Müssen Klimamodelle korrigiert werden?

Langzeitbeobachtungen von Tiefenwasserbildung und Meeresströmungen im Atlantik widersprechen bisherigen Auffassungen

Für die globale Ozeanzirkulation spielt der subpolare Nordatlantik eine entscheidende Rolle. Durch oberflächennahe Abkühlung wird warmes Wasser in kaltes und schweres Tiefenwasser umgewandelt, das in der Tiefe äquatorwärts strömt. Gestützt auf Modelldaten glaubte man bisher, der Hauptanteil der Tiefenwassertemperatur entstehe in der Labradorsee gebildet. Langzeitbeobachtungen eines internationalen Konsortiums mit Beteiligung des GEOMAR Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung Kiel, des University College London und der Duke University Durham zeigen nun erstmals, dass der wesentliche Beitrag zur Umwälzzirkulation im östlichen Nordatlantik stattfindet. Die Ergebnisse wurden 01.02.2019 in Science veröffentlicht.

Sonne über dem Atlantik vor US-Küste – Foto © Gerhard Hofmann für Solarify

Meeresströmungen werden hauptsächlich durch den Wind und durch Unterschiede in der Dichte des Meerwassers hervorgerufen. Für die Strömungen im Nordatlantik sind beide Prozesse von großer Bedeutung. Über den Golfstrom und seine Ausläufer wird warmes und salzreiches Wasser weit nach Norden transportiert. Dabei wird das Wasser abgekühlt, was zu einem Anstieg der Dichte des Meerwassers führt und daher ein Absinken bewirkt. Das dichte Tiefenwasser strömt dann wieder Richtung Äquator. Dieses Strömungssystem wird auch als Atlantische Umwälzzirkulation bezeichnet. Es ist für das Klima, insbesondere für die vergleichsweise milden Winter in Nordeuropa, von großer Bedeutung. In bestimmten Regionen, allen voran der Labradorsee, kann es zum Absinken des Oberflächenwassers bis in die Tiefsee kommen. Die Zufuhr von Süßwasser, etwa durch Abschmelzen von Landeismassen als Folge der globale Erderwärmung, reduziert die Dichte des Oberflächenwassers. Ein Versiegen der Tiefenwasserbildung und damit der Umwälzzirkulation hätte direkte Auswirkungen auf das Klima in Europa. Nicht zuletzt deshalb ist die Atlantische Umwälzzirkulation Gegenstand intensiver Forschung.

„Die Atlantische Umwälzzirkulation ist ein komplexes Ineinandergreifen vieler Prozesse. Direkte Beobachtungen sind daher rar und viele Zusammenhänge sind bisher nur aus Modellstudien abgeleitet“, erläutert Johannes Karstensen vom GEOMAR, einer der Ko-Autoren einer Studie, die jetzt in der internationalen Fachzeitschrift Science veröffentlicht wurde. Um diese theoretischen Erkenntnisse aus Modellen auch mit Beobachtungen zu verifizieren, wurde 2014 mit Beteiligung von sieben Ländern die erste komplette Vermessung der subpolaren Umwälzzirkulation des Atlantiks unter dem Namen „OSNAP“ (Overturning in the Subpolar North Atlantic Program) gestartet.

Das Beobachtungssystem OSNAP teilt sich in zwei Abschnitte auf: quer über die Labradorsee, von Kanada zur Südspitze Grönlands, und über den östlichen subpolaren Nordatlantik, von der Südspitze Grönlands bis Schottland. Eine Vielzahl an permanenten Messstationen (Verankerungen) stellen das Rückgrat des Systems dar. An den Stationen werden kontinuierlich Strömungsdaten aber auch Temperaturen und Salzgehalte des Wassers aufgezeichnet.

„In der 21 Monate überdeckenden Zeitserie der Umwälzzirkulation aus den OSNAP-Messungen sehen wir eine erstaunlich hohe Variabilität. Das im Moment überraschendste Ergebnis ist aber, dass die Labradorsee, die wir immer als wichtigste Tiefenwasserbildungsregion angesehen haben, nur etwa 15 Prozent zur Umwälzzirkulation beiträgt“, erläutert Karstensen. „Wir müssen nun überlegen, wie wir das Konzept von Tiefenwasserformation und Umwälzzirkulation anpassen. Dazu gilt es die Prozesse, die für die Schwankungen in der OSNAP-Zeitreihe verantwortlich sind, genauer zu identifizieren“, so Karstensen.

„Beispielsweise ist es möglich dass der OSNAP-Messzeitraum von 2014 bis 2016 nur einen speziellen Zustand der Umwälzzirkulation erfasst hat. Eine Frage, die sich nur durch längere Messreihen ermitteln lässt“, so Karstensen. Im Sommer 2018 waren die OSNAP-Teams aus Europa, den USA, Kanada und China wieder mit den Forschungsschiffen im Subpolaren Nordatlantik unterwegs. Zurzeit werden die Daten analysiert, und es wird erwartet, dass die OSNAP-Zeitserie der Atlantischen Umwälzzirkulation in Kürze um zwei weitere Jahre verlängert sein wird. „Diese Region ist eine der empfindlichsten Stellschrauben unsere Klimasystems. Hier können durch relativ kleine und rasche Veränderungen globale und langzeitliche Auswirkungen auf das Klima ausgelöst werden. Deshalb ist ein umfassendes Verständnis der Prozesse in dieser Region so wichtig“, argumentiert Karstensen.

Die Ergebnisse geben „einen beispiellosen Einblick in die Funktionsweise des modernen Nordatlantiks“, sagt der Paläoceaonograph David Thornalley vom University College London, der nicht an der Studie beteiligt war. „Es bedeutet überhaupt nicht, dass die Modelle falsch sind“, sagte Tom Delworth, leitender Wissenschaftler im geophysikalischen Labor der National Oceanic and Atmospheric Administration in Princeton, New Jersey. Carl Wunsch vom MIT und andere externe Experten sagten, dass die Studie hilfreich sei, wiesen aber darauf hin, dass 21 Monate Studie nicht ausreichen.

Zudem fließen die von dem internationalen Team zusammengetragenen Daten auch in die Berichte des Weltklimarates (IPCC) ein, dessen nächster Bericht in wenigen Jahren erstellt wird und die Basis für Handlungsempfehlungen zum Klimaschutz darstellt.

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