VW soll € 3.255.002.361,66 Schadenersatz zahlen

VW-Abgasskandal: 278 institutionelle Investoren aus aller Welt reichten beim Landgericht Braunschweig Milliarden-Klagen ein – Gericht bestätigt Klage-Eingang – Dieselgate-Untersuchungsausschuss im EU-Parlament gebildet

Historischer VW-Käfer-Motor – Foto © Gerhard Hofmann, Agentur Zukunft

VW sieht sich aufgrund des Abgasskandals jetzt auch in Deutschland mit Milliarden-Forderungen konfrontiert. Das Landgericht Braunschweig hat bestätigt, dass die Rechtsanwaltskanzlei TISAB eine Klage von 278 Aktionären eingereicht hat. Sie fordern wegen erlittener Kursverluste durch die Abgasmanipulationen insgesamt 3,255 Milliarden Euro. Die Klägern sind ausschließlich institutionelle Investoren aus der ganzen Welt.

Plus 16,5 Milliarden Euro in den USA = mehr als 20 Milliarden

Gegenstand der am 14.03.2016 von der Kirchentellinsfurter TISAB Rechtsanwaltsgesellschaft eingereichten Klage sind „kapitalmarktrechtliche Pflichtverletzungen der Volkswagen AG im Zeitraum vom 06.06.2008 bis 18.09.2015“. Bei der Klage gegen VW habe seine Kanzlei Antrag auf Einleitung eines Musterverfahrens nach dem „Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz“ gestellt, „da dies erfahrungsgemäß die Chancen der Kläger deutlich erhöht“, sagte TISAB-Chef Andreas Tilp. Die Klage ist das erste Milliarden-Verfahren in Deutschland gegen VW wegen der Abgas-Affäre. In den USA haben Justizministerium und Umweltbehörde EPA eine Zivilklage gegen den Autobauer eingereicht. VW droht dort eine Strafe von bis zu 16,5 Milliarden Euro.

Unter den Investoren aus Deutschland, Australien, Dänemark, Frankreich, Italien, Japan, Kanada, Luxemburg, Niederlande, Norwegen, Österreich, Schweden, der Schweiz, Großbritannien, den USA und Taiwan befinden sich 17 deutsche Kapital-Verwaltungs- und Versicherungsgesellschaften, darunter eine Tochter des Versicherungskonzerns Allianz, die Sparkassen-Tochter Deka sowie weitere deutsche Kapitalanlagefonds, und mit CalPERS einer der größten US-Pensionsfonds. Finanziert wird diese Klage über ein Konsortium bestehend aus Claims Funding Europe (claimsfundingeurope.eu), DRRT (drrt.com); Grant & Eisenhofer (gelaw.com) und Kessler Topaz Meltzer & Check, LLP (ktmc.com). Tilps Kanzlei führte bereits erfolgreich Musterverfahren gegen Telekom und Hypo Real Estate durch.

VW versucht, sich heraus zu reden

Laut VW hat nur eine kleine Gruppe von Technikern von den kriminellen Manipulationen gewusst. Der Vorstand habe erst im Sommer 2015 davon erfahren – für Tilp eine Ausrede. Schließlich habe VW schon lange Zeit Probleme mit seinen Dieselfahrzeugen gehabt, sie dann aber plötzlich als ökologisch wertvoll verkauft. Diesen merkwürdigen Ablauf hätte der Vorstand besonders streng prüfen müssen, so Tilp. Weil aber genau das unterblieben sei, habe er die Aktionäre getäuscht.

„Da sich nach unseren Informationen und Erfahrungen die Volkswagen AG bisher beharrlich Vergleichsverhandlungen verschließt und auch nicht Willens ist, Vereinbarungen zur Verjährungshemmung zu treffen, war die Einreichung dieser ersten Milliardenklage notwendig. Wir freuen uns sehr, dass uns so viele institutionelle Häuser aus der ganzen Welt beauftragt haben, sie in dieser Klage zu vertreten“, sagt Andreas Tilp, Geschäftsführer von TISAB und TILP. Und: „Auch in dieser Klage haben wir Musterverfahrensantrag auf Einleitung eines KapMuG-Musterverfahrens gestellt, da dies erfahrungsgemäß die Chancen der Kläger deutlich erhöht“.

Da mit dem 19. September 2016 erhebliche Ansprüche zu verjähren drohten, werde das vorgenannte Prozessfinanzierungskonsortium weitere Klagen institutioneller Häuser gegen die Volkswagen AG finanzieren und über die TISAB geltend machen. Hierfür hätten sich bereits mehr als 20 weitere institutionelle Investoren mit einer Schadensersatzforderung von deutlich über 1 Milliarde Euro gemeldet.

Bekanntlich habe die Kanzlei TILP für einen VW-Aktionär bereits am 01.10.2015 die erste Klage gegen VW wegen unterlassener rechtzeitiger Ad-hoc-Mitteilungen im Zusammenhang mit der Diesel-Affäre eingereicht und damit erreicht, dass die Volkswagen AG mit Schriftsatz vom 29. Februar 2016 selbst die Einleitung eines KapMuG Verfahrens beantragt habe. Vor diesem Hintergrund zeichne sich daher „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ ein Musterverfahren ab, das dann beim OLG Braunschweig verhandelt werde.

[note Dieselgate-Untersuchungsausschuss: Aufklärung des Abgasskandals beginnt
Am 02.03.2016 hat sich der Dieselgate-Untersuchungsausschuss im Europäischen Parlament zum ersten Mal getroffen und seine Vorsitzenden bestimmt1. Die Grünen/EFA-Fraktion, die den Untersuchungsausschuss, im vergangenen Jahr angestoßen hat, will in dem Ausschuss nicht nur Aufklärung im Volkswagen-Skandal bringen, sagt die Fraktionsvorsitzende Rebecca Harms, ebenfalls Mitglied des Ausschusses: „Dieser Ausschuss muss klären, wie Volkswagen jahrelang bei den Abgastests betrügen konnte. Er muss die politische Verantwortung der Europäischen Kommission und der EU-Mitgliedsstaaten untersuchen. Deshalb wollen wir unter anderen die ehemaligen EU-Kommissare Günter Verheugen und Antonio Tajani vor den Ausschuss laden genauso wie die derzeitige EU-Industrie-Kommissarin Elzbieta Bienkowska. Der Ausschuss muss Antworten auf die Fragen finden, wer wann was gewusst hat und warum Hinweisen auf Manipulation nicht nachgegangen wurde. Das gilt auch für Minister und Behörden aus den EU-Mitgliedsstaaten wie dem Kraftfahrtbundesamt.“
Um zu klären, welche technischen Hilfsmittel bei den Tests verwendet worden sind und welche Rolle die Automobilhersteller bei der Verabschiedung und Umsetzung der EU-Gesetzgebung gespielt haben, sollen die Verantwortlichen der Automobilhersteller eingeladen werden wie etwa der ehemalige VW-Chef Martin Winterkorn. Außerdem sollte der Ausschuss mit Experten, Nichtregierungsorganisationen und Wissenschaftlern sprechen, unter anderem die gemeinsame Forschungsstelle der Europäischen Kommission besuchen und sich mit der amerikanischen Umweltbehörde EPA austauschen.
Die Arbeit des Ausschusses darf sich aber nicht auf Volkswagen beschränken. Längst ist klar, dass auch die Test von anderen Marken fragwürdige Ergebnisse liefern. Der Ausschuss muss sich mit der Frage beschäftigen, was Betrugssoftware ist und wie die Abgastests in Zukunft gestaltet werden sollen. Ziel der Aufklärung ist ein zuverlässiges Aufsichts- und Zulassungssystem. Damit soll bessere Luftqualität erreicht werden und die Automobilindustrie zukunftsfähig gemacht werden. Dabei geht es nicht nur um Umwelt- und Gesundheitsschutz. Nur wenn die europäische Autoindustrie zukunftsfähige Fahrzeuge baut, kann sie langfristig wettbewerbsfähig bleiben und so Arbeitsplätze in der Europäischen Union sichern.“
1 Für die Grünen/EFA-Fraktion sitzen Bas Eickhout, Rebecca Harms und Karima Delli im Ausschuss. Stellvertreter sind Claude Turmes, Bronis Ropé und Julia Reda. Karima Delli wurde zur stellvertretenden Vorsitzenden gewählt. Den Vorsitz des Ausschusses hat Kathleen van Brempt (S&D) inne.]

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