Navi für Energiewende

Auftakt für Kopernikus-Projekt zu systemischen Vernetzungen

Werden in Zukunft mehr Elektroautos oder Wasserstoff-Busse über Deutschlands Straßen fahren? Wo sollte das Stromnetz mit Erdkabeln ausgebaut werden und wo fehlt dafür die Akzeptanz in der Bevölkerung? Antworten auf diese Fragen sucht das Kopernikus-Projekt ENavi, das ein Navigationsmodell für die Energiewende erstellen wird. Mehr als 200 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus 76 Institutionen tagten vom 19. bis 21. Dezember 2016 unter Koordination des Potsdamer Institute for Advanced Sustainability Studies (IASS) in Berlin, um ENavi auf den Weg zu bringen.

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Ortwin Renn bei der Eröffnung des Kick-Offs des Kopernikus Projektes Energiewende-Navigationssystem © IASS; Foto: Sabine Haack

Insgesamt 64 Wissenschaftseinrichtungen bilden das Konsortium, erweitert um Partner-Institutionen aus Wirtschaft und Zivilgesellschaft. Das Bundesforschungsministerium (BMBF) hat für vier „Kopernikus-Projekte zur Energiewende“ Förderzusagen über fast 400 Millionen Euro gegeben. Angelegt auf eine Laufzeit von zehn Jahren sollen die vier Forschungsverbünde unterschiedliche Aspekte der Energiewende erforschen und konkrete Vorschläge erarbeiten. Zusammengeführt werden die Ergebnisse im  Kopernikus-Projekt „Energiewende-Navigationssystem“, das vom IASS koordiniert wird und das helfen soll, die Optionen für eine gelingende Energiewende aufzuzeigen und richtige Entscheidungen zu befördern.

In seinem Grußwort zur Eröffnung des Treffens betonte der im BMBF für die Zukunftsvorsorge zuständige Abteilungsleiter Karl Eugen Huthmacher: „Die Energiewende ist als kontinuierlicher Lernprozess zu begreifen, deren Fortgang gleichwohl von Unsicherheiten geprägt ist. Einen „Masterplan“ kann es nicht geben – und wird es nicht geben. Wir stehen immer wieder vor der Herausforderung, kurz- und langfristige Entwicklungen aufzugreifen. Wir müssen in der Lage sein, unser Vorgehen zu überprüfen und wenn nötig nachzujustieren. Das kann nur mithilfe der Forschung gelingen. Hier setzt „ENavi“ an.“

Größtes sozialwissenschaftliches Forschungsprojekt der Bundesrepublik

„So ein Forschungsprogramm hat es noch nie gegeben“, sagt der Sprecher des Konsortiums, IASS-Direktor Ortwin Renn: „Es ist das größte sozialwissenschaftliche Kooperationsprojekt, das es in Deutschland je gab.“ Im Unterschied zu den drei eher technologisch ausgerichteten Kopernikus-Projekten, die sich um neue Netzstrukturen, modernisierte  Industrieprozesse und Speichermöglichkeiten kümmern, vereint das Kopernikus-Projekt „Energiewende-Navigation“ auch vielfältigen sozialwissenschaftlichen Sachverstand und sorgt für die Einbindung zivilgesellschaftlicher Akteure aus Politik, Wirtschaft und der Öffentlichkeit.

Johanna Wanka bei Carbon2Chem-PK - Foto © Gerhard Hofmann, Agentur Zukunft für SolarifyDie Rückkopplung in die Öffentlichkeit hatte auch Bundesforschungsministerin Johanna Wanka bei der Projektvorstellung am 13.10.2016 in Jülich gefordert: „ „Die Systemintegration muss unter ganz anderen Prämissen als bisher erforscht werden. Nicht nur mit wissenschaftlichen Analysen, sondern unter Berücksichtigung von politischen und gesellschaftlichen Anforderungen. Bereitschaft zur Energiewende kann man nicht verordnen, darüber muss man nachdenken, die Akzeptanz muss man erforschen.“ Ziel des Projekts ist es, ein funktionierendes, praktikables, flexibles und akzeptiertes System zu entwickeln, das es erlaubt, die Folgen technologischer Entwicklungen oder auch politischer und wirtschaftlicher Rahmenbedingungen abzuschätzen.

„Interventionsfolgenabschätzung“ nennt Ortwin Renn diesen Kernauftrag des zu entwickelnden Navigationsinstruments: „Es geht darum, die Auswirkungen von Entscheidungen besser einschätzen zu können. Dazu müssen wir die unterschiedlichen Disziplinen und Modelle verbinden, Querverweise und Vernetzungen im hochkomplexen Feld der Energieversorgung kennenlernen, Informationslücken schließen und das Gesamtsystem darstellen. Das haben wir uns für die erste Projektphase vorgenommen.“

[note Wie müssen Strom, Gas und Wärme zusammenspielen, damit Haushalte und Industrie immer versorgt sind?

Die Transformation der Energieversorgung hat Auswirkungen auf viele miteinander vernetzter und gegenseitig abhängiger Systeme: das gesamte technologische System, die organisatorischen, politischen und sozialen Strukturen sowie das Verhalten von Unternehmen, Konsumenten und Bürgern. Das Energiesystem als Ganzes wird seine Funktionalität nur aufgaben- und zeitgerecht entfalten können, wenn die Integration der verschiedenen Bereiche gelingt. Neben disziplinären Fragestellungen ist es deshalb erforderlich, Wechselwirkungen und Schnittstellen zu betrachten. Das Energiesystem mit seinen Sektoren Strom, Wärme und Mobilität ist ein komplexes, vernetztes und dynamisches System.Ausgewählte Forschungsaspekte:

  •  Entwicklung von systemanalytisch konsistenten Konzepten zur Optimierung des sozio-technischen Energiesystems unter Berücksichtigung der übergeordneten Ziele, Versorgungssicherheit, Wirtschaftlichkeit, Umwelt- und Klimaverträglichkeit und Überprüfung unter Realbedingungen (Modellregionen)
  • Entwicklung von neuen Konzepten zu Organisationsformen, Markt und Marktregulierungen, Beteiligungsverfahren und Interventionen zur Beeinflussung individuellen Verhaltens
  • Betrachtung von Stand und Perspektiven zum Netzausbau, zu Speicherkapazitäten, zur Nachfrageseite und zur Erzeugung (zentral und dezentral) sowie zu den Wechselwirkungen dieser Dimensionen
  • Analyse der Potenziale und Herausforderungen für Branchen und Regionen durch den Transformationsprozess
  • Entwicklung von Konzepten zur Gestaltung eines dynamischen Verbunds von Markt und staatlicher Regulierung; Lösungen sollten laufend evaluiert und entsprechend der institutionellen Lernkurve modifiziert werden
  • Entwicklung von Steuerungssystemen (Information, Anreizsysteme, Strukturänderungen, gesetzliche Vorschriften) für die Transformation und Vernetzung der Energieversorgung
  • Zielkonflikte lösen: Einbindung gesellschaftlicher Akteure aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft in die Steuerungsprozesse]

„Reallabore“ von Bollewick bis Rosenheim

Eine weitere Besonderheit des Kopernikus-Konsortiums: Beteiligt sind Modellregionen, die ab 2019, in der zweiten Phase der zehnjährigen Projektlaufzeit, als „Reallabore“ erproben werden, was das Navigationssystem empfiehlt. Dazu sind verschiedene Modellregionen aus Deutschland im Kopernikus-Projekt integriert, vom kleinen Ort Bollewick in Mecklenburg-Vorpommern bis zu städtischen Energieversorgern wie Heidelberg oder Rosenheim. Bis zu 50 Regionen können es in der Erprobungsphase werden.

Bei der Auftaktveranstaltung in Berlin fixieren die Partnerinstitutionen, die das Konsortium des  Kopernikus-Projektes „Energiewende-Navigation“ bilden, zunächst die ersten konkreten Schritte zum Erreichen ihrer Etappenziele sowie die Organisation der Zusammenarbeit. In insgesamt 14 „Arbeitspaketen“ werden die verschiedenen Einzelaspekte der hochkomplexen Aufgabenstellung erforscht.

Das von den Forschungsministerien des Bundes und des Landes Brandenburg geförderte Institute for Advanced Sustainability Studies (IASS) hat das Ziel, Entwicklungspfade für die globale Transformation zu einer nachhaltigen Gesellschaft aufzuzeigen. Das IASS folgt einem transdisziplinären, dialogorientierten Ansatz zur gemeinsamen Entwicklung des Problemverständnisses und von Lösungsoptionen in Kooperation zwischen den Wissenschaften, Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Ein starkes nationales und internationales Partnernetzwerk unterstützt die Arbeit des Instituts. Zentrale Forschungsthemen sind u.a. die Energiewende, aufkommende Technologien, Klimawandel, Luftqualität, systemische Risiken, Governance und Partizipation sowie Kulturen der Transformation.

->Quellen: