Die Meere können nicht mehr

Forscher befürchten grundlegenden Wandel der Ozeane – auch mit Treibhausgas-Reduktion 

Die Weltmeere brauchen eine sofortige und umfassende Reduktion der Treibhausgas-Emissionen durch den Menschen. Anderenfalls können weiträumige und größtenteils unumkehrbare Schäden im Lebensraum Meer eintreten, von deren Folgen vor allem auch Entwicklungsländer betroffen sein werden. So lautet das Fazit einer neuen Review-Studie, die am 02.07.2015 im Fachmagazin Science erscheint, und auf die das Alfred-Wegener-Institut aufmerksam macht. Darin bewertet das Forscherteam der Ocean 2015-Initiative zum einen die aktuellsten Erkenntnisse zu den Risiken des Klimawandels für die Meere. Zum anderen zeigen die Wissenschaftler auf, wie grundlegend sich die Ökosysteme der Ozeane verändern werden, wenn wir Menschen weiterhin so viel Treibhausgase freisetzen wie bisher.

Sonne über Meer – Foto © Gerhard Hofmann, Agentur Zukunft, für Solarify

Seit vorindustrieller Zeit ist die CO2-Konzentration in der Atmosphäre unseres Planeten von 278 auf 400 ppm (parts per million) gestiegen. Ein Plus von 40 Prozent, das in den Ozeanen grundlegende Veränderungen in Gang gesetzt hat. „Die Weltmeere funktionierten bisher als Kühlschrank und CO2-Speicher unserer Erde. Sie haben zum Beispiel seit den 1970er Jahren rund 93 Prozent der durch den Treibhauseffekt von der Erde zusätzlich aufgenommenen Wärme gespeichert und auf diese Weise die Erwärmung unseres Planeten verlangsamt“, sagt Prof. Hans-Otto Pörtner, Co-Autor der neuen Ocean-2015-Studie und Wissenschaftler am Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung.

Wassertemperatur steigt bis in Tiefen von 700 Metern

Für diese Klimaleistung zahlen die Ozeane jedoch schon heute einen hohen Preis – den ihrer eigenen Erwärmung und Versauerung. Die Wassertemperatur steigt bis in Tiefen von 700 Metern, weshalb Arten innerhalb eines Jahrzehntes bis zu 400 Kilometer weit Richtung Pol abgewandert sind. Kalkskelette von Korallen und Muscheln können angesichts der zunehmenden Versauerung in vielen Meeresregionen nicht mehr so gut gebildet werden. Das Eis in Grönland und der Westantarktis schmilzt immer stärker und trägt zum Meeresspiegelanstieg bei. Infolge all dessen verändern sich die biologischen, physikalischen und chemischen Abläufe im Lebensraum Meer – und das mit weitreichenden Konsequenzen für das Leben im Meer und für den Menschen.

In der neuen Studie hat das Forscherteam der Ocean 2015-Initative nun auf Basis zweier Emissionsszenarien (Szenario 1: Nicht-Überschreiten der Zwei-Grad-Grenze/ Szenario 2: Wir machen weiter wie bisher) die Kernaussagen des 5. Weltklimaberichtes sowie aktueller Fachliteratur zusammengefasst und in Hinblick auf die Risiken für die Ozeane bewertet. „Wenn es gelingt, den Anstieg der Lufttemperatur bis zum Jahr 2100 auf unter zwei Grad Celsius zu beschränken, steigt das Risiko vor allem für tropische Korallen und Muscheln in niedrigen bis mittleren Breiten auf ein kritisches Niveau. Andere Risiken bleiben in diesem Fall eher moderat“, sagt Leitautor Jean-Pierre Gattuso. Für diese bestmögliche Option bedürfe es jedoch einer schnellen und umfassenden Reduktion des CO2-Ausstoßes, so der Forscher.

Gravierende Auswirkungen auf Fischerei, Tourismus und Küstenschutz

Bleiben die CO2-Emissionen dagegen auf dem derzeitigen Niveau von 36 Gigatonnen pro Jahr (Stand 2013), wird sich die Situation der Meere dramatisch verschärfen. „Wenn wir so weitermachen wie bisher, werden die Veränderungen bis zum Ende dieses Jahrhunderts nahezu alle Ökoysteme der Ozeane betreffen und den Meereslebewesen nachhaltig Schaden zufügen“, so Hans-Otto Pörtner. Dies wiederum hätte gravierende Auswirkungen auf alle Bereiche, in denen der Mensch den Ozean nutzt – sei es in der Fischerei, im Tourismus oder beim Küstenschutz.

Die Wissenschaftler geben außerdem zu bedenken, dass mit jedem weiteren Anstieg der CO2-Konzentration in der Atmosphäre die Optionen zum Schutz, zur Anpassung und zur Regeneration der Meere geringer werden. „Der Zustand der Weltmeere liefert schon heute überzeugende Argumente für eine schnelle und umfassende Reduktion des weltweiten Kohlendioxidausstoßes. Jede neue politische Klimavereinbarung, welche das Schicksal der Ozeane außer Acht lässt, kann deshalb von vornherein nur unzureichend sein“, schreiben die Autoren im Schlusswort ihrer Studie. „Damit sprechen sich die Autoren indirekt gegen Massnahmen des Geoengineering aus, die zwar einen kühlenden Effekt haben, aber nichts an der Versauerung der Ozeane ändern“, kommentiert die Neue Zürcher Zeitung diesen Satz.

Ziel: COP21

Mit diesem Plädoyer zielen die Wissenschaftler auf die internationale Klimakonferenz COP21 ab, die im Dezember dieses Jahres in Paris stattfinden wird. Deren Verhandlungsführern und Entscheidungsträgern geben sie in ihrer Studie folgende vier Kernaussagen mit auf den Weg:

  1. Die Weltmeere beeinflussen maßgeblich das Klimasystem der Erde und nutzen dem Menschen auf vielerlei wichtige Weise.
  2. Die Auswirkungen des vom Menschen gemachten Klimawandels auf Schlüsselarten im offenen Ozean und in Küstenregionen sind heute schon nachweisbar. Vielen dieser Tier- und Pflanzenarten drohen in den kommenden Jahrzehnten große Risiken, selbst wenn es gelingt, den Kohlendioxidausstoß zu begrenzen.
  3. Wir brauchen dringend eine sofortige und umfassende Reduktion des Kohlendioxidausstoßes, wenn wir großflächige und vor allem unumkehrbare Schäden am Lebensraum Meer und an seinen Dienstleistungen für den Menschen verhindern wollen.
  4. Mit dem Anstieg der Treibhausgas-Konzentration in der Atmosphäre sinken die Optionen zum Schutz und zur Regeneration der Meere sowie die Chancen der Lebewesen, sich an die schnell voranschreitenden Veränderungen anzupassen.
Die Ocean 2015-Initiative war ins Leben gerufen worden, um Entscheidungsträgern der COP21-Verhandlungen umfassende Informationen zur Zukunft der Ozeane zur Verfügung zu stellen. Das internationale Wissenschaftlerteam wird unterstützt durch die Prince Albert II von Monaco Foundation, das Ocean Acidification International Coordination Center of the International Atomic Energy Agency; die BNP Paribas Foundation und die Monégasque Association for Ocean Acidification.

Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen des Alfred-Wegener-Institutes, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung, haben in den zurückliegenden Jahren mit vielen Untersuchungen zum aktuellen Wissensstand beigetragen. Im Mittelpunkt ihrer Forschung steht unter anderem die große Frage: „Wie verändert der Klimawandel die Ökosysteme in den Polarregionen?“

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