der Hersteller den IN-Campus auf. Die Audi AG saniert in einem Joint Venture mit der Stadt Ingolstadt das ehemalige Bayernoil-Raffineriegelände. Statt Naturflächen auf der „grünen Wiese“ für neue Nutzflächen zu versiegeln, sanieren die beiden Partner das ehemalige Raffineriegelände umweltgerecht und beseitigen die Schädigungen aus der vorherigen Nutzung mittels hochmoderner Verfahren. Mit einer Fläche von 75 Hektar ist der IN-Campus eines der größten Sanierungsprojekte in Deutschland. 15 Hektar der Gesamtfläche sind als Ausgleichsfläche für die Natur vorgesehen. Es soll bis 2022 abgeschlossen sein.
„Wir sind stolz, mit diesem umweltschonenden Sanierungsprojekt die erste vollumfängliche Sanierung eines Raffineriegeländes in Bayern umzusetzen. Damit geben wir sowohl der Gesellschaft als auch der Natur etwas zurück. Auch das ist Ressourceneffizienz – hier mit Fokus auf die Ressource Fläche“, erläutert Recknagel. Die zukünftige Bebauung des Geländes soll hohe Nachhaltigkeitsanforderungen erfüllen. Der IN-Campus in Ingolstadt wurde bereits erfolgreich mit dem DGNB-Nachhaltigkeitslabel für Business-Quartiere ausgezeichnet.
In Zukunft wird auch die Car.Software-Organisation des Volkswagen-Konzerns hier einen ihrer Deutschland-Standorte haben. Die Software-Abteilung entwickelt eine einheitliche Software-Architektur für die Fahrzeuge aller Marken im Konzern sowie für ein digitales Ökosystem und kundennahe Funktionen im Handel.
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