VDE-Studie: Potenziale für Strom im Wärmemarkt bis 2050

Empfehlung: Zurück zur Stromheizung

Ein zentrales Ziel des Energiekonzepts der Bundesregierung ist die Reduktion der CO2-Emissionen um mindestens 80% bis 2050 (bezogen auf 1990). Neben dem viel zitierten Ausbau der Erneuerbaren Energien (EE) im Stromsektor erfordert dieses Ziel signifikante Veränderungen in den Sektoren Wärme und Verkehr. Im hier betrachteten Wärmesektor sind zunächst umfassende Maßnahmen zur Steigerung der Energieeffizienz in allen Bereichen (Wärmedämmung, Heizungssanierung, Prozessoptimierung) unabdingbar. Um jedoch die angestrebte CO2-Reduktion erreichen zu können, muss zusätzlich die Verwendung fossiler Energieträger drastisch reduziert werden. Das Ziel soll mit möglichst geringen Kosten erreicht werden.

Heute werden etwa 75% des Gasabsatzes in Deutschland für die Wärmeerzeugung benötigt. In zukünftigen Szenarien mit sehr hohen EE-Anteilen, drängt sich daher die Nutzung von Strom im Wärmemarkt, oft auch als „Power-to-Heat“ (PtH) bezeichnet, förmlich auf. Auf diese Weise lassen sich fossile Energieträger, die heute im Wärmemarkt den überwiegenden Anteil darstellen, effizient und kostengünstig substituieren. Um den hierfür erforderlichen zusätzlichen Ausbau der Stromerzeugung aus den erneuerbaren Energien Sonne und Wind auf ein Mindestmaß zu begrenzen, ist eine effiziente Nutzung des Stromes notwendig. Vor dem Hintergrund der erforderlichen CO2-Reduzierung werden in der vorliegenden Studie die Potenziale für Strom im Wärmemarkt für Deutschland im Zeithorizont bis zum Jahr 2050 betrachtet.

In der Studie wird untersucht, welchen Beitrag die Nutzung von Strom im Wärmemarkt leisten kann und leisten muss, um die o. g. CO2-Einsparziele erreichen zu können. Weitere Möglichkeiten der Nutzung von Strom zur Substitution von fossilen Energieträgern in anderen Sektoren, wie z. B. Elektromobilität oder Power-to-Gas bzw. Power-to-Liquid für den Verkehrssektor wurden bei der Generierung der Szenarien zwar berücksichtigt, aber standen nicht im Fokus der Studie. Die Flexibilitätsoption „Stromspeicher“ wird aktuell in einer separaten VDE-Studie „Batteriespeicher in der Nieder- und Mittelspannungsebene“ adressiert.

Solarify dokumentiert:  Zusammenfassung und Handlungsempfehlungen

Das Ergebnis der Untersuchung lässt sich mit den folgenden 8 Kernthesen zusammenfassen:

  1. Die Nutzung von Strom im Wärmemarkt („Power-to-Heat“ – PtH) ist technisch gut geeignet, um die Auswirkungen der fluktuierenden Einspeisungen aus den volatilen Quellen Sonne und Wind zu beherrschen.
    Das fluktuierende Stromdargebot der erneuerbaren Energien Sonne und Wind erfordert flexible Lasten. Elektrische Heizsysteme in Kombination mit Wärmespeichern und/oder als hybride Heizsysteme sind relativ schnell ein- und ausschaltbar. PtH-Systeme können sowohl durch Zuschalten kurzzeitige Erzeugungsspitzen aufnehmen als auch durch vorübergehendes Abschalten der Wärmeerzeuger Lastspitzen vermeiden.
    Während in der Vergangenheit die Nutzung von Strom im Wärmesektor zunehmend in Misskredit geraten ist – bedingt durch den begrenzten Wirkungsgrad bei der Stromerzeugung in thermischen Kraftwerken mit fossilen Energieträgern – vollzieht sich durch den forcierten Ausbau der erneuerbaren Energien im Stromsektor derzeit ein Paradigmenwechsel: War Strom bislang zum größten Teil ein Sekundärenergieträger, der mit hohen CO2-Emissionen aus fossilen Energieträgern – mit den bekannten Umwandlungsverlusten – erzeugt wurde, so wird Strom aus den erneuerbaren Energien Wasser, Wind und Sonne quasi zu einem Primärenergieträger. Der Primärenergiefaktor für Strom konnte durch effizientere Kraftwerke, insbesondere aber durch den Zubau der erneuerbaren Energien, von früher 3,3 auf 1,8 (für das Jahr 2016) reduziert werden. Die bislang vorgebrachten Argumente gegen eine Nutzung von Strom im Wärmesektor treffen in Szenarien mit hohen Anteilen erneuerbarer Energien nicht mehr zu.
    Die Umwandlung von Strom in Wärme erfolgt mit einem Wirkungsgrad von annähernd 100%. Mit elektrischen Wärmepumpen ist sogar ein Vielfaches davon möglich, da der Großteil der benötigten Wärme der Umwelt entzogen werden kann. Durch die Stromnetze können die erneuerbaren Energien auch dort genutzt werden, wo ansonsten deren Nutzung kaum oder gar nicht möglich wäre, z. B. im Innenstadtbereich. Die Wärmeerzeugung mit Strom ist -– abgesehen von Geothermie und Solarthermie – die einzige Heizungsart, die die benötigte Wärme am Ort ihrer Anwendung emissionsfrei bereitstellen kann.
  2. Für den Gebäudesektor stehen ausgereifte technische Lösungen zur elektrischen Wärmeerzeugung zur Verfügung. Dies sind elektrische Wärmepumpen, direkte elektrische Wärmeerzeuger und hybridisierte Nah- und Fernwärmesysteme.
    Die Wärmepumpe stellt die effizienteste Form der Nutzung von Strom im Wärmemarkt dar. Die eingesetzte elektrische Energie lässt sich durch die Nutzung von Umweltwärme vervielfachen. Im Bereich Fernwärme kann das Potenzial von Wärmenetzen mit Großwärmepumpen erschlossen werden.
    Direkte elektrische Heizsysteme können z. B. als Radiatoren, Flächenheizungen oder Heizstäbe als Zusatzheizung in konventionellen Heizkesseln (z. B. Öl oder Gas) ausgeführt sein. Die Kombination mit konventionell befeuerten Heizkesseln wird auch als hybrides oder bivalentes System bezeichnet.
    Die herkömmlichen „Nachtstrom-Speicherheizungen“ bieten derzeit ein großes Potenzial zur Lastflexibilisierung und können so zu „Windstrom- Speicherheizungen“ werden. Mit der bestehenden Infrastruktur und niedrigen zusätzlichen Investitionen in eine intelligente Steuerung können Speicherheizungen übergangsweise helfen, die Integration von Strom im Wärmemarkt zu unterstützen.
    Elektrische Wärmeerzeuger und Kraft-Wärme-Kopplung (KWK) sind keine Konkurrenz, sondern können sich gegenseitig zu einem flexiblen Gesamtsystem ergänzen. Die Betriebsweise der Anlagen wird sich von einem heute überwiegend wärmegeführten Betrieb zu einem Betrieb verschieben, der sich an dem aktuellen Dargebot der fluktuierend einspeisenden EE-Stromerzeuger orientiert. Dies ist mit abnehmenden Benutzungsdauern und zunehmenden Lastzyklen der KWK-Anlagen verbunden.
  3. Der Wärmebedarf in Gewerbe und Industrie kann ebenfalls mittels Strom aus erneuerbaren Energien dekarbonisiert und flexibilisiert werden.
    Im Bereich der Niederspannung sind Widerstands-Erhitzer und im Bereich der Mittelspannung Elektrodenkessel bewährte Technologien mit langjähriger Betriebserfahrung. Diese Technologien haben insbesondere bei der Erzeugung von Prozesswärme für die Industrie Vorteile gegenüber Wärmepumpen.
    Im Bereich der Niedertemperatur-Prozesswärme bis 140°C können dagegen Großwärmepumpen ggf. vorhandene Abwärmepotenziale effizient erschließen.
    Um industrielle Anwendungen zu forcieren, ist neben Warmwasser- und Dampfanwendungen zudem eine deutlich intensivere (Weiter-) Entwicklung elektrischer Prozesswärme-Verfahren notwendig. Die Stromnachfrage in der Industrie könnte durch konsequente Nutzung von elektrischen Verfahren dann bis zum Jahr 2050 gegenüber heute in etwa vervierfacht und trotzdem flexibler werden.
  4. Direkte elektrische Heizsysteme haben günstige leistungsspezifische Kapital- und Betriebskosten und können daher – unter der Voraussetzung dargebotsabhängiger Strompreise – bereits bei einer geringen Anzahl von Jahresbenutzungsstunden wirtschaftlich betrieben werden. Somit können PtH-Anlagen, insbesondere hybride Systeme, bereits kurz- bis mittelfristig dazu dienen, zeitweilige Überschüsse im Dargebot der erneuerbaren Energien sinnvoll zu nutzen und Systemdienstleistungen zu erbringen.
    Bereits heute werden PtH-Anlagen insbesondere für die Erbringung negativer Regelleistung (durch Einschalten der Heizlast) eingesetzt. Allerdings ist die Wirtschaftlichkeit dieses Betriebes durch die volatilen Preise für einen längeren Zeitbereich schwer zu kalkulieren. Das Potenzial dieses Geschäftsmodells ist durch die Größe des Regelleistungsmarktes begrenzt.
    Durch die Nutzung von PtH-Anlagen in Zeiten mit negativen Strompreisen könnte die Wirtschaftlichkeit von KWK-Anlagen mittels Eigenstromversorgung verbessert werden. Eine Aufnahme von Fremd- oder Börsenstrom – und damit EE-Strom der sonst abgeregelt werden müsste – ist aber derzeit aufgrund der Belastung der Strompreise mit Steuern und Abgaben nicht möglich.
  5. Unter der Prämisse einer CO2-Reduktion um mindestens 80% bis zum Jahr 2050, stellt der Einsatz von Strom zur Wärmeerzeugung die kostengünstigste Variante dar, um fossile Energieträger im Wärmemarkt, die heute den überwiegenden Anteil darstellen, zu substituieren.
    Langfristig wird durch diese Substitution fossiler Energieträger im Wärmemarkt ein zusätzlicher Ausbau der erneuerbaren Energien PV und Wind erforderlich. Um den notwendigen Ausbau auf ein Mindestmaß zu begrenzen, ist eine effiziente Nutzung der erneuerbaren Energien – und damit ein hoher Anteil von elektrischen Wärmepumpen in dezentralen Anwendungen, der Fernwärme und der Industrie – notwendig. Nationale Anbauflächen für Biomasse können nicht ausgeweitet werden und international steht Biomasse aufgrund von Nutzungskonkurrenzen kaum zur Verfügung.
  6. Wärmespeicher in Verbindung mit einer stromoptimierten Betriebsweise können den Bedarf für Kurzzeit-Stromspeicher verringern.
    Die thermische Trägheit durch intrinsische Wärmespeicherkapazitäten, z. B. in den Wärmeverteilungssystemen oder in den Gebäudemassen, begünstigt das im Rahmen von Demand Side Management benötigte Last-Verschiebepotenzial (Load Shifting). Zusätzliche Wärmespeicher können den Einsatzbereich weiter ausdehnen (üblicherweise bis zu einigen Stunden).
    PtH-Systeme können sich somit prinzipiell an der Erbringung verschiedener Netz- und Systemdienstleistungen in diesem Zeitbereich beteiligen. Sie stehen damit in direktem Wettbewerb mit Kurzzeit-Stromspeichern, können aber auch den Speicherbetrieb unterstützen.
  7. Für die Überbrückung von relativ seltenen, länger anhaltenden Windflauten reichen die noch zugelassenen Restmengen an fossilem Erdgas zusammen mit den vorhandenen Erdgasspeichern als Langzeitspeicher aus, um das nationale 80%-CO2-Einsparziel zu erreichen.
    Die Klimaschutzziele auf der einen Seite, Flächenpotenziale und Nutzungskonkurrenzen auf der anderen Seite begrenzen den Einsatz von fossilen bzw. biogenen Energieträgern. Durch die Substitution fossiler Energieträger im Wärmemarkt können die sehr gut speicherbaren fossilen Energieträger Öl und Gas jedoch bis auf weiteres noch im Bereich der Langzeitspeicherung eingesetzt werden, da hierfür aufgrund des seltenen Abrufs nur relativ geringe Mengen fossiler Energieträger benötigt werden. Da während Perioden mit Überschüssen aus PV und Wind eine Strom- und Wärmeerzeugung aus Biogas wenig sinnvoll wäre, könnte darüber hinaus das in diesen Zeiten nicht benötigte Biogas in Langzeitspeichern bevorratet werden.
  8. Für die Umsetzung müssen geeignete Rahmenbedingungen geschaffen werden.
    Heute ist die Kostenbelastung von Strom gegenüber fossilen Brennstoffen durch Steuern und Abgaben sehr hoch. PtH-Anlagen können deshalb derzeit außerhalb des Regelleistungsmarktes i.d.R. nicht wirtschaftlich betrieben werden.
    Des Weiteren fehlen geeignete rechtliche und regulatorische Rahmenbedingungen für den Betrieb von PtH-Anlagen.
    Während zwischen 2004 und 2009 der Einsatz von elektrischen Wärmepumpen im Neubausektor stark gestiegen ist, stagniert in den letzten Jahren deren Anteil bzw. ist sogar rückläufig. Dies liegt insbesondere an den steigenden Strompreisen, die einen wirtschaftlichen Betrieb dieser umweltfreundlichen Systeme erschweren. Die Lasten der Energiewende werden heute im Wesentlichen über die Strompreise (EEG-Umlage) an die Endkunden durchgereicht. Zusätzlich sind die Strompreise mit weiteren Steuern und Abgaben belastet. Gegenüber den fossilen Energieträgern Öl und Gas verliert die Nutzung von Strom im Wärmemarkt dadurch zusehends an Attraktivität. In keinem anderen europäischen Land ist der Abstand zwischen Strom- und Gaspreisen so groß wie in Deutschland. Um die klimapolitischen Ziele zu erreichen, sind effiziente Technologien für die Kopplung der verschiedenen Energie-Sektoren durch PtH erforderlich. Damit ein Markt die effizientesten Lösungen in den spezifischen Anwendungsfällen umsetzen kann, sind faire Wettbewerbsbedingungen zwischen den Sektoren Strom und Wärme zu schaffen. Hierfür ist ein Ausgleich zwischen der Abgabenbelastung für Strom und fossile Brennstoffe die Basis und eine Anpassung der rechtlichen und regulatorischen Rahmenbedingungen erforderlich.
    Im Status quo werden PtH-Anlagen nicht privilegiert, so dass im Grundsatz sämtliche Teilelemente des Strompreises (z. B. EEG-Umlage, Stromsteuer, KWK-Umlage, etc.) anfallen. Die heute geltenden Privilegierungsvorschriften für Stromspeicher bei EEG-Umlage, Stromsteuer (nur Pumpspeicher) und Netzentgelt sind auf PtH-Anlagen nicht anwendbar, da sie nicht Strom, sondern Wärme ausspeisen.
    Die Stromsteuer, die seinerzeit eingeführt wurde, um ineffiziente Stromverbraucher durch effizientere Technologien zu ersetzen, erweist sich jetzt als kontraproduktiv, da sie heute schon die Wärmepumpe und andere energetisch sinnvolle PtH-Anwendungen hemmt. Im Ausland werden z.T. andere, wirkungsvollere Verfahren eingesetzt, um ineffiziente Anlagen und Geräte aus dem Markt zu nehmen.
    Im Zusammenhang mit PV-Anlagen im Gebäudebereich wird bei sinkender bzw. auslaufender EEG-Vergütung die Eigennutzung im Wärmebereich (Warmwasser und Heizung) zunehmend interessanter. Diese auf den ersten Blick sinnvolle Option unterliegt aber dem Problem der meist fehlenden getrennten Abrechnung von reduzierten Fremdstrom-Wärmepumpentarifen für Wärmepumpen-Eigenstromnutzung. Zudem ist sie i.d.R. nur auf Gebäude mit PV anwendbar. Da auch diese Kunden die Netze nutzen, bedarf es langfristig jedoch auch einer angemessenen Kostenbeteiligung dieser Kunden an den Infrastrukturkosten der öffentlichen Stromversorgung.
    Kurzfristig wird die aufkommensneutrale Umwidmung der Stromsteuer in Form eines Stromsteuererlasses für alle Verbraucher bei aufkommensneutraler Erhöhung der Energiesteuer für Heizöl und Erdgas vorgeschlagen.
    Durch die Einführung einer dynamischen EEG-Umlage können die Rahmenbedingungen für unterbrechbare und steuerbare Verbrauchseinrichtungen (reduzierte Netzentgelte) verbessert werden, um die Flexibilitätspotenziale der Sektorkopplungstechnologien zu erschließen.
    Um auch Überschüsse im EE-Dargebot aufnehmen zu können, die im Fall negativer Börsenpreise oder bei Netzengpässen abgeregelt würden, könnten hybride Systeme (mit Elektrodenkesseln oder dezentrale Heizkessel mit zusätzlichen E-Heizstäben) eine wichtige Aufgabe übernehmen.
    Hierfür ist es jedoch erforderlich, dass der Arbeitspreis, der für den Strombezug aus dem Netz anfällt, für diese Zeiten kleiner oder gleich den fossilen Brennstoffkosten ist. Um dieses zu erreichen wird insbesondere eine Umstrukturierung der Tarifstruktur, hin zu einem niedrigeren Arbeitspreis bei gleichzeitig aufkommensneutral erhöhtem Fixkostenanteil, als zielführend angesehen.
    Der Rechtsrahmen sollte dahingehend umgestaltet werden, übergreifend für den Strom- und Wärmesektor faire Wettbewerbsbedingungen zu schaffen, damit über einen effizienten Markt Power-to-Heat-Anlagen ihr Potenzial hinsichtlich Flexibilität und Klimazielen betriebswirtschaftlich sinnvoll umsetzen können.

->Quelle: VDE-InfoCenter (€ 250 – für VDE-Mitglieder und Journalisten kostenlos)