„An Verbrennungsmotoren verschwendet niemand mehr einen Gedanken“

Solarify-Selbst-Gespräch von Weert Canzler, Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB)

Weert Canzler, Sozialwissenschaftler am WZB und inzwischen gefragter Experte in Mobilitätsfragen, wundert sich im Solarify-Selbst-Gespräch, warum es trotz der Dekarbonisierungsa-Gipfelbeschlüsse von Elmau und Paris im am meisten karbonisierten Sektor, der Mobilität, den geringsten Fortschritt gibt – und das, obwohl der Verbrennungsmotor längst als Auslaufmodell gilt. Bedauernd stellt er fest: „Die Chancen einer Mobilität jenseits von Autodominanz und Verbrennungsmotoren werden kaum gesehen.“ Alles in allem ist er aber „vorsichtig optimistisch, dass sich selbst im Verkehr etwas tut“.

Also, wenn Sie mich fragen…: Ölpreis im Keller, kaum jemand kauft E-Autos, stattdessen jeden Monat neue Zulassungsrekorde bei den SUVs: ist die Verkehrswende weiter weg denn je?

Der Widerspruch könnte kaum größer sein: Die Dekarbonisierung ist nach den Gipfeln von Elmau und Paris gesetzt und gleichzeitig gibt es nicht die geringsten Fortschritte in dem Sektor, der fast zu 100 Prozent karbonisiert ist: im Verkehr. Gerade im Straßenverkehr wurden alle Effizienzgewinne der letzten Jahrzehnte durch mehr Verkehr, größere Fahrzeuge und längere Wege aufgefressen. Dabei ist die Technik des Verbrennungsmotors ausgereizt. Das ist die eigentliche Erkenntnis des Dieselgate-Skandals im letzten Jahr: Anspruchsvolle Emissionsgrenzwerte können nur mit einem riesigen zusätzlichen Aufwand überhaupt erreicht werden, da muss dann eine Manipulationssoftware helfen.

Nun gibt es technische und organisatorische Alternativen zur fahrenden Wärmekraftmaschine, nämlich verschiedene Elektromobilitätsvarianten. Angefangen von den elektrischen Bahnen über das elektrisch unterstützte Fahrrad und Motorrad bis hin zu E-Autos, die allemal einen höheren Wirkungsgrad haben als jeder hochgezüchtete Dieselantrieb. Vor allem kann (und muss) man alle E-Fahrzeuge mit Erneuerbaren Energien betreiben und sie untereinander vernetzen und damit effizienter nutzen. Die technischen Grundlagen einer postfossilen Mobilität sind da, aber die technische, politische-regulative und nicht zuletzt die mentale Pfadabhängigkeit ist groß. Die Chancen einer Mobilität jenseits von Autodominanz und Verbrennungsmotoren werden kaum gesehen.

Wo liegen denn die Chancen einer „postfossilen Mobilität“?

Schon heute malen sich viele im Silicon Valley und anderswo eine ganz andere Mobilitätswelt als wir sie seit Jahrzehnten kennen aus. Entrepreneure aus der digitalen Welt denken nicht vom Auto aus, sondern von Datenströmen, apps und Smartphones. Für sie ist das Gefährt Automobil als solches uninteressant. Sie treibt um, wie Autos mit ihrer Umwelt verbunden sein können. Connected cars bedeutet für sie, dass Autos untereinander und mit anderen Verkehrsmitteln, aber auch mit der Infrastruktur und mit Ladestationen sowie mit potenziellen Nutzern vernetzt werden. Hier zeigt sich ein komplett anderes mind set als bei den autozentrierten Entwicklern in den Forschungslabors der hiesigen Autoindustrie. Ihre technischen Entwicklungsziele heißen access, connectivity und interoperability, und um diese Ziele zu erreichen sind sie „geräteoffen“. Autos sind eine Vernetzungsoption von mehreren.

Treiber sind neue Geschäftsmodelle. „Rent a car“ für robotorisierte „Chauffeurfahrten“ ist eine Variante, eine andere könnten selbstfahrende Lieferdienste sein. Vielfältige Mobilitätsdienstleistungen, alle vermittelt über die allgegenwärtige digitale Plattform, lassen sich vorstellen, wenn die Roboter-Vehikel zuverlässig agieren und in einer hinreichenden Menge verfügbar sind. Die Digitalisierung ist eben eine Plattform-Logik, welche Geräte auf der Plattform laufen, ist nebensächlich. Die künftigen selbstfahrenden Autos von Google, Apple oder Amazon sind selbstverständlich elektrische Fahrzeuge, an Verbrennungsmotoren verschwendet niemand mehr einen Gedanken, und Phantomschmerzen hat im Silicon Valley auch keiner.

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