EU – Energiesysteme im Wandel

Energie 2050: Energiesysteme im Wandel

Brüssels Energiefahrplan 2050 sieht Emissionssenkungen über 80 Prozent vor. Dekarbonisierung ist angesagt, doch angesichts des zunehmenden Energiebedarfs ist es ziemlich fraglich, ob dieses Ziel realisierbar ist. Wir brauchen Energie. Doch welche Alternativen haben wir? Die Ära der fossilen Energieträger neigt sich dem Ende zu.

von Thomas WINKLER für EU-Infothek

Während die Agenda 2020 Politik und Energieexperten gleichermaßen auf Trab hält, mehren sich schon jetzt die Zwischenrufe wegen verfehlter Ziele, fehlgeleiteter Bemühungen und Subventionswirtschaft. Um den schädlichen CO2-Emissionen bei zu kommen, ist eine Dekarbonisierung der einzig sinnvolle Weg. Kernkraft scheitert mangels Wirtschaftlichkeit und Akzeptanz aufgrund der enormen  Risikofaktoren, die neuen Energiequellen lassen ebenfalls auf sich warten. Die Alternativen sind vorerst begrenzt, wie weit die Überlegungen aus Brüssel tragfähig sind, wird sich ebenfalls weisen.

Energieeinsparung: Eine gemeinsame Verantwortung

Energieeffizienz spielt bei der die tragende Rolle schlechthin. Je rascher die skizzierten Benchmarks in den Alltag integriert werden, umso besser. Sowohl Energieeinsparungen als auch die Steuerung der Nachfrage unterliegen unserer gemeinsamen Verantwortung.

Nach Meinung der Kommission ist der Gebäudesektor ein Paradebeispiel für mögliche Energieeffizienz, da Gebäude im Idealfall mehr Energie produzieren können als sie verbrauchen, so die Meinung aus Brüssel. Neue Stadt- und Raumplanungskonzepte sind unerlässlich. Intelligente Technologien und Heimautomatisierung bieten weitere interessante Optionen, ebenso der Bereich Verkehr und Transport. Energieeffizienz muss dort ansetzen, wo ein wirtschaftliches Potenzial besteht. Das erfordert jedoch einen umfassenderen Zugang der Verbraucher zu Kapital und innovative Geschäftsmodelle. Monetäre Anreize durch Energiepreise können ausschlaggebend für weitere Schritte sein. Doch nicht immer sind die Einsparungen an Technik gebunden: Die Adaptierung unserer Verhaltensmuster bietet ein weit reichendes Potenzial signifikanter Einsparungen, sofern das erforderliche Umdenken erst mal einge
setzt hat.

Umstieg auf erneuerbare Energien

Die Kommission geht davon aus, dass 2050 der Hauptanteil am Energiesektor auf den Bereich erneuerbare Energie fällt. Das wiederum bedeutet, dass die Mitgliedstaaten entsprechende Bemühungen in diese Richtung unternehmen müssen, um erneuerbare Energien am Markt zu etablieren. Die Herausforderung liegt darin, es den Marktakteuren zu ermöglichen, die Kosten für erneuerbare Energien durch bessere Forschung, Kommerzialisierung der Lieferkette und effizientere Konzepte und Fördersysteme zu senken. Netzbetreiber und Produzenten sollen gleichermaßen in die Verantwortung genommen werden. Erneuerbare Energie soll unter Einbeziehung sowohl lokaler als auch entfernter Ressourcen vom subventionierten zum wettbewerbsfähigen Produkt werden. Eine  maximale Marktintegration ist jedoch nur mit einer gesamteuropäischen Herangehensweise realisierbar.

Pionierarbeit: Vom Prototyp zur Serienreife

Der Wunsch der Kommission, die konsequente Weiterentwicklung der erneuerbaren Energien zu forcieren, macht Sinn. Solarthermik, Fotovoltaik und Meeresenergie sind in ihrem Wirkungsgrad noch lange nicht ausgereizt, mit Biomasse sieht es ähnlich aus: Es bedarf noch reichlich Forschungsarbeit, um das Optimum an Performance zu erzielen. Besonderes Augenmerk sollte, so sieht es die Roadmap vor, neuen Speichertechnologien gewidmet werden, da erneuerbare Energien leider eine sehr geringe Kontinuität aufweisen, zumal die Speicherung von Energie zumeist teurer ist als die erforderlichen Übertragungskapazitäten oder gasgestützte Reserveerzeugungskapazitäten. Im Bereich Wärmepumpen scheint ebenfalls enormes Potenzial zu liegen, doch das dürfte bislang an Brüssel vorbei gegangen sein, wie die geradezu stiefmütterlichen Rahmenbedingungen für diese Art der Ressourceneffizienz vermuten lassen. Hier steckt noch reichlich ungenutztes an Potenzial, zumal der Energiebedarf für Heizungen EU-weit mit beachtlichen 48 Prozent zu veranschlagen ist. Heizung und Kühlung auf Basis erneuerbarer Energie ist machbar, obwohl weitere Entwicklungsarbeit angebracht ist: Die Performance muss erhöht werden. Und je ausgereifter die Technologie ist, umso höher liegt die Rentabilität bis hin zu dem Punkt, an dem Förderungen nicht länger erforderlich sind. Die Effizienzsteigerung der vielfältigen Möglichkeiten der erneuerbaren Energie erhöht deren  Wettbewerbsfähigkeit, welche wiederum eine verbesserte, intelligente  Infrastruktur für eine europaweite Integration voraussetzt. Das wiederum ist Sache der Politik, es geht um die vielfach bemängelte Planungssicherheit für Investoren.

Die Hauptdarsteller im Energiemix

Bereits in naher Zukunft kann Offshore-Windkraft bei sinkenden Kosten erhebliche Strommengen liefern, wie Meeresenergie überhaupt. Die Mittelmeerländer könnten sich mit Wind- und Sonnenenergie einbringen, zumal der Import von regenerativem Strom durch verschiedene  Strategien unterstützt wird. Hoffentlich kommen bei der Kalkulation der unterschiedlichen Energieträger zur Abwechslung einmal alle Komponenten zu tragen, die Schönrechnerei ist unter den gegebenen Umständen nicht geeignet, Vertrauen zu schaffen.

Explosive Mischung: Strom aus Gas

Gas spielt bei der Energiewende aufgrund der sehr flexiblen Leistungsentfaltung eine besondere Rolle. Im Falle einer Substitution von Kohle und Erdöl durch Gas könnten Emissionen bis 2035 spürbar gesenkt werden, allerdings müsste der Gebäudesektor, von den geplanten Effizienzmassnahmen einmal abgesehen, ganz anders befeuert werden. Bis 2050 könnte etwas mehr Strom aus Gaskraftwerken stammen als derzeit, zumal Brüssel auf technische Weiterentwicklungen zählt. Um jedoch einen Wettbewerbsvorteil als Brennstoff zur Stromerzeugung zu erlangen, ist eine stärkere Diversifizierung der Versorgungsquellen, mehr Integration und Liquidität erforderlich, die Speicherkapazitäten müssten drastisch erhöht werden. Wie sich Brüssel die langfristigen Gasversorgungsverträge vorstellt, ist der Roadmap jedoch leider nicht zu entnehmen, ob die Gasimportabhängigkeit mit Schiefergas zu neutralisieren ist, darf getrost bezweifelt werden.

CCS ab 2030 Pflicht

Sobald die CCS-Technologie in kommerziellen Dimensionen verfügbar ist, könnte sich Gas zu einer emissionsarmen Technologie entwickeln, gegenwärtig fehlt es jedoch an alltagstauglicher Serienreife für dieses Konzept. Ohne CCS bleibt Gas auch Zukunft ein flexibler Reservebrennstoff mit ausgeprägter Ausgleichskapazität. Dennoch, Brüssel scheint sehr zuversichtlich zu sein, was CCS betrifft, denn ab ca. 2030 ist die CO2-Abtrennung und –speicherung im Stromsektor bindend vorgegeben, denn anders können die Dekarbonisierungsziele nie und nimmer erreicht werden. Überhaupt wird dieser Technologie auffallend viel Vertrauen entgegengebracht, es wird im Zusammenhang mit Biomasse bereits von negativen C02-Werten gesprochen. Wie es diesbezüglich um Nachhaltigkeit und die öffentliche Akzeptanz bestellt ist, wird dezent verschwiegen.

Fossile Endzeit im Atomzeitalter

Der angedachte Versorgungsmix stimmt nachdenklich: Kohle bleibt zwecks Versorgungssicherheit Fixpunkt im Programm, und erneut ist CCS im Spiel: In Verbindung mit neuen Technologien spielt Kohle weiterhin eine tragende Hauptrolle in der Energieversorgung. Öl bleibt sogar 2050 im Rennen, jedoch werden sowohl die Kapazitäten als auch die Preisgestaltung an die Begebenheiten eines reifen Marktes angepasst sein, die EU zeigt kontinuierliche Präsenz am Raffineriesektor.
Was Atomkraft betrifft: Die Hartnäckigkeit, mit welcher die hochbrisante Nukleartechnologie als CO2-arm und kostengünstig präsentiert wird lässt auf eine starke Lobby schließen. Um die windschiefe und zugleich strahlenverseuchte Kalkulation zum Thema Kernkraft nicht erneut zu strapazieren, hoffen wir auf viele geniale Einfälle der Wissenschaft um alternative Brennstoffe, Energiespeicherung und intelligente Technologie zeitgerecht verfügbar zu haben.   23.04.2012

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