Bringt die Energiewende den Blackout?

(Tagesspiegel Berlin) Im kalten Februar geriet das Stromnetz in eine gefährliche Notlage, weil die Versorger den Bedarf unterschätzten. Kraftwerke gibt es noch genug. Aber es drohen Engpässe für die atomkraftfreie Zeit ab 2020.  Die Energiewende hat einen radikalen Umbau des Stromsystems in Gang gesetzt, der weit über die Abschaltung der Atomkraftwerke hinausgeht. Dabei hat die Politik zwei höchst widersprüchliche Entwicklungen betrieben, deren Konsequenzen erst jetzt deutlich werden.

Zum einen hat die seit 1998 betriebene Liberalisierung des Stromgeschäfts inzwischen tatsächlich einen echten Markt hervorgebracht. Im Ergebnis stehen am Strommarkt viele hundert Akteure im harten Wettbewerb. Jeden Tag werden mehr als 40 Prozent der gesamten Verbrauchsmenge über die Strombörse Epex in Leipzig und Paris vermarktet, wo stets das billigste Angebot gewinnt. Das drückt dauerhaft die Gewinnmargen der Kraftwerksbetreiber. Gleichzeitig gilt aber – ganz gegen die Marktregeln– der politisch gewollte Vorrang der Stromerzeugung aus sauberen Quellen, deren Betreiber noch dazu feste Vergütungssätze erhalten. Ihr Strom fließt immer ins Netz, gleich wo er gebraucht wird. Erstmals stieg so im Jahr 2011 der Anteil des grünen Stroms am Gesamtverbrauch auf fast 20 Prozent. Und bis 2020 sollen es nach den Plänen der Bundesregierung sogar 35 Prozent werden. Damit erfährt das Stromgeschäft eine Kombination von Markt- und Planwirtschaft, die für den Übergang zwar unvermeidlich ist. Aber nun ist das System so komplex, dass zuweilen selbst die beteiligten Akteure – so wie im kalten Februar – nicht mehr durchblicken.

Gleichzeitig führt der Vorrang für den Ökostrom immer häufiger zum Absturz der Großhandelspreise und gefährdet damit indirekt die Sicherheit der Versorgung. Denn je mehr mit Windgeneratoren, Solarmodulen und Biogaskraftwerken erzeugt wird, umso weniger können die Betreiber konventioneller Kraftwerke verkaufen. Weil damit ihre Renditen schwinden, droht Stillstand beim Bau neuer Kraftwerke. Spätestens ab 2020, wenn die letzten Atommeiler vom Netz gehen sollen, könnte es ohne Gegenmaßnahmen „zu gefährlichen Engpässen kommen“, warnt Felix Matthes, Energieexperte beim Öko-Institut und einer der besten Kenner des Stromsystems. Notwendig sei daher ein Marktmechanismus, der Kraftwerksbetreiber für das Bereithalten von Kapazität auch dann bezahlt, wenn diese nicht gebraucht wird, fordert Matthes und weiß sich darin einig mit dem kürzlich ausgeschiedenen Chef der Bundesnetzagentur, Matthias Kurth. Die Versorgungssicherheit dürfe „nicht allein den Kräften des reinen Strommarktes überlassen bleiben“, mahnte Kurth. 15.04.2012 – …hier weiterlesen…Harald Schumann