„Ja, es geht“

Nahrungs- und Energieproduktion, Biodiversitäts- und Klimaschutz gemeinsam auf einer Agrarfläche

Können zukünftige Nahrungsproduktion, nachhaltige Rohstoff- und Energieerzeugung, Biodiversitätsschutz und Wasserbewirtschaftung auf Deutschlands Flächen in ausreichendem Maß gesichert werden? Ja, das geht, sagten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler einer Medienmitteilung vom 24.11.2022 beim Strategischen Forum der DAFA vom 8.-9. November 2022 zufolge. Der Vorstand der Deutschen Agrarforschungsallianz (DAFA) empfiehlt deshalb die Förderung des Ausbaus von Windenergieanlagen und Photovoltaik in Agrarlandschaften, Anpassung des genehmigungs- und förderrechtlichen Rahmens für Landnutzungsänderungen, Preise stärker mit gesellschaftlichen Erfordernissen in Einklang zu bringen und das gemeinsame Experimentieren von Wissenschaft und Praxis voranzutreiben.

PV-Feld in Brandenburg im Grünen – Foto © Gerhard Hofmann, Agentur Zukunft, für Solarify

Die Gesellschaft hat Landwirtschaft und Landschaften zu verschiedenen Zeiten an die jeweiligen Ansprüche angepasst und damit geprägt. Wälder wurden für Ackerland gerodet, Moore entwässert, Deiche errichtet, Autobahnen und Wasserstraßen gebaut und schließlich Schutzgebiete ausgewiesen. Wenn nun der Pro-Kopf-Verbrauch von Ressourcen in den industrialisierten Ländern umgerechnet auf alle Bewohner der Erde die planetaren Grenzen überschreitet, müssen Landschaften vor allem in den Industrieländern multifunktional für Nahrungsmittelerzeugung, Klimaschutz und Biodiversität genutzt werden.

Die Tagung hat deutlich gemacht, dass für eine multifunktionelle Nutzung eine ganzheitliche Sicht für Landwirtschaft und Agrarlandschaften erforderlich ist, um Prioritäten zu setzen und Beiträge zu den gesellschaftlichen Zielen präziser zu verorten. Bei der Klimaveränderung hat die Landwirtschaft eine dreifache Rolle als Verursacher, Leidtragender und Teil der Lösung. Dabei ist die Rolle als Mitverursacher gleichzeitig der Schlüssel für die Lösung, weil die wirksamsten Ansätze zum Klimaschutz darauf abzielen, Treibhausgasemissionen zu reduzieren.

Die Landnutzung spielt auch bei der Energiewende eine große Rolle. Mit einer gezielt ausgerichteten Mischung aus Windenergie und Freiflächen-Photovoltaik (PV) könnte Deutschland seinen kompletten Energiebedarf relativ kostengünstig decken, und hierfür würde sogar weniger Agrarfläche benötigt als derzeit für die Bioenergieerzeugung. Freiflächen-PV kann schnelle und große Beiträge leisten, doch sollte die Expansion grundsätzlich reversibel gestaltet werden, da langfristig andere Optionen z.B. Import von Solarstrom oder Dachflächen-PV) vorzuziehen sein könnten. Zu diesen Optionen gehören auch Konzepte der Agri-PV, die Pflanzen- und Energieproduktion auf derselben Fläche ermöglichen.

Was ist jetzt erforderlich?

Alle wichtigen Herausforderungen für die Landwirtschaft müssen von Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und Forschung systemisch angegangen und die Zusammenarbeit innerhalb verschiedener Ressorts und Disziplinen gefördert werden. Nur so können sinnvolle Lösungen mit synergistischen Effekten erarbeitet werden. Eine geordnete Transformation stellt dabei eine große gesellschaftliche Koordinationsaufgabe dar — der Kohleausstieg ist dafür ein Beispiel. Dafür müssen rasch geeignete Formate und Instrumente ausgewählt und implementiert werden. Die Verantwortung für die Umsetzung und Gestaltung sollten regional verortet und national koordiniert werden.

Die Energieerzeugung auf Agrarflächen sollte im Rahmen abgestimmter Strategien von der Bundesregierung vorangetrieben werden. Dazu muss die Politik den genehmigungs- und förderrechtlichen Rahmen für Landnutzungsänderungen an die dringlichen Erfordernisse anpassen. Denn der aktuelle Rahmen bremst nicht nur die Energiewende, sondern auch viele weitere sinnvolle Änderungen der Landnutzung. Das betrifft z.B. die Wiedervernässung von Moorböden, die Verbesserung des regionalen Wasserhaushalts oder die Neuanlage von Gehölzflächen und ihre Einbettung in Biotopverbundsysteme. Über gezielte Aufträge kann die Forschung geeignete Gestaltungsmöglichkeiten des Rahmens erarbeiten.

Damit die Landnutzung schnell an die veränderten Herausforderungen angepasst werden kann, sind Änderungen auf drei Ebenen erforderlich:

  1. Zum einen sollte die Politik auf der nationalen und internationale Ebene dafür sorgen, dass die Preise stärker mit Erfordernissen im Einklang sind (CO2-Bepreisung, Mehrwertsteuerreform etc.). Die Einpreisung der gesellschaftlichen Kosten landwirtschaftlicher Produktion, insbesondere der Tierhaltung, ist hier ein zentraler Hebel, muss aber durch Einkommenshilfe für sozial schwache Gruppen begleitet werden. Diese Anreize wirken sich dann auf das Handeln alle Akteure aus und ermöglichen sinnvolle marktwirtschaftliche Anpassungen.
  2. Zum anderen müssen Kommunikation und Aufklärung die Preissignale ergänzen. Ernährungsmuster, die zur Verminderung gesellschaftlicher Konflikte anzustreben sind und zudem auch noch zur individuellen Gesundheit beitragen, vor allem eine Verminderung des Konsums tierischer Produkte entsprechend den Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung, müssen sich durch gesellschaftliche Anerkennung auch individuell erkennbar lohnen.
  3. Umgekehrt müssen Ernährungsmuster, die dazu beitragen, gesellschaftliche Konflikte zu verschärfen, problematisiert werden. Die Politik muss hierfür verbesserte Rahmenbedingungen schaffen, damit die Akteure auf der regionalen Ebene die Landnutzungsplanung synergistisch und partizipativ weiterentwickeln können. Zur Erarbeitung und Prüfung von Lösungsansätzen wäre ein Netz von Reallaboren auf den Ebenen Betrieb, Landschaft, und Gesellschaft sehr hilfreich.

Bei Forschungsaufgaben ist eine breite Zusammenarbeit und Kommunikation mit Landwirtschaft, Politik und Gesellschaft notwendig. Denn das bisherige Vorgehen von großen Teilen der Wissenschaft, also die Erzeugung von fundiertem und gut abgesichertem Wissen, dessen Publikation und die Erwartung, dass die Ergebnisse in einen Gesamtkontext gesetzt und umsetzt werden, ist schon in der Vergangenheit gescheitert und ist angesichts der Fragen, die dringend Lösung erfordern, nicht funktional. Die Wissenschaft muss als Partner auftreten, der zuhört, zu Lösungen beiträgt, aber auch entschlossen eigene, auf Forschungsergebnissen basierte Positionen bezieht und vermittelt. Weiterhin ist es sinnvoll und notwendig, auch Schlussfolgerungen, die noch nicht wissenschaftliche Veröffentlichungsreife erreicht haben, gemeinsam mit Praktikern in Reallaboren auf die Probe zu stellen.

Übersicht über die Vorträge

Was Agrarlandschaften jetzt leisten müssen, damit der Klimawandel und der Biodiversitätsverlust eingedämmt und die Energiebereitstellung gesichert wird, stellten zu Beginn der Veranstaltung eindrücklich Bernhard Osterburg (Thünen-Institut), Catrin Westphal (Universität Göttingen) und Hermann Lotze-Campen (Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung) vor.

Sind das nicht zu viele Anforderungen für ein flächenmäßig kleines, dicht bevölkertes Land wie Deutschland? Keineswegs – zeigte Folkhard Isermeyer (Thünen-Institut) anhand von Berechnungen beruhend auf gut begründeten Abschätzungen. Man muss auf kombinierte Lösungen setzen und flächenineffiziente Produktionsmethoden wie Teile der Nutztierhaltung und die Biogaserzeugung drastisch reduzieren. Die vertiefenden Vorträge zu Photovoltaik und Windkraft (Max Trommsdorff, Fraunhofer-ISE, Christina von Haaren, Universität Hannover und Silke Christiansen, Kompetenzzentrum Naturschutz und Energiewende) bestätigten, dass Zielkonflikte überwunden werden können und ausreichend Platz vorhanden ist. Hemmende Faktoren sind jedoch die nicht an die nationale Herausforderung angepasste Raumplanung und die über verschiedene Hierarchien und Ressorts verteilte rechtliche Zuständigkeit.

Wiedervernässung von Moorstandorten mit angepasster wirtschaftlicher Nutzung würde den Spielraum für Nahrungs- und Energieproduktion noch erhöhen, weil Treibhausgasemissionen aus entwässerten Mooren drastisch gesenkt würden (Franziska Tanneberger, Universität Greifswald). Zusammen mit oberflächlicher Wasserspeicherung (Nataliya Stupak, Thünen-Institut) und Steigerung der Wasserproduktivität in Pflanzenbau und Tierhaltung (Katrin Drastig, Leibniz-Institut für Agrartechnik und Bioökonomie) lassen sich weitere Synergien in der Agrarlandschaft heben. Einen zusätzlichen Beitrag zu höherer Wassereffizienz, Kohlenstoffspeicherung, Biodiversität und Produktivität leisten Gehölze in der Agrarlandschaft, sei es als Hecken (Sophie Drexler, Thünen-Institut), Agroforst und Kurzumtriebsplantagen (Christian Böhm, Brandenburgische Technische Universität) oder die vorausschauend klimaangepasste Neu- und Wiederaufforstung von Wäldern (Peter Annighöfer, Technische Universität München).

Vorschläge, wie mit hybriden Landbausystemen (Friedhelm Taube, Universität Kiel) und in multifunktionellen Agrarlandschaften (Eckhard Jedicke, Hochschule Geisenheim University) mehrere Ansprüche gleichzeitig befriedigt werden können, liegen seit Jahrzehnten vor. Mit partizipativen Forschungsansätzen und Beteiligung der Praxis lassen sich abgestimmt Lösungen erarbeiten, vertiefte Sonoko Dorothea Bellingrath-Kimura (Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung).

Man muss nicht auf Impulse aus der Politik warten, sondern sollte mit eigenen Aktivitäten beginnen – so die Stimmung in der Diskussion der Vorträge. Als ein einfacher aber doch effizienter Hebel, die gesellschaftliche Trägheit zu überwinden, wurde der anfangs eingebrachte Vorschlag hervorgehoben, die Mehrwertsteuer auf pflanzliche Nahrungsmittel auf ein EU-kompatibles Minimum und die Mehrwertsteuer auf tierische Produkte auf den Höchstsatz zu setzen. Dies müsste unterstützt werden durch flankierende politische Maßnahmen, eine angepasste Ausbildung von in der Landwirtschaft tätigen Personen und eine zielführende Kommunikation der Fachmedien.

->Quelle: dafa.de/ja-es-geht-nahrungs-und-energieproduktion-biodiversitaets-und-klimaschutz-gemeinsam-auf-vorhandener-agrarflaeche