Rückblick aus dem Anthropozän

Nicht eine, sondern zwei Energiewenden

Eine gute Nachricht: Es gibt viele Mut machende Ansätze für die nachhaltigere Nutzung von Ressourcen. Darauf weist die Ethnologin Gretchen Bakke hin, die über eine Gastprofessur der Humboldt-Universität zu Berlin in das Anthropozän-Projekt eingebunden ist. Die in den USA zuletzt zu Ansehen gelangte Anthropologin zog es erst jüngst nach Deutschland – und damit an einen Ort, an dem Klimaforschung einen hohen Stellenwert hat.

Bis 2018 forschte sie im kanadischen Quebec; zuletzt schrieb sie ein Buch, das Bill Gates auf seiner Top-5-Bücherliste notierte: „The Grid“, das Netz, gemeint ist das Stromnetz in den USA. Neben der Feststellung, dass dieses von der erstaunlichen Zahl von 3.600 Versorgungsunternehmen (des-)organisiert ist, brachte Bakke Erkenntnisse mit, die ihr nun in Europa zugutekommen. Eine zentrale: Es gibt viele, oft gegenteilige Entwicklungen, zur selben Zeit – die nicht immer analog zu gängigen Erwartungen verlaufen. Das sonnenreiche Florida zum Beispiel verfügt fast nicht über Erneuerbaren Energien – während sich das strikt republikanische Iowa zu 50 Prozent aus Windenergie versorgt. Bakke: „Mich interessiert, wann wo Wandel passiert: Welche Kultur, welche Werte, welche Anreize fördern oder verhindern Transformation?“

Dafür macht sie sich auf die Suche nach Gesprächspartnern, in Politik und Wissenschaft ebenso wie in der Zivilgesellschaft; und auch zu Fragen, die man, wie sie sagt, „immer öfter auch im Fahrstuhl mithört“: Warum nutzen Menschen das Auto statt der Bahn, die Bahn statt dem Auto, das Flugzeug statt der Bahn? Schon dass es diese Gespräche gibt, bedeutet Wandel, erklärt sie: „Es gibt immer Pioniere, und Bereiche, in denen es scheinbar – noch – nicht vorangeht.“ Ein Beispiel dafür, was Pioniergeist bewirken kann, hat sie ebenfalls aus den USA mitgebracht: „Die Sonne als Quelle für Energie zu nutzen, galt dort noch vor zehn Jahren als absurd – etwas für Hippies, oder für Deutsche. Heute verbreitet sich die Solarenergie auch dort, langsam, aber stetig.“

Die Ethnologin weist darauf hin, dass es im Grunde nicht um eine, sondern um zwei Energiewenden geht – eine hin zu erneuerbaren und eine weg von fossilen Energien. Das wird spätestens deutlich, wenn sie sich mit weniger offensichtlichen Innovationen befasst, etwa mit der klimafreundlicheren, weil weniger CO2 freisetzenden Produktion von Zement und Stahl. „Technologisch ist das möglich“, sagt sie, „doch damit solche Produkte marktfähig werden, braucht es politische Ansätze – auch solche, die bisherige Techniken unattraktiv machen.“ Nun brauchen politische Lösungen, siehe Kohlekompromiss, immer Zeit – ebenso, wie der Bau von Fabriken, die Umstellung von Produktionen. Insofern fällt ihr Resümee so aus: „Wandel gibt es. Ob er das ausreichende Tempo hat, kann ich nicht sagen.“

Auf den Punkt gebracht:

  • Die letzte Energiewende, bei der Wasser, Wind und Holz von der Kohle abgelöst wurden, zeigt, dass eine solche Wende viele Nebeneffekte hat.
  • Heute bilden Kohle und Erdöl nicht nur eine wichtige Energiequelle, sondern auch die Basis für zahllose chemisch erzeugte Stoffe und Materialien. Dementsprechend bräuchte es auch in der chemischen Industrie eine Neuorientierung.
  • Auf die aktuelle Energiewende wirken neben der Politik auch Faktoren wie Kultur, Moral und Überzeugungen ein.

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