Neues Verfahren zur Bewertung von Klimawandel-Risiken für Ökosysteme

Forscher der Universität Bayreuth

Die Pflanzenökologen Prof. Dr. Steven Higgins und Dr. Timo Conradi plädieren laut einer Medienmitteilung der Universität Bayreuth vom 26.02.2024 dafür, die kommenden klimatischen Veränderungen aus der Sicht von Pflanzen zu interpretieren, um die Risiken des Klimawandels für Ökosysteme besser abschätzen zu können. Wenn Informationen über die physiologischen Reaktionen von Pflanzenarten auf veränderte Temperaturen, Bodenwassergehalte und atmosphärische CO2-Konzentrationen berücksichtigt würden, seien die Konsequenzen des Klimawandels für Ökosysteme besser vorhersagbar. Das berichten sie in „Nature Ecology & Evolution“.

Todkranke Tannen auf dem Predigtstuhl – Foto © Gerhard Hofmann, Agentur Zukunft

What for? 

Um Klimawandel-Risiken für Ökosysteme abzuschätzen, wird oftmals untersucht, welchen Veränderungen von Klimaparametern wie Temperatur und Niederschlag die Ökosysteme ausgesetzt sein werden. Dieser Ansatz schätzt Klimawandel-Risiken möglicherweise aber falsch ein, da er nicht berücksichtigt, wie Organismen die klimatischen Veränderungen wahrnehmen. Bayreuther Pflanzenökologen haben deshalb physiologische Modelle des Pflanzenwachstums verwendet, um globale Veränderungen des Wachstumspotenzials von über 135.000 Pflanzenarten zu untersuchen. Diese neue Modellierung legt nahe, dass der Klimawandel – wenn ungebremst – eine tiefgreifende Verschiebung der Vegetationszonen der Erde verursachen wird. Sie zeigt, wo sich bis zum Ende des Jahrhunderts aus pflanzenphysiologischer Perspektive die stärksten Veränderungen einstellen werden, welche der heute auf der Erde existierenden klimatischen Wachstumsbedingungen in Zukunft nicht mehr existieren werden und wo sich neuartige klimatische Wachstumsbedingungen einstellen werden, die heute noch gar nicht realisiert sind. Daraus lassen sich wichtige Erkenntnisse für das Management von Ökosystemen, aber auch für Land- und Forstwirtschaft ableiten.

Eine Vorhersage der Risiken für Arten und Ökosysteme durch den Klimawandel ist notwendig, um Strategien zur Anpassung der Naturschutzpraxis zu entwickeln Ein üblicher Ansatz zur Risikoabschätzung quantifiziert, wie stark sich das Klima in einem Gebiet verändern wird. Die Ergebnisse lauten dann zum Beispiel: „Region A wird stärkeren klimatischen Veränderungen ausgesetzt sein als andere Regionen, also ist das Klimawandel-Risiko für die Ökosysteme in Region A besonders hoch.“ „Es ist jedoch unwahrscheinlich, dass das Klimawandel-Risiko mit dieser Methode richtig eingeschätzt wird“, sagt Dr. Timo Conradi, Mitarbeiter am Lehrstuhl für Pflanzenökologie der Universität Bayreuth und Leitautor der jetzt veröffentlichten Studie. „Wenn nicht auch berücksichtigt wird, wie das Wachstum von Pflanzen auf die klimatischen Veränderungen reagiert, identifiziert diese Methode möglicherweise falsche Risiko-Gebiete.“ Zum Beispiel kann ein weiteres Grad Erwärmung in heißen tropischen Klimaten eher negative Auswirkung auf das Pflanzenwachstum haben, während es das Wachstum in kalten Tundren-Klimaten eher fördert. „Bei der Risikobewertung sollten deshalb die physiologischen Reaktionen von Pflanzen auf klimatische Veränderungen berücksichtigt werden“, ergänzt Conradi.

Perspektive der Pflanzen 

Die Bayreuther Forscher haben nun physiologische Wachstumsmodelle von über 135.000 Gefäßpflanzenarten und Informationen über die Wuchsform dieser Arten mit Klimadaten kombiniert. Dadurch war es möglich, die Tauglichkeit heutiger und zukünftiger Klimate für die verschiedenen pflanzlichen Wuchsformen zu beschreiben, die die Ökosysteme der Erde charakterisieren, wie z.B. sommergrüne Laubbäume, Nadelbäume, Gräser oder Sukkulenten. Diese Beschreibung des Klimas aus der Perspektive pflanzlicher Wuchsformen haben die Bayreuther Forscher als „Phytoklima“ bezeichnet. Auf dieser Basis prognostizieren die Forscher, dass in Abhängigkeit vom Ausmaß zukünftiger Treibhausgas-Emissionen zwischen 33% und 68% der globalen Landoberfläche bis 2070 eine signifikante Veränderung des Phytoklimas erfahren werden, also der Art und Weise, wie das Klima die Bildung von Ökosystemen beeinflusst. Die Bayreuther Pflanzenökologen prognostizieren auch, dass auf 0,3 bis 2,2 % der Landoberfläche Phytoklimate entstehen werden, die es heute noch nicht gibt, und dass 0,1 bis 1,3 % der derzeit existierenden Phytoklimate verschwinden werden. Die Modellprojektionen zeigen zudem, wo sich bis zum Ende des Jahrhunderts aus pflanzenphysiologischer Perspektive die stärksten klimatischen Veränderungen einstellen werden, welche der heute auf der Erde existierenden Phytoklimate in Zukunft nicht mehr existieren werden, und wo aus pflanzenphysiologischer Perspektive neuartige Klimate auftreten werden.

Negative ökologische Konsequenzen können durch Reduktion von Treibhausgasen deutlich abgemildert werden

„Das geografische Muster der Veränderung, des Verschwindens und der Neuartigkeit von Phytoklimaten unterscheidet sich deutlich von den Mustern von Klimatrends, die in früheren Studien ermittelt wurden“, berichtet Conradi. Die Konsequenz daraus müsse eine Neuausrichtung von Naturschutzstrategien insbesondere in den Regionen sein, welche die Studie als neue Hochrisiko-Regionen identifiziert hat, um den ökologischen Wandel dort positiv zu gestalten. „Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass ein tiefgreifender Wandel der Biosphäre und eine deutliche Verschiebung der Vegetationszonen der Erde im Gange ist, und sie unterstreichen die Notwendigkeit einer rechtzeitigen Anpassung von Strategien zum Erhalt der biologischen Vielfalt. Unsere Ergebnisse zeigen aber auch, dass negative ökologische Konsequenzen durch die Reduktion von Treibhausgasen deutlich abgemildert werden können.“

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