Forschende stellen bisherige Funktionsweise der Fotosynthese infrage

Unis Cambridge, Rostock und Bochum melden Durchbruch auf Weg zur biologischen Solarzelle

Forscher haben die frühesten Stadien der Photosynthese, der natürlichen Maschine, die den größten Teil des Lebens auf der Erde antreibt, „gehackt“ und neue Wege entdeckt, um Energie aus dem Prozess zu gewinnen – eine Erkenntnis, die zu neuen Möglichkeiten der Erzeugung sauberer Brennstoffe und Erneuerbarer Energien führen könnte. Ein internationales Team von Physikern, Chemikern und Biologen unter der Leitung der Universität Cambridge konnte – laut einer gemeinsamen Medienmitteilung aus Cambridge, Rostock und  Bochum vom 22.03.2023 – die Photosynthese in lebenden Zellen auf einer ultraschnellen Zeitskala untersuchen: ein Millionstel einer Millionstel Sekunde.

Blatt (Kapuzinerkresse) – Foto © Gerhard Hofmann, Agentur Zukunft, für Solarify

Obwohl es sich um einen der bekanntesten und am besten untersuchten Prozesse auf der Erde handelt, haben die Forscher herausgefunden, dass die Photosynthese immer noch Geheimnisse zu erzählen hat. Mit Hilfe ultraschneller spektroskopischer Techniken zur Untersuchung der Energiebewegungen fanden die Forscher heraus, dass die Chemikalien, die den für die Photosynthese verantwortlichen Molekularstrukturen Elektronen entziehen können, dies bereits in der Anfangsphase tun und nicht erst viel später, wie bisher angenommen.

Diese „Neuverdrahtung“ der Photosynthese könnte die Art und Weise verbessern, wie sie mit überschüssiger Energie umgeht, und neue und effizientere Wege zur Nutzung ihrer Energie schaffen. Die Ergebnisse wurden am 22.03.2023 in Nature veröffentlicht. „Wir wussten nicht so viel über die Photosynthese, wie wir dachten, und der neue Elektronenübertragungsweg, den wir hier gefunden haben, ist völlig überraschend“, sagte Forschungskoordinatorin Dr. Jenny Zhang vom Yusuf Hamied Department of Chemistry in Cambridge.

Die Photosynthese ist zwar ein natürlicher Prozess, aber Wissenschaftler haben auch untersucht, wie sie zur Bewältigung der Klimakrise genutzt werden könnte, indem sie photosynthetische Prozesse nachahmen, um beispielsweise aus Sonnenlicht und Wasser saubere Brennstoffe zu erzeugen. Zhang und ihre Kollegen versuchten ursprünglich zu verstehen, warum ein ringförmiges Molekül namens Chinon in der Lage ist, der Photosynthese Elektronen zu „stehlen“. Chinone sind in der Natur weit verbreitet und können leicht Elektronen aufnehmen und abgeben. Die Forscher nutzten eine Technik namens ultraschnelle transiente Absorptionsspektroskopie, um zu untersuchen, wie sich die Chinone in photosynthetischen Cyanobakterien verhalten. „Niemand hatte das Zusammenspiel dieses Moleküls mit der photosynthetischen Maschinerie zu einem so frühen Zeitpunkt der Photosynthese richtig untersucht: Wir dachten, wir würden nur eine neue Technik anwenden, um zu bestätigen, was wir bereits wussten“, so Zhang. „Stattdessen haben wir einen ganz neuen Weg gefunden und die Blackbox der Photosynthese ein Stück weiter geöffnet.“

Mit Hilfe der ultraschnellen Spektroskopie zur Beobachtung der Elektronen fanden die Forscher heraus, dass das Proteingerüst, in dem die ersten chemischen Reaktionen der Photosynthese ablaufen, „undicht“ ist, so dass Elektronen entweichen können. Diese Undichtigkeit könnte den Pflanzen helfen, sich vor Schäden durch helles oder schnell wechselndes Licht zu schützen. „Die Physik der Photosynthese ist wirklich beeindruckend“, sagt Erstautor Dr. Tomi Baikie vom Cavendish Laboratory in Cambridge. „Normalerweise arbeiten wir mit hoch geordneten Materialien, aber die Beobachtung des Ladungstransports durch Zellen eröffnet bemerkenswerte Möglichkeiten für neue Entdeckungen, wie die Natur funktioniert.“

„Da die Elektronen aus der Photosynthese über das gesamte System verteilt sind, können wir auf sie zugreifen“, so Co-Erstautorin Dr. Laura Wey, welche die Arbeit in der Abteilung für Biochemie durchführte und jetzt an der Universität Turku in Finnland tätig ist. „Die Tatsache, dass wir nicht wussten, dass dieser Weg existiert, ist spannend, denn wir könnten ihn nutzen, um mehr Energie für erneuerbare Energien zu gewinnen.“ Die Forscher sagen, dass die Möglichkeit, Ladungen an einem früheren Punkt im Prozess der Photosynthese zu extrahieren, den Prozess effizienter machen könnte, wenn man die Photosynthesewege manipuliere, um saubere Brennstoffe aus der Sonne zu gewinnen. Darüber hinaus könne die Fähigkeit, die Photosynthese zu regulieren, dazu führen, dass Pflanzen intensives Sonnenlicht besser vertragen.

„Viele Wissenschaftler haben versucht, Elektronen an einem früheren Punkt der Photosynthese zu extrahieren, aber sie sagten, es sei nicht möglich, weil die Energie so tief im Proteingerüst vergraben ist“, so Zhang. „Die Tatsache, dass wir sie in einem früheren Prozess stehlen können, ist verblüffend. Zuerst dachten wir, wir hätten einen Fehler gemacht: Es dauerte eine Weile, bis wir uns davon überzeugen konnten, dass wir es geschafft hatten. Entscheidend für die Entdeckung war der Einsatz der ultraschnellen Spektroskopie, die es den Forschern ermöglichte, den Energiefluss in den lebenden photosynthetischen Zellen im Femtosekundenbereich zu verfolgen – ein Tausendstel einer Billionstel Sekunde.

„Der Einsatz dieser ultraschnellen Methoden hat es uns ermöglicht, mehr über die frühen Vorgänge in der Photosynthese zu erfahren, von denen das Leben auf der Erde abhängt“, sagte Mitautor Professor Christopher Howe von der Abteilung für Biochemie.

Mit Sonnenlicht Wasserstoff herstellen

Biologische Katalysatoren, sogenannte Enzyme, bestimmen längst unseren Alltag. Sie werden beispielsweise als Zusätze in Waschmitteln verwendet, sie veredeln Lebensmittel oder werden in großtechnischen Prozessen eingesetzt, um Medikamente oder Rohstoffe für die chemische Industrie zu produzieren. Im Vergleich zu chemischen Katalysatoren haben sie den Vorteil, dass sie nur mit ganz bestimmten Ausgangsstoffen reagieren und daher sehr spezifische Produkte herstellen. Zudem basieren biologische Katalysatoren niemals auf Edelmetallen oder anderen seltenen Rohstoffen. „In der Natur haben sich immer Lösungen durchgesetzt, die nicht durch die Verfügbarkeit von Rohstoffen limitiert sind“, sagt Prof. Dr. Marc Nowaczyk, Leiter des Lehrstuhls für Biochemie an der Universität Rostock und Ko-Autor der Studie, der Teile der Arbeiten an der Ruhr-Universität Bochum im Rahmen der Graduiertenschule Microbial Substrate Conversion, kurz MiCon, angefertigt hat.

Aber kann man biologische Katalysatoren auch zur Energiegewinnung nutzen, um zum Beispiel mit Sonnenlicht Wasserstoff herzustellen? Auch hierzu liefert die Natur mit dem Prozess der Fotosynthese eine Blaupause. So gut wie alles Leben ist direkt oder indirekt von der Umwandlung von Lichtenergie durch Pflanzen, Algen oder bestimmte Bakterien abhängig, die aus dem Kohlenstoffdioxid der Atmosphäre Biomasse herstellen. Genauer: Bei der Fotosynthese werden durch die Umwandlung von Kohlenstoffdioxid und Wasser mithilfe von Lichtzufuhr Zuckermoleküle und Sauerstoff erzeugt. Auch sämtliche fossile Energieträger wie Kohle, Öl oder Gas basieren letztendlich auf der Energieumwandlung durch fotosynthetische Organismen. Das Team um Marc Nowaczyk untersucht die molekularen Grundlagen der Fotosynthese und versucht auf dieser Basis biologische Lösungen zur Umwandlung und Speicherung von Energie zu konzipieren. „Wir wollen in einem interdisziplinären Ansatz beispielsweise Hybridsysteme entwickeln, die mithilfe biologischer Katalysatoren und Lichtenergie Wasserstoff als Energieträger produzieren“, erklärt Marc Nowaczyk.

Forschung bringt Überraschungen

Voraussetzung dafür ist jedoch ein genaues Verständnis der Funktionsweise der an der Fotosynthese beteiligten Biokatalysatoren, die sogenannten Fotosysteme. Dass dies Überraschungen mit sich bringen kann, zeigt die vorliegende Studie. Bisher war man davon ausgegangen, dass die Fotosysteme durch ihr Konstruktionsprinzip zwangsläufig hohe Energieverluste aufweisen müssten. Während die ersten Schritte der Energieumwandlung noch hocheffizient sind (bis zu 99 Prozent), geht ein Großteil der Energie bereits auf der Ebene der Fotosysteme durch den Transport von Elektronen verloren (etwa 60 Prozent Energieverlust) und am Ende des Prozesses liegen je nach Organismus weniger als ein Prozent der ursprünglichen Lichtenergie chemisch gebunden vor. In der vorliegenden Studie konnte jedoch gezeigt werden, dass die hohen Verluste prinzipiell vermieden werden könnten. Denn mit ultraschneller Spektroskopie wurde nachgewiesen, dass bestimmte synthetische Mediatoren – kleine chemische Vermittlermoleküle – Elektronen zu einem viel früheren Zeitpunkt aus den Fotosystemen abgreifen können als bisher gedacht. „Unsere Ergebnisse ermöglichen völlig neue Konzepte für das Design von biologischen Solarzellen, wodurch sich – zumindest theoretisch – die Effizienz deutlich verbessern ließe“, so Marc Nowaczyk. „Bis dies tatsächlich in der Praxis Anwendung finden wird, ist es aber noch ein längerer Weg und erfordert weitere Forschung“, ergänzt er abschließend.

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