Nordsee-Ölbohrungen provozieren Methan-Emissionen

Verband leugnet Problem

Wie das ARD-Magazin plusmminus am 06.12.2017 mitteilte (Bericht: Alexa Höber), haben Wissenschaftler vom GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel durch mehrere Expeditionen nachgewiesen, dass Öl- und Gaskonzerne bei Bohrungen in der Nordsee flache Gastaschen durchstoßen hätten, aus denen Methan aufsteige. Methan bleibt zwar kürzer in der Atmosphäre, ist aber 25mal klimaschädlicher als CO2. Weil der Bohrvorgang Risse im Untergrund verursache, steige das klimaschädliche Gas im Bohrloch auf – teilweise noch Jahrzehnte nach Stilllegung der Bohrstelle. Die Ergebnisse wurden vom GEOMAR bereits im August, und auch in der Fachzeitschrift Environmental Science & Technology veröffentlicht.

BVEG: „…so dass weder Methan noch andere Stoffe austreten können“

Methanfackel in Katar – Foto © Gerhard Hofmann, Agentur Zukunft, für Solarify

Plusminus konfrontierte den Bundesverband Erdgas, Erdöl und Geoenergie e.V. (BVEG) mit den GEOMAR-Forschungsergebnissen. Der Verband habe geantwortet: „Werden beim Bohren gasführende Gesteinshorizonte durchbohrt, so greifen Sicherheitssysteme, die die Bohrung abdichten, sodass weder Methan noch andere Stoffe austreten können.“ Eine wichtige Aufsichtsbehörde der Öl- und Gasindustrie, das niedersächsische Landesbergamt, habe mitgeteilt, es sei dort bislang nicht bekannt gewesen, dass durch eine generelle Störung des Untergrundes Methan-Austritte aus flachen Gastaschen verursacht werden könnten, unabhängig von der Dichtheit der Bohrung selbst.

Im April 2010 entwichen aus einem Bohrloch unterhalb der BP-Plattform Deepwater Horizon im Golf von Mexiko plötzlich große Mengen an Methangas. Dieser „Blow-Out“ verursacht eine Explosion, bei der elf Menschen starben. Wochenlang strömte danach Öl aus dem beschädigten Bohrloch ins Meer. „Glücklicherweise sind solche katastrophalen Blow-Outs eher selten. Kontinuierliche Austritte geringerer Gasmengen aus aktiven oder alten, verlassenen Bohrlöchern sind dagegen häufiger“, schreibt GEOMAR.

Wissenschaftler stießen schon 2014 auf Methan-Emissionen

Wissenschaftler vom Institut für Umweltphysik der Universität Bremen veröffentlichten bereits 2014, dass aus Öl-Bohrlöchern Methan entweicht. Sie flogen mit eigens entwickelten Messgeräten über ein Förderfeld in Kalifornien. Der Betreiber der Bohrstellen hatte damals keinerlei Methan-Emissionen gemeldet, doch die Wissenschaftler wiesen das klimaschädliche Gas eindeutig nach. Inzwischen hat der Betreiber seine Angaben korrigiert.

Ein Forscherteam des GEOMAR Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung Kiel und der Universität Basel veröffentlicht jetzt in der internationalen Fachzeitschrift Environmental Science & Technology neue Daten, wonach Gasaustritte, die entlang der Außenseite von Bohrlöchern entweichen,   ein deutlich größeres Problem darstellen könnten als bisher angenommen. Diese Art der Leckage wird derzeit weder von Betreibern noch Regulatoren betrachtet, könnte aber ebenso bedeutsam sein, wie die Austritte aus beschädigten Bohrlöchern selbst, welche meist schnell erkannt und repariert werden. „Wir haben hochgerechnet, dass Leckagen rund um Bohrlöcher eine der Hauptquellen für das Methan in der Nordsee sein könnten“, sagt Lisa Vielstädte vom GEOMAR, die Hauptautorin der Studie.

Bei mehreren Expeditionen zu Öl- und Gaslagerstätten in der zentralen Nordsee in den Jahren 2012 und 2013 haben die Forschenden rund um verlassene Bohrlöcher Methanaustritte entdeckt. Das Gas stammt aus flachen Gastaschen, die weniger als 1000 Meter unter dem Meeresboden liegen. Bei Bohrungen zu tiefer liegenden, wirtschaftlich interessanten Lagerstätten werden sie einfach durchstoßen. „Diese Gastaschen sind meistens auch keine Gefahr für die Bohrungen an sich. Aber offenbar sorgt die Störung des Untergrundes dafür, dass rund um das Bohrloch Gas zum Meeresboden aufsteigen kann“, erklärt Matthias Haeckel vom GEOMAR, Initiator der Studie.

Kieler Forscherin kritisiert Untätigkeit von Industrie und Behörden

Seismische Daten vom Untergrund der Nordsee verrieten den an der Studie Beteiligten, dass rund ein Drittel der Bohrlöcher durch flache Gastaschen gebohrt wurden und somit die Bedingungen erfüllen, um Methanquellen in der Umgebung zu erzeugen. „Bei mehr als 11.000 Bohrungen in der Nordsee ergibt das eine entsprechend große Menge an potenziellen Methanquellen“ sagt Lisa Vielstädte, die derzeit an der Universität Stanford in Kalifornien forscht. Aber weder Industrie noch Aufsichtsbehörden untersuchten, ob aus Bohrlöchern Methan entweicht, kritisiert Vielstädte.

Hochrechnungen des Teams ergaben, dass entlang der existierenden Bohrlöcher zwischen 3000 und 17.000 Tonnen Methan pro Jahr aus dem Meeresboden austreten. „Das wäre ein signifikanter Anteil am gesamten Methanbudget der Nordsee“, betont Haeckel.

Im Meerwasser wird Methan normalerweise mikrobakteriell abgebaut, was in der näheren Umgebung zu einer lokalen Versauerung führen kann. In der Nordsee liegt etwa die Hälfte der Bohrlöcher in so geringen Wassertiefen, dass das am Meeresboden austretende Methan die Atmosphäre erreichen kann. Dort entfaltet es als Treibhausgas eine deutlich größere Wirkung als Kohlendioxid.

„Erdgas, also Methan, wird oft als der fossile Brennstoff gepriesen, der für den Übergang von Kohlenutzung zu regenerativen Energien am besten geeignet ist. Wenn Bohrungen nach Gas aber global zu so großen Methanemissionen in die Atmosphäre führen, müssen wir das Treibhausbudget von Erdgas neu überdenken“, resümiert Haeckel.

Methan-Emissionen auch beim Transport – 804 Millionen Euro Klimafolgekosten in Deutschland

Methanemissionen entstehen nicht nur an den Bohrlöchern selbst, sondern auch bei der Aufbereitung des Gases und beim Transport zum Endverbraucher. Laut Umweltbundesamt entweichen jährlich 192.990 Tonnen Methan im Rahmen der Erdgasnutzung. Hinzu kämen 9.300 Tonnen Methan durch die Bereitstellung und Förderung von Öl. Pro Tonne Methan entstehen 3.975 Euro Klimafolgekosten, so das Umweltbundesamt. Somit komme es jährlich zu 804 Millionen Euro an Klimafolgekosten durch die Förderung und Bereitstellung (inklusive Importe) von Erdöl und Erdgas in Deutschland.

Wird der Klimawandel beschleunigt?

Die SPD-Bundestagsabgeordnete Nina Scheer kritisiert, in den vergangenen Jahren sei fälschlicherweise der Eindruck entstanden, dass Energie aus Öl, Gas und Kohle billige Energie sei. Dabei beschleunige diese Form der Energiegewinnung den Klimawandel und führe damit zu hohen Folgekosten für die Allgemeinheit. Um vereinbarte Klimaziele einzuhalten, scheint ein Umstieg von Kohlekraftwerken auf Gaskraftwerke sinnvoll. Doch dafür muss herausgefunden werden, wie häufig Leckagen im Rahmen der Nutzung von Erdgas vorkommen. Denn einen Vorteil bringt der Umstieg von Kohle- auf Gaskraftwerke nur, wenn bei Förderung und Transport von Erdgas nicht mehr als 3,2 Prozent des produzierten Gases in die Atmosphäre entweichen.

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