Kinderstube der Nanopartikel

Über welchen der beiden Wege sich der Kristall bildet, hängt davon ab, ob die kristalline oder die ungeordnete Struktur eine niedrigere Energie aufweist. Die entscheidenden Eigenschaften sind hierbei die Oberflächenenergien der kristallinen und der ungeordneten Variante sowie die Energiebeträge, die frei werden, wenn sich Atome oder Moleküle zu der einen oder der anderen Form verbinden. Eine hohe Oberflächenenergie treibt den Energieaufwand für das Wachstum einer Variante in die Höhe, ein großer Energiegewinn durch die entstehenden Bindungen senkt ihn.

„In den vergangenen Jahren gab es immer mehr Hinweise, dass zahlreiche Mineralien nicht nach diesem Modell wachsen“, sagt Damien Faivre. „Sie lagern bei ihrer Entstehung offenbar nicht einzelne Atome oder Moleküle, sondern Primärpartikel an, die bis zu wenigen Nanometern groß sind und sich nur vorübergehend bilden.“ Das passiert etwa, wenn Kristalle aus Calciumcarbonat und Calciumphosphat entstehen, die Muschelschalen beziehungsweise Knochen härten. Faivre und sein Team haben nun festgestellt, dass auch Magnetit-Nanopartikel wachsen, indem sie nur zwei Nanometer kleine Primärpartikel aufnehmen. Das beobachteten die Forscher in einem Transmissions-Elektronenmikroskop, das bei Temperaturen weit unter dem Gefrierpunkt arbeitet und daher besonders feine Strukturen abbildet.

Die Stabilität der Primärpartikel wird zu einem entscheidenden Faktor

„Ob aus den kleinen Nanopartikeln direkt größere Nanokristalle entstehen oder ob sie zunächst auch ein ungeordnetes Teilchen formen, lässt sich anhand des klassischen Modells nicht entscheiden“, sagt Damien Faivre. Doch wer Magnetit- oder Calciumcarbonat-Nanopartikel gezielt züchten will, muss diese Frage beantworten können. Daher entwickelten er und seine Kollegen ein neues Modell, das die Primärpartikel berücksichtigt.

In dem neuen Modell wird die Stabilität der Nanopartikel zu einem wichtigen Faktor. So wichtig, dass er eine Vorhersage des klassischen Modells sogar ins Gegenteil verkehren kann. „Je stabiler die Primärpartikel sind, desto wahrscheinlicher bildet sich direkt eine kristalline Struktur“, erklärt Faivre. „In manchen Fällen, in denen dem klassischen Modell zufolge erst eine ungeordnete Struktur entstehen soll, ergibt unser Modell, dass sich direkt ein Kristall bildet.“ Genau das ist beim Magnetit der Fall.

Im nächsten Schritt stehen Untersuchungen der Primärpartikel an

Ob Kristalle nach dem klassischen oder dem von Damien Faivres Team aufgestellten Modell wachsen, hängt davon ab, ob dabei Atome und Moleküle oder die winzigen Primärpartikel mitmischen. „Das weiß man wie in unserem Fall entweder aus Beobachtungen oder man schätzt es anhand der physikalischen Eigenschaften des Materials ab“, erklärt Faivre.

Von dem Einblick in die Kinderstube der Nanopartikel bis zu einer Anleitung, um ihr Wachstum gezielt zu steuern, müssen die Forscher jedoch noch zahlreiche offene Fragen klären. „Im nächsten Schritt werden wir die Primärpartikel und ihre Eigenschaften genauer untersuchen“, sagt Damien Faivre. Wenn die Forscher nämlich die Stabilität der Teilchen, die sich ein wachsendes Nanoteilchen einverleibt, kontrollieren können, bietet sich ihnen auch eine Möglichkeit, die Eigenschaften des Nanopartikels zu beeinflussen. Auch das ist bei Nanokristallen kaum anders als bei heranwachsenden Kindern: Was aus ihnen wird, hängt auch davon ab, wie sie gefüttert werden.
->Quelle: www.mpikg.mpg.de