Der Schock hat System

Lesehinweis: Corona und die Folgen

„Gerade jetzt müssen wir uns Gedanken um Umwelt und Klima machen. Sonst droht möglicherweise schon bald Sars-CoV-3“, schreiben die drei Co-Autoren der Leopoldina-Stellungnahme „Coronavirus-Pandemie – Die Krise nachhaltig überwinden“ (siehe solarify.eu/leopoldina-plaediert-fuer-nachhaltigen-ansatz-bei-coronavirus-bewaeltigung) Christoph Rosol, Jürgen Renn und Robert Schlögl zur Einleitung eines Gastbeitrags für die Süddeutsche Zeitung am 15.04.2020.

Waldbrände am Amazonas: Die Pandemie ist kein singuläres Ereignis, sondern steht im Kontext der Weltkatastrophen. Brennender Regenwald südlich von Boavista /Roraima/Brasilien – Foto (1991) © Gerhard Hofmann für Solarify

„…Mitten in der Wachstumsphase bleibt der Regen wochenlang aus. Die Modelle des Europäischen Zentrums für mittelfristige Wettervorhersage sagen auch für die kommenden Monate außergewöhnliche Trockenheit voraus. Waldbrände, Ernteausfälle und nicht schiffbare Flüsse werden vermutlich bald schon Corona-Meldungen Konkurrenz machen. Die Dürre geht ins dritte Jahr.“

Mit der Corona-Krise verschwänden nicht einfach andere Herausforderungen . Corona schärfe vielmehr den Blick auf grundlegende Bedrohungen wie den Klimawandel und das Artensterben sowie die Notwendigkeit, endlich und entschieden zu handeln. Immer deutlicher zeichne sich ein direkter Zusammenhang zwischen Gesundheits-, Klima- und Biodiversitätskrise ab. Eine wesentliche Ursache für den Anstieg von neuen, zwischen Tier und Mensch übertragenen Infektionskrankheiten sei die „rasant voranschreitende Zerstörung des Lebensraums von Wildtieren. Dieser Lebensraumverlust wird vorangetrieben durch die Vernichtung von Wäldern für landwirtschaftliche Nutzung, durch Bergbau und die Zunahme der Flächenversiegelung sowie einen beängstigend schnell ablaufenden Klimawandel.“

Rosol, Renn und Schlögl: „Nach Sars-CoV-2 folgt möglicherweise Sars-CoV-3 und droht erneut Gesundheitssysteme zu überfordern und die Welt in ein wirtschaftliches Wachkoma zu versetzen. Biologen sehen daher die wirksamste Prophylaxe gegen Epidemien und Pandemien der Art, wie wir sie mit Corona gerade global durchleben, in einem konsequenten Schutz der natürlichen Vielfalt und dem Aufrechthalten räumlicher Barrieren zwischen Wirtstier und Mensch.“ Langfristige Lebensgrundlagen seien „eine wesentliche und vergleichsweise günstige Vorsorge vor ruinösen Pandemien“. Weiter sehen die drei Autoren als „Ursache für die hohe Sterblichkeit von Covid-19 [die] Schädigungen und Vorerkrankungen des Atemwegsystems“. Auch hier gelte: “ Menschen leben in einer defossilisierten Gesellschaft gesünder und länger“.

Diese beiden Beispiele seien ein Beleg dafür, dass wir es bei Corona nicht mit einem ‚Black Swan‘, einem seltenen Einzelereignis zu tun hätten, sondern mit systemischen Problemlagen. Diese beruhten auf den einander „verstärkenden Wechselwirkungen von gesellschaftlichen und technologischen Dynamiken und der rapiden Verschlechterung der globalen Umweltsituation.“

Der Aufbau einer klimafreundlichen Wirtschaft, auch Landwirtschaft, und deren weitgehende Entkopplung von Ressourcenverbrauch und Artenverlust, neue Mobilitätsformen oder eine grüne Digitalisierung böten wesentliche Impulse für Innovation und ein krisenfesteres Wachstum. Die Konzepte und Technologien dafür seien längst da, ebenso wie der Wille in der Bevölkerung und selbst der Wirtschaft. Ein gemeinsam von 180 hochrangigen europäischen Politikern, Wirtschaftsführern, Gewerkschaftern und Think-Tanks veröffentlichter Aufruf für grüne Investitionen (siehe unten: solarify.eu/eu-politiker-wollen-wirklich-green-deal), die jetzt zu tätigen wären, unterstreiche dies noch einmal eindrücklich.

„Wie aus vielen anderen Krisen bekannt, setzt nach einer Phase der akuten Zuspitzung schnell wieder gesellschaftliches Vergessen ein. Corona sollte ein Anfang sein, diesen mentalen und politischen Mechanismus zu brechen und jetzt vorausschauend zu handeln. Damit die kommende Krise nicht noch gefährlicher wird. Mit einer nachhaltigen Ausrichtung der jetzt getätigten Investitionen und Programme entstünde die Notwendigkeit, aber auch die Freiheit, wirtschaftliche, technische und auch gesellschaftliche Innovation anzustoßen. So argumentiert auch die Leopoldina-Stellungnahme. Wird diese Chance vertan, so dürfte ein später unvermeidbares, noch drastischeres Umsteuern unvergleichlich schwieriger und teurer werden und mit noch größeren menschlichen Verlusten verbunden sein. Die Corona-Krise ist eine Grundlagenkrise, und ihre Bewältigung wird Jahre in Anspruch nehmen, Zeit, die wir nicht zweimal haben, um die nötigen Transformationen anzugehen.“

->Quelle und kompletter Text:  sueddeutsche.de/coronavirus-umweltschutz-leopoldina-stellungnahme