Offener Brief „zur Unzeit“

vbw und DGB Bayern schreiben an Staatsregierung wg. Energiewende

„Zur Unzeit“, so die Süddeutsche Zeitung am 06.08.2020, kam ein gemeinsamer Offener Brief der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft e. V. (vbw) und des DGB Bayern an Staatsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler): In dem Schreiben fordert die ungleiche Allianz unter anderem die geplanten HGÜ-Leitungen SuedLink und SuedOstLink schnell zu realisieren sowie international wettbewerbsfähige Strompreise. Sonst drohe eine „schleichende Deindustrialisierung Bayerns“.

– Foto © Gerhard Hofmann, Solarify

Aus Sicht der vbw und des DGB Bayern ist ein schneller Bau der geplanten HGÜ-Leitungen SuedLink und SuedOstLink unerlässlich, um eine schleichende Deindustrialisierung Bayerns zu vermeiden. Unterlassener Netzausbau gefährde nicht nur die Versorgungssicherheit, sondern belaste auch über Systemsicherheitsmaßnahmen in Milliardenhöhe den Strompreis. Darüber hinaus droh die Europäische Kommission mit einer Aufteilung der einheitlichen deutschen Strompreiszone, wenn kein leistungsfähiges Übertragungsnetz zur Verfügung stehe.

Ein niedriger Industriestrompreis sei für den Standort und für die Transformation der Industrie in Richtung Klimaneutralität unerlässlich. Die hohen Industriestrompreise in Deutschland seien bereits heute eine enorme Belastung für die internationale Wettbewerbsfähigkeit. Dies gelte einmal mehr in der Corona-Krise. vbw und DGB Bayern fordern daher, dass die staatlich induzierten Strompreisbestandteile deutlich abgesenkt werden, da sonst Betriebsschließungen und Standortverlagerungen drohten.

Süddeutsche Zeitung: „2019 [versprach] Ministerpräsident Markus Söder (CSU) 100 neue Windkraftanlagen, von denen wegen der rigiden 10-H-Abstandsregel bis heute keine errichtet wurde. Im Gegenteil. Erst im Juli verhinderte die CSU-Fraktion im Landtag den Bau von 38 Windrädern, die schon vor Jahren genehmigt worden waren. Und als der Bundesverband Windenergie (BWE) die Ausbauzahlen des ersten Halbjahres 2020 vorstellte, rangierte Bayern am Ende der Statistik: mit exakt null Anträgen auf eine Baugenehmigung.“ (sueddeutsche.de/energiewende-forderung-vbw-gewerkschaftsbund)

Der Brief im Wortlaut: „Energiewende nicht mit der notwendigen Konsequenz und Intensität vorangetrieben“

„Sehr geehrter Herr Staatsminister, lieber Herr Aiwanger,
die Energiewende ist eine unserer größten Herausforderungen. Politik, Wirtschaft und Gesellschaft in Deutschland müssen sich ihr gemeinsam stellen. Wir müssen aber auch die großen Chancen sehen, die sich bei Innovationen und für Wirtschaftswachstum ergeben, und sie entschieden anpacken. Der Ausstieg aus der Kernenergie bis 2022 ist beschlossen und wird fristgerecht umgesetzt. Im selben Zeitraum soll die erste Phase des Kohleausstiegs beendet werden. Die benötigte Energie, vor allem Strom, muss durch regenerative Energieproduktionen kompensiert werden. Auch der Pariser Klimavertrag erfordert einen massiven Umbau des Energiesystems. All das löst einen erheblichen Investitionsbedarf aus und führt zu steigenden Kosten. Bereits heute gefährden die hohen Strompreise unsere internationale Wettbewerbsfähigkeit und bilden zudem in der Corona-Krise ein Hemmnis für die Erholung von Wirtschaft und Gesellschaft.

Die Energiewende wird jedoch aus der Sicht des DGB Bayern und der vbw – Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft e. V. sowohl von der Bundesregierung als auch von der Bayerischen Staatsregierung nicht mit der notwendigen Konsequenz und Intensität vorangetrieben.

Mit großer Sorge verfolgen der DGB Bayern und die vbw die energiepolitischen Entwicklungen zum Thema Netze. Für den Erfolg der Energiewende ist der Ausbau des Stromnetzes entscheidend. Er ist die Voraussetzung für eine umweltverträgliche, versorgungssichere, bezahlbare und wettbewerbsfähige Energieversorgung und damit für eine Sicherung von industrieller Wertschöpfung und Beschäftigung.

Vor diesem Hintergrund darf der Bau der HGÜ-Leitungen SuedLink und SuedOstLink keinesfalls weiter verzögert werden. Unterlassener Netzausbau gefährdet nicht nur die Versorgungssicherheit, sondern belastet auch über Systemsicherheitsmaßnahmen in Milliardenhöhe den Strompreis. Darüber hinaus droht die Europäische Kommission mit einer Aufteilung der einheitlichen deutschen Strompreiszone, wenn kein leistungsfähiges Übertragungsnetz zur Verfügung steht.

Aus Sicht des DGB Bayern und der vbw muss die einheitliche Preiszone in Deutschland unbedingt erhalten bleiben. Eine Aufteilung der Strompreiszone hätte spürbar höhere Strompreise in Süddeutschland zur Folge. Dafür ist es jedoch zwingend erforderlich, dass die bestehenden Netzengpässe zügig beseitigt werden. Diese Herausforderung muss durch eine leistungsfähige und auch für die Zukunft ausreichend dimensionierte Nord-Süd-Verbindung gelöst werden. Der Bau beziehungsweise Ausbau von Übertragungsnetzen wurde in der Öffentlichkeit immer wieder diskutiert und in zahlreichen Fachtagungen für unumgänglich befunden. Auch die Arbeitsgruppen im bayerischen Energiedialog und beim bayerischen Energiegipfel bekräftigten diese Sichtweise. Ohne einen großräumigen Austausch von regenerativer Energie ist die Stromlücke in Bayern nicht zu bewältigen.

10H-Regel: Windgenerator im Bau unterm Bayernwappen – Montage © Solarify

Ein dynamischer Ausbau der erneuerbaren Energien in Bayern muss auf Basis einer fachlich fundierten Regionalplanung durch die Regionalen Planungsverbände der Kommunen forciert werden. Das bedeutet unter anderem die Überarbeitung der 10-H-Regelung. Wir erwarten im Anschluss an die Evaluation der 10-H-Regelung eine pragmatische Lösung, die die Erfordernisse des nötigen Windkraftausbaus mit den Interessen der Bevölkerung vor Ort in Einklang bringt. Im Kompromiss mit Mensch, Landschaft und Natur müssen Windenergieanlagen in Bayern planbar, bezahlbar und refinanzierbar sein. Weiterhin müssen bereits bestehende Anlagen ohne bürokratische Hürden modernisiert werden können (Repowering).

Die Produktion der erneuerbaren Energien aus Wind und Sonne ist volatil und benötigt daher zur Regulierung und zur Netzstabilität Kurzzeit- und Langzeitspeicher. Zu diesem Zweck müssen in den F+E Zentren Konzepte entwickelt werden. Vor allem Bayern benötigt wegen seiner hohen Industriedichte und als Flächenland dezentrale und effektive Kurzzeit- und Langzeitspeicher. Der DGB Bayern und die vbw fordern von der Bayerischen Staatsregierung sowohl die Förderung von Langzeitspeichern (stoffliche Speicher, wie z. B. Power-to-X) als auch von Kurzzeitspeichern (regional und lokal, wie Batterien). Bayern muss an dieser Industrieentwicklung teilhaben – für heimisches Know-how und für Arbeitsplätze in Bayern!

Energie, die nicht verbraucht wird, muss gar nicht erst erzeugt werden. Deshalb muss das Thema Energieeffizienz eine zentrale Rolle in der Energiewende einnehmen. Eine Beseitigung der steuerlichen Hemmnisse für gewerbliche Gebäude wäre hier ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Die bestehenden Förderprogramme müssen ausgeweitet und dürfen nicht gekürzt oder abgeschafft werden.

Zusätzlich zu den bisherigen kommerziellen Angeboten bedarf es dringend der Umsetzung von Konzepten unabhängiger und vorgewerblicher Energiesparberatung für private Haushalte und Kleingewerbe, vor Ort und am Objekt, in kommunaler Trägerschaft, gemeinsam mit Handwerk und Industrie – in allen Landkreisen Bayerns. Die Umsetzung von Energiemanagement – sowohl auf kommunaler als auch auf Landesebene – mit Wärme-, Strom- und Verkehrs-Konzepten ist eine weitere Säule zur Stabilisierung der Energieversorgung in Bayern.

Die Sektorenkopplung ist ein Schlüsselelement der Energiewende. Sie steigert die Flexibilität des Energiesystems erheblich und ermöglicht die Dekarbonisierung von Sektoren, in denen ein direkter Einsatz von erneuerbaren Energien nicht möglich ist. Dazu müssen Hindernisse für die Sektorenkopplung vor allem durch die staatlich induzierten Strompreisbestandteile beseitigt werden.

Die Energiewende wird nur gelingen, wenn die Strompreise gesenkt werden. Gleichzeitig ist ein niedriger Strompreis ein großer Treiber für klimafreundliche Technologien, die meist strombasiert sind. Deutschland hat aber einen der höchsten Industriestrompreise in Europa. Auch angesichts der Corona-Krise würden niedrige Strompreise zu einem erneuten Durchstarten der Wirtschaft wesentlich beitragen.

Die Deckelung der EEG-Umlage ist ein erster wichtiger Schritt, dem noch weitere folgen müssen: Mittelfristig sollte die EEG-Umlage unter die Fünf-Cent-Marke gedrückt werden. Außerdem brauchen wir eine deutliche Absenkung anderer staatlich induzierter Strompreisbestandteile. Dies hätte eine breite Entlastungswirkung für Wirtschaft und Gesellschaft, wäre der beste Schutz vor Carbon Leakage und würde gleichzeitig wirkungsvolle Anreize für den Klimaschutz setzen.

Insgesamt fordern DGB Bayern und vbw eine ganzheitliche, in sich schlüssige Energiepolitik mit einer klar europäischen und internationalen Perspektive bei den Themen Versorgungssicherheit, Bezahlbarkeit und Klimaschutz. Dezentralität und internationale Vernetzung schließen sich nicht aus, sondern bedingen sich wechselweise. Nur so können wir Bayern und Deutschland als zukunftsfähigen Industriestandort erhalten.

Mit besten Grüßen
Bertram Brossardt (Hauptgeschäftsführer vbw) Matthias Jena (Vorsitzender DGB Bayern)

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