Von Riesenzecke bis Gelbfieber

Gesundheitliche Auswirkungen und Kosten des Klimawandels

Nach den Auswirkungen des Klimawandels auf die Gesundheit fragt die Linksfraktion in einer Kleinen Anfrage (19/14019). Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) rechne mit rund 250.000 zusätzlichen Todesfällen pro Jahr aufgrund der Folgen des Klimawandels; etwa 7 Mio. Menschen sterben jährlich aufgrund von Luftverschmutzung, und das Umweltbundesamt erwarte 12.500 zusätzliche Hitzetote pro Jahr in Deutschland für den Zeitraum von 2071-2100. Dazu kämen neue Überträger und neue Krankheiten infolge der Erderwärmung. Die Abgeordneten wollen wissen, welche Erkenntnisse die Bundesregierung zu dem Thema hat. Solarify doumentiert normalerweise kein Fragen, sondern Antworten – aber in diesem Fall beeindruckt die Sammlung von Fundstellen im Internet. (hib 1170/2019/PK)

Deutscher Bundestag – Drucksache 19/14019 1- 9. Wahlperiode

Kleine Anfrage der Abgeordneten Sylvia Gabelmann, Lorenz Gösta-Beutin, Susanne Ferschl, Matthias W. Birkwald, Dr. Achim Kessler, Katja Kipping, Jutta Krellmann, Cornelia Möhring, Jessica Tatti, Harald Weinberg, Pia Zimmermann, Sabine Zimmermann (Zwickau) und der Fraktion DIE LINKE.

Gesundheitsauswirkungen und Gesundheitsfolgekosten des Klimawandels und Handeln der Bundesregierung

Zecke Hyalomma marginatum – Foto © Adam Cuerden – Gemeinfrei, commons.wikimedia.org

Der Klimawandel beeinflusst alle Bereiche des sozioökonomischen Zusammenlebens und der gesellschaftlichen Naturverhältnisse. Insbesondere die Gesundheit der Weltbevölkerung und damit ebenso die in Deutschland lebenden Menschen sind dadurch immensen Bedrohungen ausgesetzt. Die WHO rechnet mit etwa 250.000 zusätzlichen Todesfällen pro Jahr aufgrund der Folgen des Klimawandels, (www.who.int/news-room/fact-sheets/detail/climate-change-and-health). Dabei lassen sich Unterernährung aufgrund von sinkenden Landwirtschaftserträgen, Hitzewellen, Überschwemmungen, Luftverschmutzung, die Zunahme von infektiösen Erregern und Allergien als unterschiedliche Gesundheitsrisiken nennen, die von Umweltfaktoren beeinflusst werden (insbesondere der Durchschnittstemperatur), die vom Klimawandel beeinflusst werden:

Durch die Zunahme von Krankheitserregern, Hitze, Extremwetter, Luftverschmutzung und Allergien sind auch für die in Deutschland lebende Bevölkerung immense Gesundheitsfolgen zu erwarten:

Diese Gesundheitsbelastungen übersetzen sich in ökonomische Gesundheitsfolgekosten. Ein Bericht der WHO errechnet, dass die Luftverschmutzung in den 15 Ländern, welche die meisten Treibhausgase produzieren, Gesundheitsfolgekosten von über 4 % ihres Bruttoinlandsprodukts mit sich bringt apps.who.int/iris/bitstream/handle/10665/276405/9789241514972-eng.pdf, S. 52). Laut dem Bericht „Was Kohlestrom wirklich kostet“ (www.env-health.org/IMG/pdf/heal_coal_report_de.pdf) der Health and Environment Alliance verursachen Kohlekraftwerke Gesundheitsschäden mit Folgekosten  von 2,3 bis 6,4 Mrd. Euro jährlich in Deutschland und von 15,5 bis 42,8 Mrd.Euro in Europa (s. 5).

Wir fragen die Bundesregierung: 

1. Auf welches Wissen bezieht sich die Bundesregierung und welche Maßnahmen unternimmt sie, um die nationalen und internationalen Gesundheitsfolgen des Klimawandels angemessen einschätzen zu können?

2. Liegen der Bundesregierung quantitative Schätzungen der aktuellen Anzahl von Erkrankungen und zukünftig zu erwartenden Erkrankungen durch Umweltfaktoren, die durch den Klimawandel beeinflusst werden, vor? (im In- und Ausland, bitte ggf. nach Hitze, Extremwetterereignissen, Krankheitserregern und Vektoren, Allergien, Mangelernährung und Luftverschmutzung aufschlüsseln)

3. Liegen der Bundesregierung quantitative Schätzungen der Anzahl von Todesfällen und zukünftig zu erwartenden Todesfällen durch Umweltfaktoren, die durch den Klimawandel beeinflusst werden, vor? (im In- und Ausland, bitte ggf. nach Hitze, Extremwetterereignissen, Krankheitserregern und Vektoren, Allergien, Mangelernährung und Luftverschmutzung aufschlüsseln)

4. Wie ist der aktuelle Stand der Forschungsvorhaben, auf welche die damalige Bundesregierung in der Antwort auf die Kleine Anfrage „Gesundheitsauswirkungen der Klimakrise“ aus dem Jahr 2015 (Bundestagsdrucksache 18/5797) verweist, genauer:
a) Welche Ergebnisse liegen der Bundesregierung aus der Deutschen Umweltstudie zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen (GerES), ehemals 5. Umweltsurvey aktuell vor?
b) Welches sind die aktuellen Erkenntnisse aus dem „bundesweiten Gesundheitsmonitoring“ des Robert-Koch-Instituts, von dessen Aufbau die Bundesregierung im Jahr 2015 spricht?
c) Zu welchem Zeitpunkt erwartet die Bundesregierung den nächsten „Aktionsplan Anpassung“ der Deutschen Anpassungsstrategie, der alle vier Jahre erscheinen soll und im Jahr 2015 das letzte Mal erschienen ist?
d) Welche Fortschritte erzielte die BMBF-Fördermaßnahme „Nachwuchsgruppen Globaler Wandel 4+1“ beim Vorhaben „MOPM. Untersuchungen zu Auswirkungen und Risiken von Massenvermehrungen des Eichenprozessionsspinners für ein angepasstes Forstmanagement sowie Gesundheitsvorkehrungen in urbanen und nicht urbanen europäischen Eichenbeständen“ und wurde wie angekündigt ein internetbasiertes Frühwarnsystem sowie eine Metadatenbank für mögliche regionalspezifische Szenarien aufgebaut? Bis wann erwartet die Bundesregierung den Abschluss dieses Projekts und hat sich an dessen Zielen und der der Finanzierung und den Zielen etwas geändert?
e) Wurde bzw. wird das in obiger Antwort zitierte für die Jahre 2016 bis 2019 angekündigte Forschungsvorhaben des BMUB „Langfristige Populationsentwicklung krankheitserregerübertragender Nagetiere: Interaktion von Klimawandel, Landnutzung und Biodiversität“ umgesetzt und welche zentralen Ergebnisse gibt es aus diesem Forschungsvorhaben?

5.  Wurden von der aktuellen Bundesregierung neue Studien in Auftrag gegeben, um die Gesundheitsfolgen sowie die Gesundheitsfolgekosten von durch den Klimawandel beeinflussten Umweltfaktoren einschätzen zu können? Sollten etwaige Studien bereits abgeschlossen sein, zu welchen Ergebnissen kommen diese?  Mit welcher Förderhöhe wurden etwaige Studien unterstützt?  Plant die Bundesregierung weitere Studien oder andere Maßnahmen, um die Gesundheitsfolgen sowie die Gesundheitsfolgekosten von durch den Klimawandel beeinflussten Umweltfaktoren einschätzen zu können und wenn ja, welche?

6. Wie bzw. zu welchem Ergebnis prognostiziert die Bundesregierung die zu-künftige Ausbreitung der folgenden Infektionserreger – die in Deutschland bereits endemisch sind – durch Umweltfaktoren, die durch den Klimawandel beeinflusst werden: Hantaviren, Borrelien, FSME-Viren?

7. Wie bzw. zu welchem Ergebnis prognostiziert die Bundesregierung die zukünftige Ausbreitung der folgenden Infektionserreger, die in Deutschland noch nicht endemisch sind, durch Umweltfaktoren, die durch den Klimawandel beeinflusst werden: Tollwut-Virus, Sandfliegenfieber-Virus, West-Nile-Virus, Lymphozytäres Choriomeningitis-Virus, Krim-Kongo-Hämorragisches Fieber, Chikungunya-Virus, Dengue-Virus, Gelbfieber-Virus, Japanisches Enzephalitis-Virus, Rift-Tal-Fieber-Virus?

8. Wie plant die Bundesregierung auf das erstmalige Überwintern der Zeckenart Hyalomma marginatum in Deustchland und deren beginnender Ausbreitung zu reagieren?

9. Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus der Studie des Umweltbundesamtes „Klimawandel und Pollen-assoziierte Allergien der Atemwege“ (www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/377/publikationen/klimawandel_allergien_5-10.pdf )? Mit welchen quantitativen Schätzungen arbeitet die Bundesregierung hinsichtlich der Zunahme von allergischen Erkrankungen in Deutschland, z. B. durch eine klimabedingte Verlängerung der Vegetationsphasen?  Wie plant die Bundesregierung auf die Zunahme von allergischen Erkrankungen in Deutschland zu reagieren?

10. Welche konkreten Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus dem Bericht der Weltgesundheitsorganisation „Health & Climate Change“ (apps.who.int/iris/bitstream/handle/10665/276405/9789241514972-eng.pdf)? Stimmt die Bundesregierung mit der Schlussfolgerung des Berichts (s. 60) überein, dass die Treiber des Klimawandels, insbesondere die Verbrennung fossiler Treibstoffe, einen maßgeblichen Beitrag zu den 7 Mio. jährlichen Todesfällen durch Luftverschmutzung leisten?  Welche Stellung bezieht die Bundesregierung zu den Politikempfehlungen des Reports (S. 62-63), nach denen die Verbrennung fossiler Energieträger eingestellt werden soll, um die Gesundheitsfolgen des Klimawandels und den Klimawandel als solchen einzudämmen?

11. Welche konkreten Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus dem Bericht der Health and Environment Alliance „Was Kohlestrom wirklich kostet“ (www.env-health.org/IMG/pdf/heal_coal_report_de.pdf)? Teilt die Bundesregierung die Auffassung des Berichts, dass Kohlekraftwerke Gesundheitsschäden mit Folgekosten von 2,3 bis 6,4 Mrd. Euro jährlich in Deutschland und von 15,5 bis 42,8 Mrd. Euro in Europa verursachen (S. 5)?  Teilt die Bundesregierung die Auffassung des Berichts, dass jährlich 2.700 vorzeitige Todesfälle in Deutschland aufgrund von Kohleverstromung zu verzeichnen sind (s. ebd.)?  Wie bezieht die Bundesregierung Stellung zu den Politikempfehlungen des Berichts (S. 31), alle direkten und indirekten Subventionen und Steuererleichterungen für den Stein- und Braunkohleabbau sowie für die Energieproduktion aus Kohle unmittelbar einzustellen?

12. Werden gesundheitliche Folgekosten in der Gesundheits- und Klimapolitik der Bundesregierung berücksichtigt, und, wenn ja, wie werden sie gemessen und prognostiziert?

13. Mit welchen Folgekosten für das deutsche Gesundheitssystem bis zum Jahr 2050 rechnet die Bundesregierung durch die Vermehrung bereits endemischer Erreger und die Ausbreitung neuer Erreger durch Umweltfaktoren, die durch den Klimawandel beeinflusst werden?

14. Mit welchen Folgekosten für das deutsche Gesundheitssystem bis zum Jahr 2050 rechnet die Bundesregierung durch die Zunahme von allergischen Erkrankungen in Deutschland durch Umweltfaktoren, die durch den Klimawandel beeinflusst werden?

15. Mit welchen Folgekosten für das deutsche Gesundheitssystem bis zum Jahr 2050 rechnet die Bundesregierung durch die Zunahme von Hitzetagen im Sommer?

16. Mit welchen Folgekosten für das deutsche Gesundheitssystem bis zum Jahr 2050 rechnet die Bundesregierung durch die Zunahme von Extremwettereignissen, insbesondere Überschwemmungen?

17. Wie bewertet die Bundesregierung mögliche Gesundheitsgefährdungen in Deutschland durch chemische Veränderungen oder mikrobiellem Befall von Arzneimitteln infolge von Hitze?

Berlin, den 1. Oktober 2019
Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

->Quellen: