Wasserstoff sparsam einsetzen

11mal klimaschädlicher als CO2

Grüner Wasserstoff birgt große Chancen für die Transformation des Energiesystems, seine Verfügbarkeit bleibt im Verhältnis zum erwarteten Bedarf aber absehbar knapp, selbst wenn man mögliche Importe berücksichtigt. Daher muss die Politik, parallel zur Unterstützung des Hochlaufs der Wasserstoffwirtschaft und des Ausbaus der Erneuerbaren Energien, eine Priorisierung von Wasserstoffanwendungen vornehmen. Knapper Wasserstoff muss zielgerichtet und sparsam eingesetzt werden, um Versorgungssicherheit, Wirtschaftlichkeit und Klimaschutz zu gewährleisten. Erste Ergebnisse aus dem Vorhaben „Wasserstoff als Allheilmittel?“ zeigen in einer Untersuchung von Jens Clausen und Klaus Fichter (Borderstep Institut) und Florian Kern und Frieder Schmelzle (Institut für ökologische Wirtschaftsforschung) den Bedarf für eine Priorisierung von Wasserstoffanwendungen.

Gastanks (Wasserstoff und Kohlendioxid) und PV-Wand in Berlin-Adlershof – Foto © Gerhard Hofmann, Agentur Zukunft für Solarify

Der Einsatz von grünem Wasserstoff als Energieträger erfordert aufgrund der Umwandlungsverluste in der Elektrolyse deutlich mehr Primärenergie als elektrische Lösungen, wie z.B. Wärmepumpen oder Elektrofahrzeuge, und wird daher teuer sein. Die politische Förderung von Wasserstoff sollte so gestaltet werden, dass sich effiziente Lösungen gut durchsetzen können. In der Atmosphäre wirkt Wasserstoff bis zu 11mal so klimaschädlich wie CO?. Die Verteilung elementaren Wasserstoffs über große Erdgas-Verteilnetze birgt daher Risiken. Die Gefahr von Leckagen ist gegeben und muss bei der Bewertung dieser Option berücksichtigt werden.

Wasserstoff Allheilmittel für Klimaschutz und Versorgungssicherheit?

Wasserstoff ist heute ein zentrales Thema der klima-, energie- und industriepolitischen Debatte. Auf bundespolitischer Ebene wurden große Förderprogramme verabschiedet und internationale Verträge zur zukünftigen Lieferung von Wasserstoff geschlossen. Wasserstoff kann ein wichtiger Energieträger in einem regenerativen Energiesystem der Zukunft sein. Da er in der Form gasförmigen Wasserstoffs wie auch umgewandelt in flüssige Treibstoffe verfügbar sein könnte, und auch als Energiespeicher dienen kann, hat Wasserstoff potenziell viele verschiedene Anwendungsbereiche. Er kann einen wesentlichen Beitrag zur Dekarbonisierung der Gesamtwirtschaft leisten, wenn er aus Erneuerbaren Energien gewonnen wird (grüner Wasserstoff). Wasserstoff kann langfristig auch die Versorgungssicherheit mit Energie verbessern, da er langfristig speicherbar ist und aus einer großen Anzahl von Ländern importiert werden könnte.

Aktuell werden viele Anwendungsbereiche für Wasserstoff vorgeschlagen. In einigen ist der Einsatz von Wasserstoff alternativlos, in anderen steht er im Wettbewerb mit anderen Energieträgern, meist mit dem direkten Einsatz von Strom. Zwischen den konkurrierenden Lösungen gibt es große Unterschiede bei der Effizienz der Nutzung der Primärenergie, wie auch bei den Kosten. Mit Blick auf die Anwendungsbereiche gibt es zahlreiche Studien, die sehr unterschiedliche Bedarfsmengen vorhersagen. Hinsichtlich der zukünftigen Bedarfsmengen herrscht also noch erhebliche Unsicherheit, die umso mehr eine politische Steuerung herausfordert.

Dabei wird oft vergessen, dass Wasserstoff ein Energieträger für Sekundärenergie ist. Grünen Wasserstoff zu erzeugen, erfordert zunächst eine deutlich größere Menge an regenerativem Strom, was den Preis in die Höhe treiben wird. Sowohl der Ausbau der notwendigen regenerativen Stromerzeugung wie auch der Elektrolysekapazitäten wird Jahrzehnte in Anspruch nehmen. Dabei spielt es nur eine begrenzte Rolle, ob dieser Ausbau in Deutschland oder in anderen Ländern erfolgt, aus denen dann Wasserstoff importiert werden kann. Zahlreiche Studien versuchen, das zukünftige Angebot an Wasserstoff zu quantifizieren. Aber da die Entwicklung noch ganz am Anfang steht, unterscheiden sich die Ergebnisse erheblich. Es ist heute noch sehr unsicher, wieviel Wasserstoff bis 2030, 2040 oder 2050 jährlich zur Verfügung stehen wird. Letztlich besteht somit auch eine große Unsicherheit, inwiefern ein schneller Hochlauf der Produktion oder des Imports von Wasserstoff gelingen kann und ob damit alle vorgeschlagenen Bedarfe befriedigt werden können. Diese Unsicherheit ist für öffentliche und private Investitionsentscheidungen problematisch und birgt für das Erreichen der Klimaziele große Unwägbarkeiten.

Angebot an und Nachfrage nach Wasserstoff

In einer neuen Studie wurde nun eine Betrachtung der mit der Anwendung von Wasserstoff konkur-rierenden Innovationspfade durchgeführt. Die Studie ist Teil des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Projektes „Wasserstoff als Allheilmittel? Richtungssicherheit für Schlüsselentscheidungen über alternative Transformationspfade – INSIGHTS für die Politikgestaltung“, welches das Borderstep Institut für Innovation und Nachhaltigkeit und das Institut für ökologische Wirtschaftsforschung gemeinsam bearbeiten.

Am Anfang stand die Aufgabe, sich über die zukünftige Nachfrage nach und das Angebot von Wasserstoff einen möglichst aktuellen Überblick zu verschaffen. Zahlreiche Studien bieten hierzu auf Basis eines breiten Spektrums von Annahmen viele Zahlen an. Mit Blick darauf, dass das Angebot von grünem Wasserstoff äußerst gering ist und eine Nachfrage nach grünem Wasserstoff bisher kaum existiert, sind diese großen Unterschiede und Unsicherheiten kaum verwunderlich.

Vergleichen wir beispielsweise die höheren Abschätzungen des breiten Spektrums der in der Studie von Zachmann et al. (2021)1 berücksichtigten Wasserstoff-Bedarfe, inklusive eines hohen Bedarfs in Verkehr und Wärmeversorgung, und schlagen wir dabei Deutschland jeweils einen Anteil von 24 % der für Europa geschätzten Mengen zu2, dann liegt das Ergebnis bei ca. 600 TWh/a Wasserstoff in 2050. Das zu erwartende Angebot aus Produktion und möglichen Importen von Wasserstoff, wie es z.B. im Vergleich der „Big 5 Studien“, den das Energiewirtschaftliche Institut an der Universität zu Köln (EWI) durchführte3 und auch in einer Studie des Öko-Instituts4 quantifiziert wird, liegt mit ca. 350 TWh/a deutlich darunter. Alle drei Studien sind aktuelle Metastudien, die aus Sicht des Projektteams die Frage nach den Mengen und Größenordnungen so gut wie gegenwärtig möglich beantworten.

Bezieht man auch den bereits heute bestehenden Wasserstoffbedarf von ca. 80 TWh/a mit ein, wird klar, dass kurz- und mittelfristig aufgrund des relativ limitierten Angebots nur vergleichsweise kleine Mengen an Wasserstoff zusätzlich verbraucht werden können. Mit Blick auf das Ziel einer hohen Versorgungsicherheit auch für Wasserstoff ist daher festzuhalten:

Wasserstoff ist bis auf Weiteres knapp und teuer,

  • in einigen Anwendungen alternativlos,
  • in anderen eine ineffiziente Notlösung,
  • und daher nicht die neue Universalenergie.

Politische Priorisierung von Wasserstoffanwendungen nötig

Aus dem Missverhältnis von potenziellen zukünftigen Bedarfen und potenziell verfügbarem Angebot ergibt sich die Notwendigkeit, die Anwendungen von Wasserstoff zu priorisieren. Um auch in der sich entwickelnden Wasserstoffwirtschaft eine hohe Versorgungssicherheit und möglichst niedrige Kosten der Endenergie zu erreichen, ist es daher naheliegend, Wasserstoff zunächst dort einzusetzen, wo er unverzichtbar ist oder wo er besonders große ökologische und ökonomische Vorteile verspricht (z.B. in Hochöfen zur Herstellung von Roheisen). In anderen Bereichen ist Wasserstoff dagegen eine aufwändige und daher teure Notlösung (z.B. bei der Herstellung synthetischer Treibstoffe für Autos mit Verbrennungsmotor) im Vergleich zu Alternativen (E-Autos).

Weiter geht vom Gas Wasserstoff eine nicht unerhebliche Treibhauswirkung aus, die mehr als das Elffache von CO2 beträgt5. Da Wasserstoff das kleinste aller Moleküle ist, sind Leckagen, wie sie auch bei Methan eine bisher unterschätze Rolle spielen, ein bei großtechnischer Anwendung kaum zu vermeidendes Problem. Auch aus Klimaschutzgründen ist es daher wichtig, die Anwendung von Wasserstoff als Gas auf die unbedingt notwendigen Technologiebereiche zu reduzieren, die Frage von Lecka-gen vorausschauend zu berücksichtigen und Wasserstoff keinesfalls als klimapolitisches Allheilmittel überall einzusetzen.

Aus heutiger Sicht können schon einige Anwendungen identifiziert werden, für die die zukünftige Anwendung von Wasserstoff in Wissenschaft, Politik und Wirtschaft weitgehend Konsens ist. In anderen Anwendungen wird die Nutzung von Wasserstoff als kritisch bzw. unwirtschaftlich gesehen, wobei einzelne Akteure weiterhin Wasserstoff favorisieren. Insbesondere für Anwendungen in der industriellen Prozesswärme, in der Schifffahrt und der Luftfahrt ist das ‚Rennen‘ zwischen Wasserstoff und seinen Wettbewerbstechnologien noch offen.

Entwickelt sich die Verfügbarkeit von grünem Wasserstoff besser als heute angenommen, ließen sich Anwendungen, z.B. im Bereich des Schwerlast- oder Schienenverkehrs oder in der Wärmeversorgung, später ausweiten. Plant die Wasserstoffpolitik diese Anwendungen aber von vornherein fest ein, erreicht dann jedoch nicht die Wasserstoffverfügbarkeit im hierfür erforderlichen Ausmaß, würde ein Lockin in eine deutlich zu lange Nutzung fossiler Energieträger riskiert. Dieser Fall ist angesichts der sich weiter verschärfenden Klimakrise unbedingt zu vermeiden.

Empfehlungen für eine nachhaltige Wasserstoffpolitik

Der Energieträger grüner Wasserstoff birgt für die Dekarbonisierung der Gesamtwirtschaft ohne Zweifel große Chancen. In der Stahlherstellung, als Langzeit-Energiespeicher und als Rohstoff für Raffinerien und Chemieindustrie ist er nach heutigem Stand der Technik unverzichtbar. Als klima-, energie- und industriepolitischer Blankoscheck taugt er jedoch nicht, denn auch Wasserstoff ist ein klimaschädliches Gas und seine Herstellung erfordert viel, absehbar knappen, regenerativen Strom.

  1. Wasserstoff wird auf absehbare Zeit eher knapp sein. Die Politik ist daher bei Wasserstoff, genauso wie bei anderen Energieformen, aufgerufen, das energiepolitische Zieldreieck Wirtschaftlichkeit, Umweltverträglichkeit und Versorgungssicherheit nicht aus den Augen zu verlieren. Eine wirtschaftliche Anwendung und niedrige Energiekosten lassen sich primär dort realisieren, wo effiziente Technologiepfade genutzt werden. Aus Klimaschutzgründen sollte der klimaschädliche elementare Wasserstoff nur dort eingesetzt werden, wo es aufgrund eines Mangels an Alternativen unbedingt erforderlich ist. Und Versorgungsicherheit kann nur gewährleistet werden, wenn das Angebot die Nachfrage übersteigt. Daher muss die Politik, parallel zu verstärkten Bestrebungen den ‚Hochlauf‘ der Wasserstoffwirtschaft und den Ausbau der er-neuerbaren Energien zu fördern, eine Priorisierung von Wasserstoffanwendungen vornehmen.
  2. Ein erheblicher Teil der in Deutschland genutzten Primärenergie wird im Verkehr, für die Raumwärmeversorgung und die Erzeugung von Prozesswärme eingesetzt. Sowohl im Verkehr wie auch in der Wärmeversorgung dominiert bisher die Verbrennung von Energieträgern in Verbrennungsmotoren, Gasthermen und Öfen. Würden in beiden Bereichen elektrische Antriebe und elektrische Heizungsanlagen wie z.B. die Wärmepumpe dominieren, könnten erhebliche Effizienzpotenziale erschlossen werden. So könnten die Bedarfe mit wesentlich weniger Primärenergie gedeckt werden. Im Verkehr erfordern elektrische Antriebe gegenüber dem Wasserstoffantrieb um den Faktor 2,5 weniger Primärenergie, in der Raumwärme liegt der Faktor beim Einsatz von Wärmepumpen bei ca. 4 bis 5.
  3. Mit Blick darauf, dass Wasserstoff mehr als 11mal so klimaschädlich ist wie CO2, sollte die Nutzung von elementarem Wasserstoff zur Versorgung von Brennstoffzellen nicht über das heutige Erdgas-Verteilnetz erfolgen. Denn Wasserstoff ist das kleinste aller Moleküle und es ist ein Risiko, ein solch weitläufiges Leitungsnetz gegen den Verlust von Wasserstoff wirksam abdichten zu wollen. Zudem darf auch an einem wirtschaftlichen Betrieb dieses Netzes gezweifelt werden, denn mit Blick auf die Vorteile der Elektrifizierung der Wärmeversorgung wird es nur wenige Endkunden geben, die teuren Wasserstoff zur Raumheizung nutzen. Die Verantwortung der Technologie- und Energiepolitik liegt nun primär darin, Fehlinvestitionen, „versun-kene Kosten“, damit verbundene Pfadabhängigkeiten und „Sackgassen“ zu vermeiden, also Investitionen in Technologien und Infrastrukturen, die sich langfristig nicht als sinnvoll herausstellen.

Anmerkungen
1 Zachmann, G., Holz, F., Roth, A., McWillimas, B., Sogalla, R., Meissner, F. et al. (2021). Decarbonisation of Energy Determining a robust mix of energy carriers for a carbon-neutral EU. Luxemburg. Zugriff am 20.7.2022. Verfügbar unter: https://www.econs-tor.eu/handle/10419/251795.
2 Zusätzlich ist für 2050 ein Bedarf von Wasserstoff für die Stabilisierung der Stromerzeugung von 400 TWh in Europa, also ca. 100 TWh in Deutschland, berücksichtigt.
3 Gierkink, M., Wagner, J., Czock, Lilienkamp, A., Moritz, Mi., Pickert, L. et al. (2022). Vergleich der „Big 5“ Klimaneutralitätsszenarien. Köln. Zugriff am 20.7.2022. Verfügbar unter: https://www.ewi.uni-koeln.de/de/publikationen/vergleich-big-5/
4 Öko-Institut e.V. (2021). Die Wasserstoffstrategie 2.0 für Deutschland. Berlin. Zugriff am 29.5.2021. Verfügbar unter: https://www.stif-tung-klima.de/app/uploads/2021/05/Oeko-Institut-2021-Die-Wasserstoffstrategie-2.0-fuer-Deutschland.pdf.
5 Vgl. Warwick, N., Griffiths, P., Keeble, J., Archibald, A., Pyle, J. & Shine, K. (2022). Atmospheric implications of increased Hydrogen use. Cambridge & Reading. Verfügbar unter: www.gov.uk/government/publications/atmospheric-implications-of-increased-hydrogen-use

->Quellen: