Landwende im Anthropozän: Von der Konkurrenz zur Integration

Fünf Mehrgewinnstrategien zur Überwindung von Landnutzungskonkurrenzen

Der WBGU übergab am 03.11.2020 sein neues Gutachten „Landwende im Anthropozän: Von der Konkurrenz zur Integration“ an die Bundesministerinnen Anja Karliczek (Bildung und Forschung) und Svenja Schulze (Umwelt). Nur wenn sich unser Umgang mit Land grundlegend ändert, kann Klimaschutz gelingen, der dramatische Verlust der biologischen Vielfalt abgewendet und das globale Ernährungssystem nachhaltig gestaltet werden, so die zentrale Botschaft des Gutachtens. Die Überwindung von Landnutzungskonkurrenzen erfordert die Ausrichtung der Politik auf Synergien. Dafür hat der WBGU beispielhaft fünf Mehrgewinnstrategien entwickelt.

Fichtenwald bei Rathenow - Foto © Gerhard Hofmann für Solarify

Fichtenwald bei Rathenow – Foto © Gerhard Hofmann für Solarify

Der WBGU empfehle erstens einen massiven Ausbau der Renaturierung von Landökosystemen. Das im Rahmen der Bonn Challenge gesteckte Ziel der Renaturierung von 350 Mio. Hektar degradierter Landfläche bis 2030 solle nicht nur erreicht, sondern deutlich erweitert werden.

Die Bonn Challenge ist eine Initiative Deutschlands und der Weltnaturschutzunion zur Wiederherstellung von Wäldern und waldreichen Landschaften weltweit. Hierbei solle die Wiederherstellung biodiverser und standortgerechter Wälder, Feuchtgebiete und Graslandschaften im Vordergrund stehen, um gleichzeitig einen Mehrgewinn durch die Entfernung von CO2 aus der Atmosphäre zu erzielen. 350 Mio. Hektar entsprechen 2% der Landfläche der Erde.

CO2-Entfernung aus der Atmosphäre sei allerdings kein Ersatz für die notwendige massive Reduktion von CO2-Emissionen und solle daher in Klimaschutzstrategien nicht in einem pauschalen Klimaneutralitätsziel gegen CO2-Minderung aufgerechnet, sondern unabhängig von dieser verfolgt werden, heißt es in der WBGU-Pressemeldung vom 03.11.2020.

Effektive, vernetzte Schutzgebietssysteme bildeten zweitens das Rückgrat des Ökosystemschutzes. Ausweitung und Aufwertung der Schutzgebiete seien entscheidende Voraussetzungen dafür, die globale Biodiversitätskrise zu entschärfen. Die terrestrischen Schutzgebietssysteme sollten auf 30% der Erdoberfläche ausgeweitet werden, unter konsequenter Anwendung international vereinbarter Qualitätskriterien. Auch dies trage im Sinne eines Mehrgewinns zum Klimaschutz bei und erhalte langfristige Potenziale für die Ernährungssicherung.

Drittens sei die Förderung einer auf Vielfalt beruhenden Landwirtschaft eine weitere Mehrgewinnstrategie, mit der die globale Landwende gelingen könne. Für die EU-Agrarpolitik empfiehlt der WBGU eine Abkehr von der industriellen Landwirtschaft durch ihre umfassende Ökologisierung. Damit würden gleichzeitig Ernährungssicherung, Klimaschutz und Erhaltung der Biodiversität gefördert.

Viertens liege ein vielversprechendes Potenzial, um den Druck auf die Landökosysteme zu entschärfen, in der Transformation der Ernährungsstile in den Industrieländern, insbesondere durch die Verringerung des Anteils an Tierprodukten. Eine Orientierung an der „Planetary Health Diet“ solle als Grundsatz in Ernährungsleitlinien verankert und auch seitens der Bundesregierung empfohlen werden, heißt es weiter.

Fünftens biete das Bauen mit Holz effektive Möglichkeiten, langfristig Kohlenstoff zu speichern. Das Holz dafür müsse aber aus standortgerechter, nachhaltiger Waldwirtschaft stammen, die weder Biodiversität noch Ernährungssicherung gefährde. Dazu solle mit internationalen Partnern eine weltweite „Mission nachhaltiges Bauen“ initiiert und mit der EU-Initiative für ein „neues europäisches Bauhaus“ verknüpft werden.

Fünf Governance-Strategien für die globale Landwende

Erstens werde die Anwendung neuer Formen der multilateralen Zusammenarbeit durch die Errichtung von Kooperationsgemeinschaften durch gleichgesinnte Staaten und/oder subnationale Regionen empfohlen.

Zweitens sollte die internationale Zusammenarbeit beim Umgang mit Land verbessert und ein „Global Land Summit“ als gemeinsame Vertragsstaatenkonferenz der UN-Konventionen zu Klima, Biodiversität und Desertifikation einberufen werden.

Drittens sollte die Europäische Union im Rahmen des European Green Deal neben der Klimaneutralität bis 2050 auch eine Landwende zur Nachhaltigkeit vorantreiben.

Viertens sollten Staaten Rahmenbedingungen schaffen, negative Auswirkungen der Landnutzung auf Ökosysteme konsequent einzupreisen oder etwa durch Standards einzuhegen. Schutz oder Renaturierung von Ökosystemen sollten gesellschaftlich honoriert werden.

Fünften Titel © WGBUs sollten Pioniere des Wandels unterstützt werden, die neue landbasierte Schutz- und Nutzungspraktiken erprobten.

Hintergrund: Landökosysteme in der Krise

Die Bilanz der internationalen Nachhaltigkeitspolitik Anfang der 2020er Jahre falle ernüchternd aus, so der WBGU. Die Klimaschutzziele des Pariser Übereinkommens schienen nur noch erreichbar, wenn Landflächen verstärkt genutzt würden, um der Atmosphäre Kohlendioxid zu entziehen, was außer mit Chancen auch mit erheblichen Risiken verbunden sei. Das globale Ernährungssystem sei in einer Krise: Für ein Viertel der Menschheit sei die Ernährungssicherung gefährdet, ein weiteres Viertel leide an gesundheitsschädlichem Überkonsum. Zudem bedrohten die externen Effekte der industriellen Landwirtschaft die natürlichen Lebensgrundlagen. Nicht zuletzt erlebe die Biodiversität derzeit weltweit ein dramatisches Massenaussterben.

All dies geschehe in einer Situation, wo sich der Multilateralismus in einer tiefgreifenden Krise befände und die Covid-19-Pandemie die Lage zusätzlich erschwere. Die Knappheit des Gemeinguts Land und die Gemengelage der nicht länger tragbaren Konflikte um terrestrische Ökosysteme zeigten einen dringenden Handlungsbedarf. Insofern stellten die kommenden Vertragsstaatenkonferenzen der Biodiversitätskonvention und der Klimarahmenkonvention sowie die UN-Dekade zur Wiederherstellung von Ökosystemen wichtige Foren dar, um einem nachhaltigen Umgang mit Land wertvollen politischen Rückenwind zu geben, mahnen die Wissenschaftler des WBGU.

Nur wenn sich unser Umgang mit Land grundlegend ändert, können die Klimaschutzziele erreicht, der dramatische Verlust der biologischen Vielfalt abgewendet und das globale Ernährungssystem nachhaltig gestaltet werden. Der WBGU schlägt fünf exemplarische Mehrgewinnstrategien vor, um Konkurrenzen zwischen Nutzungsansprüchen zu überwinden. Diese sollten durch fünf Governance-Strategien vorangetrieben werden, darunter insbesondere die Setzung geeigneter Rahmenbedingungen, eine Neuorientierung der EU-Politik und die Errichtung von Gemeinschaften gleichgesinnter Staaten.

->Quelle:  WBGU.de/de/service/presseerklaerung/pe-landwende