„CO2 soll saubere Arbeit leisten“

Forschungsprojekt Rheticus startet in zweite Phase

In Marl entsteht derzeit im Rahmen des gemeinsamen Forschungsprojekts Rheticus II von Evonik und Siemens eine einzigartige Versuchsanlage aus Bioreaktor und Elektrolyseur, so Medienmitteilungen beider Unternehmen: Aus CO2 und Wasser bilden sich dort mithilfe von Strom aus Erneuerbaren Quellen und Bakterien wertvolle Spezialchemikalien. Das BMBF fördert Rheticus II mit rund 3,5 Millionen Euro.

Am 10.10.2019 wurde Rheticus II gestartet – mit dem Ziel einer effizienten und leistungsfähigen Versuchsanlage, die Spezialchemikalien erzeugt – aus CO2, Wasser, Strom aus Erneuerbaren Quellen und Bakterien. In Rheticus I haben die beiden Unternehmen zwei Jahre lang die Grundlagen für die technische Machbarkeit dieser künstlichen Photosynthese aus Bioreaktor und Elektrolyseur entwickelt. Evonik und Siemens führen nun die beiden bislang noch getrennten Anlagenteile in einer Versuchsanlage am Evonik-Standort Marl in Nordrhein-Westfalen zusammen. Rheticus II hat eine Laufzeit bis 2021. Die Fördersumme des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) beträgt rund 3,5 Millionen Euro.

Der weltweit erste und vollständig automatisierte CO2-Elektrolyseur  von Siemens erzeugt Kohlenmonoxid und liefert mit Wasserstoff die Hauptnahrung für die Bakterien im Bioreaktor – Foto © Siemens

„Die innovative Technologie von Rheticus hat das Potenzial, zum Gelingen der Energiewende beizutragen“, sagt Thomas Haas, der bei Evonik für Rheticus verantwortlich ist. „Die Plattform könnte künftig überall dort installiert werden, wo CO2 vorhanden ist – etwa an Kraftwerken oder Biogasanlagen. Wir nutzen das CO2 als Rohstoff, um über künstliche Photosynthese wertvolle Chemikalien zu erzeugen.“ Siemens bringt in Rheticus den weltweit ersten CO2-Elektrolyseur ein. „Wir entwickeln ein flexibles System, das Antworten auf mehrere Fragen der Energiewende geben kann“, sagt Karl-Josef Kuhn, der bei Siemens die Power2X-Forschung leitet. „Wir machen erneuerbare Energie speicherbar, indem wir sie in Wertstoffe wie Spezialchemikalien oder Treibstoffe umwandeln. Wir tragen zur Netzstabilität bei – denn wir produzieren so variabel, dass wir auf Stromschwankungen reagieren können.“

Georg Joachim Rheticus (1514-1574) war Mathematiker, Astronom, Theologe, Kartograph, Instrumentenmacher und Mediziner. Er studierte von 1528 bis 1531 in Zürich Mathematik, danach an der Universität Wittenberg. Gefördert von Philipp Melanchthon wurde er 1537 Professor für Mathematik und Astronomie in Wittenberg. 1539 bis 1541 weilte Rheticus bei Kopernikus in Frauenburg. Dort entstand eine detaillierte Landkarte von Preußen. Dann lehrte Rheticus in Wittenberg, Nürnberg und bis 1545 in Leipzig. Ab 1554 lebte er in Krakau als praktizierender Arzt. Rheticus trug als Erster und wesentlich zur Verbreitung des kopernikanischen Weltsystems bei. Er war der einzige Schüler Kopernikus‘ und überzeugte ihn, sein Hauptwerk in Druck zu geben. Rheticus erwarb sich bedeutende Verdienste durch seine zehnstelligen, zehnsekundenweise fortschreitenden Tafeln der trigonometrischen Funktionen, deren Berechnung indes erst von seinem Schüler Valentin Otho zu Ende geführt wurde, der sie 1596) herausgab. Der Mondkrater Rhaeticus wurde 1935 und der Asteroid (15949) Rhaeticus 2001 zu seinen Ehren benannt (nach de.wikipedia.org).

Anfang 2020 soll die aus einem CO2-Elektrolyseur und einem Bioreaktor bestehende Versuchsanlage den Testbetrieb aufnehmen. In Elektrolyseuren werden in einem ersten Schritt Kohlendioxid und Wasser mit Strom in Kohlenmonoxid (CO) und in Wasserstoff umgewandelt. Aus dem dabei entstehenden Synthesegas wandeln spezielle Mikroorganismen die CO-haltigen Gase in Chemikalien um. Mit der Elektrolysetechnik und der Biotechnologie bringen Siemens und Evonik jeweils ihre Kernkompetenzen in diese künstliche Photosynthese ein. Bei der künstlichen Photosynthese werden chemische und biologische Schritte so kombiniert, dass mit Hilfe von elektrischer Energie aus CO2 und Wasser verwertbare Chemikalien entstehen. Pflanzen machen es bei der natürlichen Photosynthese ganz ähnlich: Sie nutzen Chlorophyll, Enzyme und Sonnenlicht, um damit Glucose herzustellen – einen lebenswichtigen und energiereichen Nährstoff. Ein weiterer Vorteil von Rheticus: Die Technologie trägt dazu bei, die Kohlendioxidbelastung der Atmosphäre zu reduzieren, da CO2 als Rohstoff verwendet wird. So würde etwa die Herstellung einer Tonne Butanol drei Tonnen CO2 benötigen.

Im Evonik-Modul der Rheticus Versuchsanlage arbeiten Bakterien an der Umwandlung von Synthesegasen in Spezialchemikalien wie Butanol – Foto © Evonik

Im Frühjahr 2019 hatte Evonik das Synthese-Modul in Betrieb genommen: Kernstück ist ein acht Meter hoher Bioreaktor aus Edelstahl mit einem Fassungsvermögen von 2.000 Litern. Mikroorganismen verrichten darin kontinuierlich ihre Arbeit. Wasserstoff und Kohlenmonoxid bilden die Hauptnahrung der Bakterien.

Siemens hat einen CO2-Elektrolyseur entwickelt, vollständig automatisiert und im Sommer 2019 in einen Container integriert. Der weltweit erste CO2-Elektrolyseur besteht aus zehn Zellen mit einer Gesamtelektrodenfläche von 3.000 cm². In den nächsten Monaten geht es darum, Elektrolyseur und Bioreaktor zusammenzuschließen. Zusätzlich entsteht eine Einheit zur Aufarbeitung der Flüssigkeit aus dem Bioreaktor, um die reinen Chemikalien zu erhalten.

Im Testbetrieb erzeugen die Bakterien zu Forschungszwecken Butanol und Hexanol, Ausgangsstoffe zum Beispiel für Spezialkunststoffe oder Nahrungsergänzungsmittel. Künftig sind auch noch andere Spezialchemikalien vorstellbar – je nach Bakterienstamm und Bedingungen. Nach erfolgreichem Abschluss von Rheticus II werden Evonik und Siemens eine einzigartige Plattformtechnologie zur Verfügung haben, die energie- und werthaltige Stoffe wie Spezialchemikalien oder künstliche Treibstoffe aus CO2 herstellt – modular und flexibel.

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