Senkung der Stromkosten

Experten bejahen gezielte Corona-Hilfen

Eine Senkung der Stromkosten für Wirtschaft und Privatkunden sowie der Ausbau der digitalen Infrastruktur zählten zu den gemeinsamen Vorschlägen der Sachverständigen im Rahmen einer Anhörung zur Corona-Pandemie und der Abhilfe ihrer wirtschaftlichen Folgen, schreibt der parlamentseigene Pressedienst heute im bundestag. Die Experten nahmen in einer Sitzung des Ausschusses für Wirtschaft und Energie unter der Leitung von Klaus Ernst (Die Linke) zu dem Fragenkomplex Stellung, wie der Neustart für die Wirtschaft in Deutschland und Europa aussehen sollte.

Wirtschaftsausschuss – Screenshot © bundestagsfernsehen

Zum Maßnahmen-Katalog von Justus Haucap, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, gehörte eine Reform der Unternehmenssteuern – insbesondere die Möglichkeit der Verlustverrechnung. Die Energiepreise müssten runter. Und Investitionen seien vor allem im Bereich der digitalen Infrastruktur nötig. Er riet dazu, in der Debatte nicht die Start-ups zu vergessen, die lieber zu großzügig als zu kleinlich unterstützt werden sollten.

Michael Eilfort (Stiftung Marktwirtschaft) mahnte zu möglichst wenig Wechseln auf die Zukunft der jungen Menschen. Er riet zu Strukturprogrammen insbesondere in den Bereichen Energiewende, Innovation, Bildung und Chancengerechtigkeit. Besonderes Augenmerk legte er auf den Ausbau der digitalen Infrastruktur. Er kritisierte einen Wettlauf um Branchensubventionen, der mit dem „Mehrwertsteuergeschenk“ für Gastronomen begonnen habe. Es gelte, Unsinn und fiskalische Schäden zu minimieren, um Spielräume für ein mögliches Konjunkturprogramm zu haben.

Volker Treier (DIHK) machte kein Hehl daraus, dass es beim Weg aus der Corona-Krise noch Rückschläge geben werde – beispielsweise durch eine sinkende Nachfrage aus den USA. Nicht zuletzt die Unterbrechung der globalen Lieferketten habe zu nie dagewesenen Liquiditätsproblemen geführt. Bei zahlreichen Unternehmen gehe es wirklich um die Substanz. Die Liquiditätskrise drohe zu einer Solvenz-Krise zu werden. Es sei durchweg nicht so, dass in den privaten Haushalten zu wenig Einkommen vorhanden sei. Vielmehr gebe es eine Konsumzurückhaltung, die mit Zukunftsängsten wie der Sorge um den Erhalt des Arbeitsplatzes zu tun habe.

Jens Südekum (Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf) wies darauf hin, dass Konjunkturprogramme nicht sofort in Gang kämen. Umso wichtiger sei es, ihre Planung unverzüglich aufzunehmen. Er sprach sich gegen allgemeine Steuersenkungen aus. Sie müssten zielgenau jenen Betrieben nützen, die auch investieren. Ohnehin warnte er vor einem Gießkannenprinzip bei den Corona-Hilfen. Besonderes Augenmerk legte er auf Investitionen in Forschung und Entwicklung sowie auf Schnittstellen zu Anwendung und Produktion. Wasserstoff sei einer der zentralen Bausteine bei ökologischen Investitionen.

Andrä Gärber von der Friedrich-Ebert-Stiftung hielt Investitionen in Höhe von 450 Milliarden Euro in den nächsten zehn Jahren für erforderlich. Um den Neustart der Wirtschaft in Deutschland und Europa erfolgreich zu gestalten, sei es erforderlich, eine neue Balance zwischen den Märkten und dem Staat zu finden. Die oftmals blinde Marktgläubigkeit sei kritisch zu hinterfragen und die wichtige Rolle des Staates in der Wirtschaft anzuerkennen. Die deutsche und europäische Innovationsförderung bezeichnete er als sehr themenoffen und zu wenig strategisch.

Der Ökonom Max Otte hob auf sofortige und massive staatliche Investitionen ab. Dies sei in den letzten Jahren vernachlässigt worden. Kaum ein wirtschaftspolitisches Dogma habe Deutschland in den letzten Jahren so geschadet wie das der Schwarzen Null. Erforderlich sei eine halbe Billion Euro in den nächsten zehn Jahren. Das könne nur über Schulden finanziert werden. Der Staat erhalte jetzt die Chance, lange versäumte Infrastrukturmaßnahmen nachzuholen und insgesamt die Staatsausgaben in Richtung mehr Produktivität und Wachstum umzubauen.

Gabriel Felbermayr vom Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW) setzte sich für eine Senkung der Stromsteuer ein. Die Mittel aus der EEG-Umlage sollten in den Bundeshaushalt fließen. Unternehmen sollten etwa durch günstigere Regelungen bei Abschreibungen unterstützt werden. Er nannte es ein Problem, dass bei den Hilfen der Bundesregierung Unternehmen hinsichtlich ihrer Größe unterschiedlich behandelt würden und nicht auf die tatsächliche Betroffenheit geschaut werde. Zudem liege der Fokus auf der Gewährung von Krediten, nicht aber auf eigenkapitalstabilisierenden Maßnahmen.

Stefan Körzell (Deutscher Gewerkschaftsbund) stellte fest, der Weg zu einer nachhaltigen wirtschaftlichen Stabilisierung führe nicht über pauschale Steuersenkungen, Deregulierung oder gar Sozialabbau. Er sprach sich gegen die Abschaffung des Solidaritätsbeitrags aus. Er verlangte, dass bei der Krisenbewältigung Löhne und Beschäftigung gesichert werden. Tarifbindung und steigender Mindestlohn seien dafür unerlässlich. Wichtig sei es, die Kommunen handlungsfähig zu halten. Die öffentliche Hand tätige die meisten Investitionen.

Patrick Graichen (Agora Energiewende) mahnte, den Klimawandel nicht aus dem Blick zu verlieren. Die Klima-Herausforderung treffe zwar nicht so plötzlich ein wie die Corona-Pandemie. Sie sei aber ebenso akut. Jede Investition müsse den Klimaschutz in den Blick nehmen. Konkret verwies er auf Elektromobilität und Wasserstoff, die als Zukunftstechnologien gefördert werden müssten. Insgesamt sei ein 100-Milliarden-Programm erforderlich (siehe eigener Text). (hib/FLA)

->Quelle: bundestag.de/hib/mod454590