Kommunikationsproblem

Thema Lügenwissenschaft

„Die Menschen vertrauen zu sehr der Wissenschaft und zu wenig ihren Gefühlen und dem Glauben.“ Dieser Satz könnte aus einer postfaktischen Gedankenecke stammen; aber das (repräsentative) Wissenschaftsbarometer hat ihn seinen Probanden als Fragethese serviert – und 38 Prozent stimmten „voll und ganz“ (14) oder „eher“ (24) zu. Eine erschreckende Zahl: Ganz abgesehen davon, dass es keinen Grund zur Annahme gibt, in der Wissenschaft sei die Anzahl schwarzer Schafe geringer als im Rest der Menschheit, und ebenso abgesehen davon, dass es genügend Anlass gibt, trotz Peer-Reports und anderer Falsifizierungs-Mechanismen skeptisch gegenüber so manchem als „wissenschaftlich“ daherkommenden Ergebnis zu sein (fast jede Zahnpasta ist schließlich laut Werbung „medizinisch“ getestet) – inzwischen misstraut mehr als ein Drittel den Ergebnissen der Forschung, und zieht, was noch bedenklicher ist, „Gefühl“ und „Glauben“ als Richtschnur vor.
„Doch wer sagt eigentlich, dass Gefühl, Glaube und Wissenschaft im Widerspruch stehen?“ fragte Reinhard Hüttl eben im Berliner Tagesspiegel. „Sie gehören gleichermaßen zum Leben. Wissenschaft schreibt uns nicht vor, was wir tun sollen. Man kann wissenschaftliche Erkenntnisse ignorieren. Man kann verzerren. Man kann ‚alternative Fakten‘ herbeireden. Doch niemals kann man hinter sich lassen, was ist.“ Und Hüttl kommt an dem Ende heraus, an dem alle landen – bei einem Kommunikationsproblem: „Was sich rapide ändert, ist die Art und Weise, wie wir miteinander kommunizieren“, stellte er fest, und: „Der Vernetzung unserer Welt stehen vielfältige Abschottungstendenzen gegenüber“. Einfach wie nie seien sowohl der Zugang zu Wissen, als auch die öffentliche Meinungsäußerung, doch entwickelten sich „Echoräume“, in denen Gleichgesinnte einander bestärkten. Damit ändere sich auch der Rahmen für die Wissenschaftskommunikation. Deren Hauptproblem ist das gleiche wie in der Politik: Wie erreichen wir es, nicht nur den Katholischen zu predigen? Wie erreichen wir zumindest einige von denen, die schon ins Postfaktische abgedriftet sind, die unbestreitbare wissenschaftliche Ergebnisse als Lügenwissenschaft abtun? Wie kommunizieren mit Menschen, die nicht kommunizieren wollen? Für die alles „Lügenpresse“ und „Lügenwissenschaft“ ist? Was tun, wenn in Zeitungen und (zu Unrecht sogenannten) sozialen Medien unhaltbare „wissenschaftliche Behauptungen“ verbreitet werden?
Der britische Geochemiker Phil Williamson von der University of East Anglia plädiert für „unverdrossenes Widersprechen“, und er macht „einen ganz konkreten, innovativen Vorschlag“. Denn, ob es um Impfungen gehe oder um den Klimawandel – die Menge von Nonsense, der über Wissenschaft geschrieben werde, sei am Zunehmen. Williamson rät zum Widerspruch: „Take the time and effort to correct misinformation“.  Ein solches Unterfangen sei allerdings extrem aufwändig, schreibt Williamson und zitiert das nach dem gleichnamigen italienischen Informatiker benannte Brandolini-Gesetz: „Das Widerlegen von Schwachsinn erfordert eine Zehnerpotenz mehr Energie als dessen Produktion.“ Jonathan Swift soll 1710 gesagt haben: „Die Lüge fliegt, und die Wahrheit hinkt hinterher“. Laut Williamson endet der wissenschaftliche Prozess nicht, wenn die Forschungsergebnisse in einer peer-reviewten Fachzeitschrift veröffentlicht sind. Es gehöre auch zu den Aufgaben der Wissenschaft, für die weitere Verbreitung ihrer Ergebnisse zu sorgen.
-Gerhard Hofmann-