Nanoperlen für die Stahlschmiede

Mögliche Änderung der Kristallstruktur von Metallen an Liniendefekten – Beeinflussung der Eigenschaften der Materialien

Stahl gibt es inzwischen seit rund 3000 Jahren und heute sogar in mehreren Tausend Variationen, und trotzdem ist er immer wieder für Überraschungen gut. Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Eisenforschung in Düsseldorf haben in einem manganhaltigen Stahl nun eine Entdeckung gemacht (eben in Science veröffentlicht), die vermutlich im Guten wie im Schlechten die Eigenschaften des Materials beeinflusst. Sie haben nämlich festgestellt, dass die Legierung an linienförmigen Defekten eine andere Kristallstruktur bildet, als sie typisch für das Material ist.

Die einzelnen Kristallkörner, aus denen sich auch jedes Metall zusammensetzt, kann man als Stapel einzelner Atomlagen betrachten. Liniendefekte – genauer gesagt Stufenversetzungen – entstehen, wenn eine Schicht unvollständig bleibt, und die darüber- und die darunterliegende Schicht eine Stufe nehmen müssen. Da sich die Länge der Liniendefekte in einem Kubikmeter Stahl aber auf ein Lichtjahr summieren kann, dürfte die Entdeckung große praktische Bedeutung haben. Denn von der Struktur eines Stahls hängt unter anderem ab, wie formbar, wie fest und wie zäh er ist – Eigenschaften, die Materialwissenschaftler immer weiter optimieren wollen.

Strukturwandel im Stahl: Mit Aufnahmen eine Transmissions-Elektronenmikroskops (grau) machen Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Eisenforschung Liniendefekte, in einer Legierung aus Eisen (Fe) und Mangan (Mn) sichtbar. Die Atomsonden-Tomografie zeigt ihnen die Verteilung der Eisen- (blau) und Manganatome (grün). Die grünen Flächen haben sie dort in das Bild gelegt, wo die Konzentration der Manganatome 12,5 Prozent beträgt. In den übereinandergelegten Bildern erkennen die Forscher, dass sich die Manganatome entlang der Liniendefekte anreichern; dort bildet sich eine andere Kristallstruktur als im umliegenden Material.

Eventuell lebensrettend

Versetzungen können Leben retten. Denn die eindimensionalen Defekte in einem Metall spielen eine große Rolle, wenn sich das Material verformt. Etwa dann, wenn ein Autoblech in einem Unfall zerknautscht wird, dabei einen Großteil der Aufprallenergie abfängt und die Insassen hoffentlich vor Verletzungen schützt. Die Versetzungen wirken dabei wie Nanoscharniere, an denen sich ein Metall biegt.  Dass sich die Kristallstruktur direkt an dem Liniendefekt von der Struktur darum herum unterscheidet, dürfte daher auch beeinflussen, wie sich ein Metall verformt. Im ungünstigen Fall reißt es eher, als sich zu verformen.  „Wie sich die räumlich begrenzten chemischen und strukturellen Zustände in dem Material auf dessen Eigenschaften auswirken, wissen wir noch nicht“, sagt Dierk Raabe, Direktor am Max-Planck-Institut für Eisenforschung und Leiter der Studie, in der die Abweichler in der Mikrostruktur gerade erst zutage getreten sind.

„Über die Zustände sind wir eher zufällig gestolpert“, sagt Dierk Raabe. Er untersuchte mit seinem Team die Mikro- und Nanostruktur eines besonders festen und zähen manganhaltigen Stahls, der mit Nanopartikeln verstärkt ist und etwa im Fahrwerk großer Flugzeuge verbaut wird. Dieses Material analysierten sie mithilfe der Atomsonden-Tomografie. Dabei wird eine Probe Atom für Atom mit kurzen Pulsen einer elektrischen Spannung verdampft. Aus der Flugzeit zu einem Detektor lässt sich ermitteln, zu welchem Element das abgelöste Atom gehört – aus der Stelle, an der das Atom im Detektor einschlägt, seine Position in der Probe.

Folgt: Ketten manganreicher Nanoperlen im Stahl