Fake Science: Forscher veröffentlichen unseriös – und unentdeckt

Doch Lügenwissenschaft? Hunderttausende betroffen

5.000 deutsche Wissenschaftler sind nach Investigativ-Recherchen von Süddeutscher Zeitung, ARD, Falter und Le Monde in einen weltweiten Skandal um pseudo-wissenschaftliche Zeitschriften verwickelt – unter ihnen auch der Rektor der Uni Bremen. Das Rechercheteam hat Tausende Fälle aufgedeckt, in denen Wissenschaftler bei unseriösen Pseudoverlagen, auch „Raubverleger“ genannt, publiziert und – auf Steuerzahler-Kosten – schweinwissenschaftliche Konferenzen in aller Welt besucht haben. Eine der dabei aufgeflogenen Schwindelplattformen heißt WASET (World Academy of Science, Engineering and Technology). Verwickelt sind Wissenschaftler nahezu aller deutschen großen deutschen Hochschulen.

Bücher und Journale – Foto © Gerhard Hofmann, Agentur Zukunft für Solarify

In den vergangenen Jahren seien pseudowissenschaftliche Verlage stark gewachsen, die Studien vor der Veröffentlichung nicht auf ihre Qualität prüften. Zunehmend erhalte so schlechte oder sogar gefälschte Forschung den Anschein der Wissenschaftlichkeit. Weltweit sind den Recherchen zufolge 400.000 Forscherinnen und Forscher betroffen – darunter auch Mitarbeiter deutscher Hochschulen, Institute und Bundesbehörden; die Zahl solcher Publikationen hat sich in den vergangenen fünf Jahren weltweit verdreifacht, in Deutschland gar verfünffacht – so das am 19.07.2018 veröffentlichte Recherchenergebnis von NDR, WDR und dem Süddeutsche Zeitung Magazin mit weiteren nationalen und internationalen Medien.

Bundesweiter Spitzenreiter bei WASET ist mit 29 Veröffentlichungen das Institut für Fabrikanlagen und Logistik (IFA) der Leibniz Universität Hannover. Zwischen 2006 und 2016 veröffentlichten die dortigen Forscher demnach dutzendfach Texte bei unseriösen Pseudoverlagen. Das IFA gehört zum Produktionstechnischen Zentrum Hannover (PZH), das als Aushängeschild der Leibniz Uni gilt: Auf dem Campus vor den Toren der Landeshauptstadt in Garbsen-Berenbostel arbeiten Wissenschaftler an Lösungen für komplizierte Produktionsprozesse. IFA-Leiter Peter Nyhuis räumte in einem NDR-Interview ein, dass verschiedene seiner Mitarbeiter bei WASET publiziert und Scheinkonferenzen besucht hätten. Allerdings sieht er sich und die betroffenen Kollegen selbst als Geschädigte. Man sei einem System aufgesessen, das die gutachterliche Überprüfung von Experten nur vorgaukele. Nyhuis will die fragwürdige Praxis bereits im Jahr 2015 unterbunden haben. Jetzt will er  – so zitieren ihn die NDR-Kollegen – das Thema beim Wissenschaftsrat aufs Tapet bringen: „Beim Wissenschaftsrat ist das bis dato noch nicht ein einziges Mal diskutiert worden, weil es noch nicht thematisiert, noch nicht kritisiert wurde, an keiner Stelle.“ Nyhuis will dafür sorgen, dass sich das ändert – und Aufklärungsarbeit leisten: „Das mit aufzunehmen, wäre für mich im Moment ein bisschen unangenehm, aber spannend wäre es definitiv. Und es wäre sicherlich etwas, was hilfreich sein könnte.“

Der Präsident der Leibniz-Universität, Volker Epping, reagierte überrascht auf die Vorwürfe: Ihm sei das Problem mit den Pseudo-Verlagen und Fake-Konferenzen bislang nicht präsent gewesen. Die sorgfältige Auswahl von Publikationsverlagen und Konferenzen an deutschen Hochschulen sollte im Grunde selbstverständlich sein, so der Uni-Präsident. Zudem werde jede Dienstreise nicht nur vom Institutsleiter abgezeichnet, sondern könne auch von der internen Revision überprüft werden. Warum das – laut Epping eigentlich gut funktionierende – System der Selbstkontrolle hier versagt habe, könne er nicht erklären. Er habe wenig Verständnis dafür, dass Wissenschaftler seiner Hochschule den eigenen Ruf und den der Universität aufs Spiel setzten, so Epping. Andererseits sehe er jedoch auch die große Konkurrenz in der Wissenschaftsgemeinde: „Der Druck zu publizieren ist da, das ist wettbewerblich, das muss man ganz klar sehen. Und von daher ist eine Gefahr, dass was schiefläuft, im System immanent.“ Epping kündigte an, das Thema in Senats- und Dekanatsrunden anzusprechen und seine Kollegen zu sensibilisieren.

[note „Die Masche der Raubverleger funktioniert so: Sie schreiben Forscher und Unternehmen auf der ganzen Welt an und empfehlen ihnen eine Publikation in einem wissenschaftlich anmutenden Journal. Dann publizieren sie – gegen Bezahlung – die Beiträge der Forscher binnen weniger Tage, oft ohne nennenswerte Prüfung der Inhalte. So erhalten auch zweifelhafte Studien ein angebliches Siegel der Wissenschaft und sind in der Welt“ (sueddeutsche.de/tausende-forscher-publizieren-in-pseudo-journalen).]

Warum so viele Forscher auf unseriösem Weg publizieren

Peter Hornung, Svea Eckert und Christina Harland erläuterten auf der NDR-Webseite die Gründe und Motive für die unseriösen Veröffentlichungen: Wer sich als Wissenschaftler einen Namen machen wolle und Geld für seine Forschung einwerben wolle, müsse veröffentlichen („publish or perish“). Jedes Jahr gingen etliche Millionen sogenannte Drittmittel an deutsche Wissenschaftler, Geld von großen Forschungsförderern, zum Beispiel der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), der Volkswagenstiftung oder von Bundesministerien. Die gäben Geld für Projekte, die gut in ihr Förderprofil passen und die besonders erfolgversprechend klängen. Wissenschaftler müssten bei ihren Antrag belegen, dass sie förderungswürdig seien. „Und das machen sie unter anderem, indem sie auflisten, wie viele Veröffentlichungen sie schon in wissenschaftlichen Journalen platziert haben. Die Anzahl adelt den Forscher und ist sozusagen die Währung im Wissenschaftsbetrieb.“

Fake Science: So einfach wird man „Wissenschaftler“

Experten sprechen von einem „Desaster für die Wissenschaft“: NDR Reporterin Svea Eckert berichtete in diesem Zusammenhang, wie einfach es war, eine Nonsens-Arbeit zu publizieren: „Wir haben uns fest vorgenommen, als Wissenschaftler Karriere zu machen. Wie leicht das sein würde, war uns allerdings nicht klar. Inzwischen haben wir eine längere Liste von Publikationen. Fast täglich bekommen wir Angebote, unsere Forschung zu veröffentlichen, auf Kongressen aufzutreten oder gar die Arbeit anderer Wissenschaftler zu beurteilen.“ Nach kurzer Zeit haben sie mehrfach eine ausgedachte Studie publiziert und werden zu Konferenzen eingeladen.

Am Anfang habe eine Idee gestanden: Würde es gelingen, bei WASET eine komplett unsinnige Studie zu veröffentlichen? WASET soll sich aber um die Inhalte und die Wissenschaftlichkeit von Veröffentlichungen in Wirklichkeit wenig scheren. Mit zwei erfundenen Namen – Christian Schreibaumer und Isabella Stein – sowie Fake-Mailadressen der nicht existenten Uni Himmelpforten (vor allem durch das dortige Weihnachtspostamt bekannt) starteten sie ihre „Wissenschaftlerkarriere“.

Der ausgedachte Text wird angenommen

Auf einer Internetseite, die US-Studenten als Scherz eingerichtet hatten,  erstellen sie einen unsinnigen Text, der lediglich so aussieht, als sei er wissenschaftlich. Es geht um einen frei erfundenen Algorithmus namens MOP – in den Fußnoten finden sich Charles Darwin und Kollegen unserer Redaktion. Den Text versehen wir mit einem Titel ohne Sinn: „Hochverfügbare, erlernbare, arbeitsteilige Kommunikation. Ein neutraler Zugang.“ Der Titel hat mit dem Inhalt zwar nichts zu tun, aber wir reichen den Text bei WASET ein. Nach wenigen Tagen kommt eine Antwort: Wir sollen bitte den Einstieg um drei Sätze verlängern und eine Fußnote einfügen. Mehr nicht. Sonst findet WASET unser Papier offenbar tadellos. Man lädt uns ein, den Unsinn demnächst auf einer Konferenz in London zu präsentieren – dort steht Schreibaumer, alias Peter Hornung bereits als Moderator („Chair“) eines Konferenzteils.

Preis für die beste Präsentation auf der Konferenz

Die Fake-Wissenschaftler fliegen nach London und tragen ihren Unsinn vor: „Es fällt uns schwer, bei dem ganzen Unsinn nicht zu lachen. Es gibt spärlichen Applaus, aber niemandem fällt auf, dass das nichts mit Wissenschaft zu tun hatte. Nicht überraschend, denn die Forscher auf der Konferenz arbeiten in den unterschiedlichsten Disziplinen. Am Nachmittag erhalten wir eine E-Mail, in der uns der Preis für die beste Präsentation verliehen wird. Erst später erfahren wir, dass anderen Teilnehmern dieselbe Ehre widerfuhr.“ Schließlich erscheint das Papier im „Journal für Computerwissenschaft“ des Verlags „Science Publications“ (SciPub) im arabischen Emirat Schardscha. Mit geänderten Namen reichen die die Autoren ihren lügenwissenschaftlichen Text weiter ein – und er wird sage und schreibe sechsmal bei fünf Verlagen publiziert. Nur ein Verlag schreibt eine recht kurze Antwort: „Zurückgewiesen. Mach doch mal was Sinnvolles.“

[note “Die Menschen vertrauen zu sehr der Wissenschaft und zu wenig ihren Gefühlen und dem Glauben.” Dieser Satz könnte aus einer postfaktischen Gedankenecke stammen. Aber als Fragethese hat ihn Anfang 2017 das (repräsentative) Wissenschaftsbarometer seinen Probanden serviert – und 38 Prozent stimmten “voll und ganz” (14) oder “eher” (24) zu. Eine erschreckende Zahl: Ganz abgesehen davon, dass es keinen Grund zur Annahme gibt, in der Wissenschaft sei die Anzahl schwarzer Schafe geringer als im Rest der Menschheit, und ebenso abgesehen davon, dass es genügend Anlass gibt, trotz Peer-Reports und anderer Falsifizierungs-Mechanismen skeptisch gegenüber so manchem als “wissenschaftlich” daherkommenden Ergebnis zu sein (fast jede Zahnpasta ist schließlich laut Werbung “medizinisch” getestet) – inzwischen misstraut mehr als ein Drittel den Ergebnissen der Forschung, und zieht, was noch bedenklicher ist, “Gefühl” und “Glauben” als Richtschnur vor. (Siehe Solarify-Kolumne: solarify.eu/kommunikationsproblem)]

->Quellen: