Die wahren Risiken einer Laufzeitverlängerung

„Wer jetzt am Atomausstieg rüttelt, gefährdet auch die sichere Endlagerung von radioaktivem Abfall“ –  von Wolfram König

Wolfram König, Präsident des Bundesamtes für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung, beschreibt am 31.07.2022 in der FAZ, welche Risiken er in der gegenwärtig heiß diskutierten Laufzeitverlängerung für AKW erkennt. Vor allem vermisst er eine „auf wissenschaftlich-technischen Erkenntnissen beruhende Risikoabschätzung“. Bei der fehle oft die Frage der Entsorgung der radioaktiven Abfälle. Am Schluss zieht er einen drastischen Vergleich.

Nicht mehr am Netz – AKW Philippsburg – Foto © Gerhard Hofmann, Agentur Zukunft, für Solarify

„Der Krieg Russlands gegen die Ukraine hat in Deutschland die Debattenkultur verändert. Das gilt auch für die Atomdebatte. Vor der Befürchtung einer nicht ausreichenden Versorgung mit Gas wird die Forderung nach einem Weiterbetrieb der drei noch am Netz befindlichen Kernkraftwerke lauter. Die Diskussion über die Sicherheitsreserven dieser Kraftwerke und über den gesamtgesellschaftlichen Preis ihres Weiterbetriebs wird jedoch oft schon im Ansatz durch den Generalvorwurf der Ideologie unterbunden. Auf der Strecke bleibt eine auf wissenschaftlich-technischen Erkenntnissen beruhende Risikoabschätzung. Eine solche Abschätzung müsste nicht nur die Sicherheit der Atomkraftwerke berücksichtigen, sondern auch die Entsorgung der radioaktiven Abfälle. In beiden Fällen wären die gesamtgesellschaftlichen Kosten für einen Weiterbetrieb der Anlagen erheblich.“

Im Zuge dieser Debatte hat die Bundesregierung Anfang März 2022 geprüft, ob eine Verlängerung der Laufzeiten der noch im Betrieb befindlichen drei Atomkraftwerke in Deutschland umsetzbar wäre und inwiefern diese Verlängerung zur Energiesicherheit beitragen könnte. Im Ergebnis einer Abwägung von Nutzen und Risiken hat die Bundesregierung eine Laufzeitverlängerung auch angesichts der aktuellen Gaskrise abgelehnt (zum Prüfvermerk des Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) und BMUV). Vor dem Hintergrund einer sich weiter zuspitzenden Lage zur Energieversorgungssicherheit im kommenden Winter hat die Bundesregierung am 17. Juli 2022 einen Stresstest in Auftrag gegeben. Im Zuge dessen wird auch eine mögliche Laufzeitverlängerung eines oder mehrerer AKWs hinterfragt.

Mit Blick auf das Abschaltdatum am Ende dieses Jahres sei den drei noch in Betrieb befindenden Kraftwerken eine Sonderregelung zugestanden worden – die Aussetzung der Periodischen Sicherheitsüberprüfung (PSÜ), die eigentlich 2019 hätte durchgeführt werden müssen. DieBed eutung dieser könne man derzeit in Frankreich sehen. Dort sei im Rahmen einer PSÜ zunächst in einem Kernkraftwerk eine bis dahin unbekannte Korrosion in einem Rohrsystem festgestellt worden. Ein Bruch in diesem System hätte zu einem Kühlmittelverlust und somit bis hin zu einer Kernschmelze führen können. Das Problem sei daraufhin in anderen Reaktoren ebenfalls festgestellt worden. „Das hat maßgeblich zu dem aktuellen Stillstand von mehr als der Hälfte der französischen Reaktoren beigetragen…“ Es sei bekannt, dass der sogenannte Streckbetrieb über den nächsten Winter nur einen „äußerst begrenzten Beitrag zur Gassubstitution“ leisten könne. „Der hierfür notwendige juristische, finanzielle und organisatorische Aufwand dürfte schon unter Ausblendung der Sicherheitsaspekte nur schwer zu rechtfertigen sein.“

Eine gutachterliche Kurzstellungnahme, die jüngst von der Bayrischen Landesregierung zu Isar 2 in Auftrag gegeben wurde, kommt zum Schluss, dass es für dieses AKW keinerlei Bedenken im Falle einer Laufzeitverlängerung gäbe. Die Bundesregierung stellte hingegen fest, dass ein Weiterbetrieb der drei verbliebenen AKW, wenn überhaupt, nur erfolgen könnte, wenn Abstriche bei der Sicherheit in Kauf genommen würden. Für eine Laufzeitverlängerung müsste das Kraftwerk nach Vorgabe des Gesetzes ein höheres Sicherheitsniveau erfüllen. Wie dieses konkret aussieht und welche Maßnahmen und Nachrüstungen notwendig sind, um die nukleare Sicherheit der Anlage kontinuierlich zu verbessern, wird mithilfe einer periodischen Sicherheitsüberprüfung bestimmt. Diese wäre für das KKW Isar 2 im Jahr 2019 notwendig gewesen, wurde aber mit Blick auf die Abschaltung des Kraftwerks Ende 2022 ausgesetzt. Die besagte gutachterliche Kurzstellungnahme zu Isar 2 enthält somit keine Aussage darüber, ob das Kraftwerk auch das für einen Weiterbetrieb notwendige höhere Sicherheitsniveau erfüllen würde.

Seit 2014 gelten bei der Erteilung neuer Genehmigungen auch europaweit erhöhte Anforderungen an die Sicherheit von Atomkraftwerken. Denn auch unsere Nachbarn haben einen Anspruch darauf, vor den Gefahren deutscher Atomkraftwerke möglichst gut geschützt zu werden.

Mit dem Krieg in der Ukraine sind zivile kerntechnische Anlagen zum ersten Mal indirekt zum Ziel kriegerischer Auseinandersetzungen geworden. Kerntechnische Anlagen können gegen diese Form der Bedrohung nicht ausgelegt werden. Russland hat deutlich gemacht, dass internationale Regeln, die Kriegshandlungen rund um Atomkraftwerke untersagen, nur so lange Bestand haben können, wie sich alle Akteure daran gebunden fühlen. Atomanlagen werden in derartigen Fällen zu einer besonderen Bedrohung. Ihre Nutzung ist in vielen Atomstaaten zudem eng mit dem militärischen Gebrauch verbunden. Die militärische Nutzung, sei es durch Nuklearwaffen oder auch indirekt durch Beschuss einer Anlage, stellt eine Erhöhung der Risiken für eine Gesellschaft dar.

Nach wie vor liege ein sicherer Endlagerstandort für Atommüll in großer Ferne… „Heute muss ich konstatieren, dass ich das Ziel 2031 für nicht mehr realistisch halte. Gleichwohl ist es für die Sicherheit der nachfolgenden Generationen von zentraler Bedeutung, den Weg zu einem Endlager konsequent zu verfolgen. Jetzt Laufzeitverlängerungen zu beschließen, wäre nicht nur eine zusätzliche Hypothek für die Entsorgung. Der mühsam errungene gesellschaftliche Konsens würde auch grundsätzlich infrage gestellt werden.“

Die mehr als 60 Jahre andauernde Nutzung der Kernenergie habe in Deutschland hoch radioaktive Abfälle angehäuft, die in rund 1.900 in 16 über die Bundesrepublik verteilten Orten sogenannten Castorbehältern lagern. Eine dauerhafte Lösung sei das nicht. Das große Risikopotential dieser „Zwischenlager“ werd durch einen Vergleich deutlich: „Die für jeden Behälter genehmigte maximale radioaktive Gesamtaktivität liegt etwa in der gleichen Größenordnung wie die beim Unfall in Tschernobyl freigesetzte Gesamtaktivität…“

(Die grün unterlegten Textstellen sind der Seite des Bundesamtes für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung entnommen.)

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