Thorium als Uran-Ersatz

„Wunderreaktoren“ verheißen Energieparadies – angeblich

„Viele Länder setzten auf Kernkraft, um CO2-frei Energie herzustellen. In den nächsten Jahren könnten Thorium-Reaktoren die Dominanz der Uran-Kraftwerke brechen. Sie wollen Strom billiger und sicherer herstellen“, schreibt Gernot Kramper am 07.01.2022 im stern. Unmittelbar nach dem GAU von Fukushima waren 80 Prozent der Deutschen für die Abschaltung – jetzt, wo Ende Dezember drei AKW aus dem Netz gingen, nur noch 42. Dafür lebt mit dem EU-Taxonomie-Entwurf die Diskussion um den angeblich grünen Atomstrom (was er nicht ist) wieder auf. Vor allem aber über den kleinen, praktischen Thorium-Reaktor auch „Salschmelzreaktor“ (MSR) genannt.

AKW Cruas, Rhone – Foto © Gerhard Hofmann für Solarify

Thorium wurde 1828 auf der norwegischen Insel Løvøy entdeckt und von dem schwedischen Chemiker Jons Jakob Berzelius nach Thor, dem nordischen Gott des Donners, benannt. Es ist ein leicht radioaktives Metall und ist in Spuren von Gesteinen und in Böden auf der ganzen Welt zu finden , mehr als Blei.

Thorium-Reaktoren sind mit geschmolzenem Salz gefüllt, in dem das Thorium schwimmt – das wird durch normal spaltbaren Material zerlegt und in Uran-233 umgewandelt, das wiederum kann dann eine Ketteneraktion auslösen und Energie produzieren. MSR sollen GAU-sicher sein, können aber theoretisch auch als Brutreaktoren betrieben werden und – einmal mit einer geringen Menge Spaltmaterial wie Uran-235 oder Plutonium-239 in Gang gesetzt – ausschließlich mit nicht spaltbaren Nukliden (zum Beispiel Thorium-232) als Brutmaterial gespeist werden. Da Flüssigsalzreaktoren mit einer permanenten Wiederaufbereitung arbeiten, können waffenfähige Spaltstoffe aus dem Prozess extrahiert werden.

Im November 2020 aktualisierte die World Nuclear Aissociation ihren Thorium-Artikel so: „Thorium kommt in der Natur in größeren Mengen vor als Uran. Es kann nur in Verbindung mit einem spaltbaren Material wie recyceltem Plutonium als Brennstoff verwendet werden. Thoriumbrennstoffe können spaltbares Uran-233 erzeugen, das in verschiedenen Arten von Kernreaktoren verwendet werden kann. Salzschmelzenreaktoren eignen sich gut für Thoriumbrennstoff, da die normale Brennstoffherstellung vermieden wird. Die Verwendung von Thorium als neue Primärenergiequelle ist seit vielen Jahren eine verlockende Aussicht. Die kosteneffiziente Gewinnung des latenten Energiewerts ist nach wie vor eine Herausforderung, die erhebliche F&E-Investitionen erfordert. Dies geschieht vor allem in China, mit bescheidener Unterstützung der USA.“

Bereits 2012 hatten fünf englische Wissenschaftler in nature geschrieben: „Da für die Bestrahlung von Thorium der Zugang zu einem Forschungs- oder Leistungsreaktor erforderlich ist, geht die wahrscheinlichste Sicherheitsbedrohung nicht von terroristischen Organisationen, sondern von vorsätzlich proliferierenden Nationalstaaten aus. Wir haben drei Hauptbedenken:

  1. Erstens könnten Kernenergietechnologien, die eine kurzzeitige Bestrahlung von Thoriumbrennstoffen vorsehen, heimlich zur parallelen oder schubweisen Anhäufung von 233U genutzt werden, vielleicht ohne dass die IAEO auf die Proliferation aufmerksam wird.
  2. Zweitens könnte die für die chemische Aufspaltung von Protactinium erforderliche Infrastruktur erworben und heimlich in einem kleinen Labor eingerichtet werden.
  3. Drittens könnten staatliche Proliferatoren versuchen, Thorium zu nutzen, um 233U für die Waffenproduktion zu erwerben. Diese drei Punkte sollten in den Debatten über die Proliferationsmerkmale von Thorium berücksichtigt werden.

Generation IV verliert auf dem Prüfstand

Christoph Pistner vom Öko-Institut untersuchte 2019 die verschiedenen „neuen“ Reaktor-Typen – sein Fazit unter dem Titel: „Propaganda und Realität der ‚Neuen Generation von Reaktoren‘ (Gen IV) Eine (aktualisierte) Bewertung
Öffentliche Versprechungen der ‚Neuen Reaktorkonzepte‘.

In den Medien kolportierte Versprechungen:

  • 10.000mal weniger Abfälle
  • Abfälle bleiben nur für 1.000 Jahre gefährlich.
  • Strom wird so billig sein, dass selbst Schwellenländer ihn sich leisten können
  • Reaktoren sind inhärent sicher, schwere Unfälle sind nicht möglich
  • Wegen des Brennstoffs Thorium gibt es kein Proliferationsproblem
  • Reaktoren werden innerhalb von 15 bis 20 Jahren auf dem Markt verfügbar sein

Die Realität hat heute die Versprechungen eingeholt:

  • Status: Mehr als 20 Reaktorprototypen und 400 Jahre Betriebserfahrung seit 70 Jahren F&E, noch immer kein kommerziell nutzbares System
  • Brennstoffnutzung: Grundlegender Aspekt der Züchtung von neuem spaltbarem Material, das in absehbarer Zukunft nicht benötigt wird
  • Sicherheit: Spezifische Vorteile und Nachteile, aber die Sicherheits- und Leistungsbilanz ist noch schlecht
  • Verbreitung: Potenziell signifikanter Nachteil, da sehr hochwertiges spaltbares Material produziert werden kann, aber stark abhängig von der tatsächlichen technischen Auslegung

Pistners Schlussfolgerungen vor allem für den Thorium-Reaktor

  • Zwischen 1940 und 1970 seien beträchtliche Anstrengungen unternommen worden, aber ohne technisch überzeugendes Ergebnis. Dennoch seien nach 2000 die Pläne wiederbelebt worden, aber: ein kommerziell nutzbares System ist nicht vor 2060 zu erwarten.
  • In Bezug auf die Sicherheit seien durchaus einige Vorteile möglich, dafür sei aber ein erhebliche technologische Entwicklung erforderlich. Denn schwere Strahlenschutzprobleme während des normalen Betriebs müssten gelöst werden.
  • Auch die Abfälle – verschiedene Abfallströme und andere relevante Nuklide (T, Cl-36, C-14) seien ungelöst und stellten daher nach wie vor ein Problem dar.
  • Spezifische Probleme bestünden aufgrund der notwendigen On-Line-Brennstoffwiederaufbereitung weiter in Sachen Proliferation.
  • Thorium stelle aufgrund unzureichender Versorgung mit Uran keine alternative Ressource dar.

Daher seien die „neuen Reaktorkonzepte“ schlicht und einfach „alt“, selbst wenn es graduelle Verbesserungen gebe, sei bislang kein großer Durchbruch (game changer) identifiziert worden. Es sei schlicht kein kommerziell verfügbares System am Horizont (< 2045). Für einige der Reaktorkonzepte seien potenzielle Vorteile in Bezug auf einzelne Bewertungskriterien möglich. Aber: „Kein Konzept bietet wesentliche Vorteile in allen Bewertungskriterien gleichzeitig. Unterschiedliche Bewertungskriterien konkurrieren, ein neues Reaktorkonzept, das nur bei einem oder mehreren Kriterien Vorteile bietet, wird nicht zu einer höheren öffentlichen Akzeptanz führen.“

In China will man weitaus schneller vorankommen: Seit 2011 läuft ein Forschungsprogramm mit gut 400 Millionen Euro für die Entwicklung von Salzschmelzenreaktoren. Wenn die Experimente im Thorium-Reaktor Wuwei erfolgreich verlaufen, will die Volksrepublik schon bis 2030 einen Reaktor mit fast 400 Megawatt Leitung bauen. Das käme durchaus an die typischen Nennleistungen heute üblicher Kohle- oder Gas-Kraftwerke heran. Thorium ist dabei für China ein als Abfallprodukt aus dem Abbau der sogenannten seltenen Erden ein praktischer, weil naheliegender Energieträger.

->Quellen: